So berichten Journalisten unter Trump und Erdoğan

Die amerikanische Reporterlegende Carl Bernstein hat erklärt, warum er stolz auf die US-Presse unter Donald Trump ist. Bei den Österreichischen Jouralismustagen berichtete zudem eine Reporterin aus der Türkei, wie sie ihren Kollegen im Gefängnis helfen will.
Von PRO
Bei der Pressekonferenz am Freitag riet Watergate-Aufdecker Carl Bernstein jungen Journalisten, gute Zuhörer zu sein

„Die bestmögliche Fassung der Wahrheit“ gelte es herauszufinden. Das versteht Reporterlegende Carl Bernstein unter gutem Journalismus und als Hauptverantwortung gegenüber dem Publikum. Bei den vierten Österreichischen Journalismustagen in Wien hat der amerikanische Investigativjournalist am vergangenen Donnerstag eine Keynote und Freitagvormittag eine Pressekonferenz gehalten. Dabei hat er sich nicht nur zu seiner Sicht auf das journalistische Handwerk, sondern unter anderem auch zu Präsident Donald Trump geäußert.

Berühmt wurde Bernstein in den 1970er-Jahren, als er als junger Reporter zusammen mit Bob Woodward wesentlich zur Aufklärung der Watergate-Affäre beigetragen hat, welche wiederum zum Rücktritt von Präsident Richard Nixon geführt hatte.

Was Journalisten im US-Wahlkampf versäumt haben

Laut dem Pulitzer-Preisträger Bernstein sollten Journalisten keine Meinungsmache betreiben, sondern: „Je stärker wir die Berichterstattung für sich selbst sprechen lassen können, desto besser sind wir dran.“ Nichtsdestoweniger solle man sich davor hüten, bloß zusammenhanglose Fakten zu veröffentlichen. Denn bei der „bestmöglichen Fassung der Wahrheit“ komme es auf den Kontext an. Im vergangenen Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump hätten es die Journalisten versäumt, die Hintergründe der Kandidaten auszuleuchten. So habe es im amerikanischen Fernsehen keine einzige investigativjournalistische Biographie über Clinton oder Trump gegeben.

Stattdessen seien etwa Pseudo-„Breaking News“ á la „Donald Trump wird in 20 Minuten in Arkansas ankommen“ gemeldet worden. Die Berichterstattung der amerikanischen Tageszeitungen über die Präsidentschaft Trumps lobt Bernstein im Gegenzug: „Wenn sie nicht so gut wäre, wäre der Präsident der Vereinigten Staaten nicht so verärgert darüber.“

Vom aktuellen Amtsinhaber hält Bernstein naturgemäß wenig. Zwar habe dieser im Wahlkampf mitunter berechtigte Probleme angesprochen, und es sei einem Präsidenten grundsätzlich Gutes zu wünschen. Dennoch hält der Reporter Donald Trump für gefährlicher als Richard Nixon. Wenn auch Hillary Clinton nicht das beste Verhältnis zur Wahrheit habe, hält es Bernstein für erwiesen, dass „Trump in einer Weise lügt, in der noch nie ein amerikanischer Präsident gelogen hat“. In Amerika gebe es nun „eine kontrafaktische Präsidentschaft“ mit autoritären Anklängen: „Trump spricht in einer autoritären Weise. (…) Wir müssen sehen, wie weit das geht.“

Türkische Journalisten wollen sich nicht mundtot machen lassen

Würde man hingegen bei Recep Tayyip Erdoğan bloß von „autoritäre Anklängen“ sprechen, wäre das ein zynischer Euphemismus. Der Präsident der Türkei geht vor allem seit dem Putschversuch im vergangenen Juli gezielt gegen Journalisten vor. Diese wollen aber nicht aufgeben: „Auch wenn Kollegen von uns im Gefängnis sitzen, sind wir immer noch dabei zu sagen, was zu sagen ist“, äußerte sich die türkische Journalistin Banu Güven zur Lage in ihrem Heimatland.

Banu Güven berichtet von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Christian Schüller vom Österreichischen Rundfunk (ORF) hat ihren Auftritt moderiert. Foto: Raffael Reithofer
Banu Güven berichtet von Menschenrechtsverletzungen in der Türkei. Christian Schüller vom Österreichischen Rundfunk (ORF) hat ihren Auftritt moderiert.

Im Vorfeld der Journalismustage hatte der Wiener Presseclub Concordia den „Publizistikpreis in der Kategorie Presse- und Informationsfreiheit allen inhaftierten JournalistInnen in der Türkei“ verliehen. Laut Güven sitzen zur Zeit 163 Medienmitarbeiter in türkischen Gefängnissen. Stellvertretend für diese nahm die ehemalige Fernsehmoderatorin die Auszeichnung des ältesten Presseclubs der Welt entgegen.

