Journalisten wenig begeistert über Änderung des Pressekodex

Der Deutsche Presserat hat die journalistische Grundregel zur Nennung von Ethnie oder Religion bei Tätern korrigiert. Die Begeisterung dafür fällt unter den Medienschaffenden verhalten aus.
Von Jörn Schumacher
Wann sollen Journalisten Herkunft oder Religion nennen, wenn sie über einen Straftäter berichten? Der Presserat nennt „öffentliches Interesse” als Kriterium.

Der Deutsche Presserat hat die Richtlinie 12.1 des Pressekodex, die sich mit möglicher Diskriminierung durch die Berichterstattung auseinandersetzt, am Mittwoch geändert. Es geht dabei um die Frage, in welchen Fällen Medien darauf verzichten sollten, die Herkunft eines Straftäters zu nennen, und wann die Information über Ethnie oder Religion gerechtfertigt ist. Besonders die Silvesternacht 2015 in Köln, in der es zu zahlreichen Übergriffen auf Frauen gekommen war, sorgte für eine neue Diskussion der Ziffer 12.1. Die mutmaßlichen Täter waren nordafrikanischer Herkunft.

Bisher sollte Herkunft und Religion eines Täters nur genannt werden, wenn diese einen „begründbaren Sachbezug“ zur Tat hatten. Nach der Überarbeitung legte das Ethik-Gremium der Journalisten nun fest, dass in der Berichterstattung über Straftaten darauf zu achten sei, „dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt“. Weiter heißt es: „Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.“

„Weder bei Friesen noch bei Libanesen diskriminierend“

Der MDR-Journalist Michael Voß, der im Vorstand des Christlichen Medienverbundes KEP sitzt, sagte dazu gegenüber pro: „Die Nationalität oder die Religion haben selten etwas mit einer vermuteten oder bewiesenen Straftat zu tun. Deshalb finde ich es gut, wenn diese Angaben nicht automatisch in einen Bericht hineingesetzt werden, gerade in einer Zeit, wo Vorurteile Hochkonjunktur haben. Es würde ja bei einem verurteilen oder mutmaßlichen Täter auch keiner auf die Idee kommen, das Heimatbundesland dazuzuschreiben, es sei denn, es ist ein Bericht in der örtlichen Zeitung oder im örtlichen Sender.“

Stefan Hans Kläsener, Chefredakteur im Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag in Flensburg und katholischer Theologe, freut sich hingegen über die Entscheidung des Presserats: „Er hat Beweglichkeit gezeigt, und das ist gut, weil die bisherige starre Haltung immer wirklichkeitsferner wurde. Das Problem war aber weniger die Richtlinie und ihre Ausführungserläuterungen, sondern die sehr restriktive Spruchpraxis.“ Seine Redaktion benenne bei Verkehrsunfällen sowie bei Straftaten die Herkunft der Täter. „Und dabei ist es weder diskriminierend, wenn jemand Friese ist, noch, wenn er Libanese ist“, fügt Kläsener hinzu. „Besteht ein Sachzusammenhang mit der Tat, ist die Nennung der Herkunft sogar geboten, weil die Berichterstattung sonst unvollständig wäre.“

„Selbstzensur“ und „Wortgeklingel“

Wie das Medien-Portal Meedia berichtet, sah der Medienwissenschaftler Horst Pöttker in der bisherigen Fassung der Richtlinie 12.1 eine Form der „Selbstzensur“, die den Grundsätzen der Pressefreiheit widerspreche. Leser registrierten das Weglassen von Täterherkünften und könnten das Vorgehen der Redaktionen nicht immer nachvollziehen. Das wiederum erschüttere das Vertrauen in die Medien, so seine Argumentation.

Meedia befragte nun einige Chefredakteure dazu, was sie von der neuen Richtlinie halten. Carsten Fiedler, Chefredakteur des Kölner Stadt-Anzeigers, merkte kritisch an, dass das Kriterium des öffentlichen Interesses in der Praxis nicht weiterführe. „Schließlich steht das öffentliche Interesse für den Journalisten immer an erster Stelle.“ Leitend sei für ihn die Warnung vor der „diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens“ im ersten Satz. „Alles Folgende ist – um ehrlich zu sein – Wortgeklingel.“

Stefan Weigel, stellvertretender Chefredakteur der Rheinischen Post, ist der Meinung, die neue Richtlinie gebe Journalisten keine größere Sicherheit, wenn es um die Abwägung der Herkunftsnennung geht. Journalisten hätten früher „rätseln“ müssen, ob ein Sachbezug gegeben sei. „Jetzt muss jeder Redakteur rätseln, ob ein öffentliches Interesse vorliegt“, so Weigel.

Froben Homburger, Nachrichten-Chef der Deutschen Presse-Agentur (dpa), sagte: „Die dpa hat auch bisher schon das Informationsinteresse der Öffentlichkeit als ein weiteres Entscheidungskriterium bei der Frage berücksichtigt, wie detailliert über eine einzelne Tat, einen Tatverdächtigen oder ein Tatmotiv berichtet werden soll.“ So habe die Agentur beispielsweise die afghanische Herkunft des jungen Mannes genannt, der im vergangenen Jahr in Freiburg eine Studentin vergewaltigte und ermordete. Wie Homburger weiter ausführte, gehöre es zum journalistischen Auftrag, möglichst viele Informationen über einen Täter zu recherchieren und zu melden. Das schließe die Nationalität mit ein. (pro)

von: js

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