In einer bewegenden Fotoschau bei den Journalismustagen berichtete Güven von an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen der türkischen Behörden gegenüber ihren Kollegen, willkürlichen Verhaftungen und Folter: „Das ist Refik. Refik liegt auf dem Boden, weil er angeschossen worden ist.“ Der Kameramann Refik Tekin war gerade dabei, Parlamentsabgeordnete und Zivilisten dabei zu filmen, wie sie Verletzte ins Krankenhaus brachten, als ihn Sicherheitskräfte ins Bein schossen. Bevor er selbst ins Krankenhaus gebracht wurde, „hat die Polizei ihn auf der Straße geschlagen als er verletzt war. (…) Jetzt arbeitet er weiter, aber nicht wie früher. (…) Wir sind froh, dass er überlebt hat.“

Banu Güven hat bis zuletzt für den kurdischen Fernsehsender IMC TV gearbeitet: „IMC TV war der letzte unabhängige Nachrichtensender der Türkei. Klein, aber ein guter Sender. Und dann kamen eines Tages die Polizisten.“ Ende Februar 2016 schaltete die türkische Polizei den Sender ab – ausgerechnet während eines Live-Interviews mit gerade aus dem Gefängnis entlassenen Journalisten. Günen zeigte ein Foto der Fernsehmitarbeiter, die sich unter Tränen umarmen. Seit dem Ende ihres Fernsehsenders sie ihre Arbeit sozialen Medien fort.

Wenn Journalisten zu Aktivisten werden

Weil die im Gefängnis sitzenden Kollegen keine Briefe, aber zumindest Zeitungen bekommen dürfen, haben die Journalisten um Günen zum Jahreswechsel kurzerhand ein Grußfoto gemacht und in den letzten verbliebenen, freien Zeitungen der Türkei abgedruckt. Die Türkei sei eben nicht nur ein Land von Erdoğan, „sondern auch von Journalisten und allen anderen, die der Unterdrückung widerstehen.“

Auf die Frage, wie objektiv man noch bleiben könne, wenn Kollegen und Freunde um ihrer Arbeit willen im Gefängnis säßen, entgegnete Günen offen: „Objektivität brauchen wir, wenn wir über Fakten berichten, denke ich. (…) Aber wir alle haben eine bestimmte Perspektive, einen bestimmten Standpunkt – den behalten wir.“ Und: „Wir sind alle jetzt auch Aktivisten.“

In den anderen Vorträgen an den Journalismustagen ging es etwa um Fake News und wie man diese erkennen könne sowie um Alarmismus im österreichischen Boulevardjournalismus. Eröffnet hat die Journalismustage die US-Reporterin und Komikerin Francesca Fiorentini, die mit humoristisch aufbereiteten Fakten im zu Al-Jazeera gehörenden YouTube-Kanal AJ+ ein breites Publikum erreichen möchte. Fiorentini erklärte in der österreichischen Fernsehsendung ZIB 24: „Immer mehr Menschen bekommen ihre Nachrichten über Comedy-Programme. So schlucken sie zwar die Medizin, haben aber etwas zum Runterspülen.“

Francesa Fiortini möchte mit einem Mix aus Journalismus und Comedy auf YouTube ein breites Publikum erreichen. Foto: Raffael Reithofer
Francesa Fiortini möchte mit einem Mix aus Journalismus und Comedy auf YouTube ein breites Publikum erreichen.
Helge Fahrnberger hat mit „Kobuk“ das österreichische Pendant zum BILDblog gegründet. Zusammen mit Publizistik-Studenten an der Universität Wien beleuchtet er hierin grenzwertige Boulevardberichterstattung. Foto: Raffael Reithofer
Helge Fahrnberger hat mit „Kobuk“ das österreichische Pendant zum BILDblog gegründet. Zusammen mit Publizistik-Studenten an der Universität Wien beleuchtet er hierin grenzwertige Boulevardberichterstattung.
Zum ersten Mal haben die Österreichischen Journalismustage im Atelierhaus der bildenden Künste in Wien-Mariahilf stattgefunden. Foto: Raffael Reithofer
Zum ersten Mal haben die Österreichischen Journalismustage im Atelierhaus der bildenden Künste in Wien-Mariahilf stattgefunden.

Die Österreichischen Journalismustage wurden 2013 unter anderem vom PR-Unternehmer und früheren Journalisten Josef Barth ins Leben gerufen und finden einmal im Jahr statt, um „jenseits von Reichweiten, Vertriebswegen oder Finanzierung“, den „Wert des Journalismus für die Gesellschaft in den Mittelpunkt“ zu rücken. (pro)

Die Rede Bernsteins ist in einer ähnlichen Form online nachzulesen.

Von: rcr

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