QAnon – Explosive Mischung aus Trump, Apokalypse und Xavier Naidoo

Mittelalterliche Verschwörungsmythen erleben durch die Digitalisierung eine Renaissance. „QAnon“ vermischt dabei Antisemitismus mit scheinbar christlichen Motiven und sieht in US-Präsident Donald Trump eine Art Messias. Der Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftrage der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume, mahnt zur Wachsamkeit.
Von PRO
Michael Blume ist Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftrager der baden-württembergischen Landesregierung

pro: Herr Blume, was verbirgt sich hinter QAnon?

Michael Blume: QAnon ist ein apokalyptisch-messianischer Glaube. Die „Qultisten“ glauben, dass sie in einer Endzeit leben – in einer letzten Schlacht zwischen Gut und Böse. Und dass Donald Trump dabei der Messias ist, derjenige, der die Verschwörung von Juden und Frauen vor allem aufdecken wird.

Wo ist der Nährboden für diese Sekte?

QAnon ist eine Digitalsekte und findet vor allem im Internet statt. Angefangen hat es auf Twitter mit einem Account, der sich „Q“ nennt und der sogenannte „drops“, eine Art Hinweise, begonnen hat zu twittern. „Q“ gibt sich aus als einer, der aus dem inneren Kreis dieses endzeitlichen Kampfes berichtet. Dabei deutet er immer wieder an, dass es hinter der offiziellen Geschichte, dem was wir in den Nachrichten sehen und hören, eine verborgene Endzeitgeschichte gibt. Das Ganze hat 2017 in den USA begonnen und hat dann schnell viel Zulauf erhalten. Mittlerweile hat „Q“ auch in Deutschland eine sehr große Anhängerschaft und erfreut sich am zunehmenden Interesse.

Warum hat der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg diese Sekte auf dem Schirm?

Wir haben hier in Baden-Württemberg beispielsweise den Sänger Xavier Naidoo, der in diesem Duktus verkündet hat, dass Juden und Frauen Kinder foltern würden und aus Menschen den Stoff Adrenochrom gewinnen. Dabei handelt es sich um die gleichen Verschwörungsmythen, die bereits im 15. und 16. Jahrhundert auch in Süddeutschland aufgetaucht sind. Damals hat man Juden und Frauen vorgeworfen, dass sie den Hexensabbat begehen. Da wurden Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit kombiniert. Der Glaube war, dass aus Kindern eine Art Hexensalbe gewonnen wird. Ich muss leider sagen, dass die Mythen von vor 600 Jahren durch die Digitalisierung eine Renaissance erleben und wieder voll da sind.

Was ist Adrenochrom?

Dabei handelt es sich um ein Stoffwechselprodukt, das in Apotheken erworben werden kann. Der Stoff hat keine magischen Eigenschaften. Aber in diesem QAnon-Verschwörungsglauben wird behauptet, das Juden und Frauen, Demokratinnen wie Angela Merkel und Hillary Clinton, dieses Adrenochrom aus Kindern gewinnen, um unsterblich zu werden und besondere Mächte zu erlangen.

Spielt die Corona-Situation dieser Sekte in die Karten?

Wenn schlimme Dinge passieren, dann stellt sich unmittelbar die Frage: Wer ist daran schuld? Ein reflektierter Christ würde in dieser Situation auf Gott vertrauen. Auch im Judentum und dem Islam lernen die Gläubigen das Vertrauen in eine gute Gottheit. Aber im Verschwörungsglauben lernt man, dass dort böse Mächte am Werk sind. Teuflische Mächte, im Antisemitismus eben jüdische Mächte. Deshalb kann man bei jeder Krise, sei es Bankenkrise, Flüchtlingskrise oder jetzt Corona, diesen Aufbruch von Verschwörungsglauben beobachten. Interessanterweise hieß es im Januar noch bei QAnon, dass das Coronavirus eine Biowaffe der Juden und Chinesen sei. Da galt das Virus also noch als supergefährlich. Jetzt wird behauptet, es sei völlig harmlos und alles sei lediglich aufgebauscht. Die Erzählung ändert sich, die Feindbilder dahinter bleiben gleich.

Können Sie etwas über die Zahl der Anhänger sagen?

Eigentlich nicht. Wir wissen, dass es im deutschen Sprachraum große Unterstützer gibt. Oliver Janich, ein Journalist und Mitbegründer und ehemaliger Vorsitzender der „Partei der Vernunft“, gehört mit zum Kreis derer, die solche Mythen via Telegram-Gruppen propagieren, in denen sich viele Tausend Anhänger von QAnon sammeln. Die Zahl der Anhänger ist nicht unerheblich. Wir beobachten bei dieser Sekte aber auch bereits Anzeichen des Zerfalls. Was mich besorgt ist, dass sich viele dieser Anhänger jedoch auf einem Weg der Radikalisierung befinden.

Woran kann man einen Anhänger dieser Sekte erkennen?

Wenn jemand nur und ausschließlich noch digitalen Medien vertraut – in der Engführung diesem einen „Q“-Twitteraccount und den Telegram-Kanälen – und alle anderen Medien ablehnt, dann sollte man hellhörig werden. Auch wenn eigentlich alles und jeder als nicht mehr vertrauenswürdig abgestempelt wird und nur noch den Verlautbarungen von „Q“ vertraut werden darf, dann müssen alle Alarmglocken anschlagen. Es ist ein Angebot, sich die Welt zu erklären über eine Apokalyptik und Messianismus, der mit einem vernünftigen Christentum im Konflikt steht.

Bei QAnon wird offenbar vieles miteinander vermischt – eben auch christliche Anleihen, wie der Glaube an den Messias. Wie kann man sich gegen Verschwörungsmythen wie QAnon imprägnieren?

Im Kern geht es dabei um Seelsorge. Deshalb sehe ich da eine große Verantwortung für die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Es wäre schlecht, wenn der Staat die Seelsorge übernehmen müsste. Letztlich geht es um die Frage: Habe ich Gottvertrauen, habe ich Vertrauen zu anderen Menschen? Oder lasse ich mir einreden, die Welt stünde am Abgrund und ich kann mich nur noch einem Führer anvertrauen. Deswegen ist meine Bitte, dass gerade die christlichen Gemeinden jetzt für die Menschen da sind und ihnen Gott- und Selbstvertrauen vermitteln. Wenn ich das Evangelium richtig verstehe, ist es keine Botschaft der Panik und des Hasses, sondern eine Botschaft der Hoffnung und der Liebe.

Gibt es ein bestimmtes Denken, das die Zugänglichkeit zu solchen Mythen wie QAnon begünstigt?

Das ist eindeutig der Dualismus und gilt über alle Religionen und Weltanschauungen hinweg. Aus psychologischer Sicht bedeutet das, dass ein Mensch alles Böse von sich abspaltet und einer anderen Gruppe zuschiebt. Damit hat die Person eine vermeintliche Antwort auf alles. Was im Leben schief geht, kann die Person dann einem Superbösen unterschieben. Im Mittelpunkt steht nicht mehr eine gute Gottheit, sondern der Glaube an die Weltherrschaft des Bösen. Die Menschen glauben, sie gehörten zu den Auserwählten, hätten endlich den Durchblick, meinen, die ganze Welt entschlüsseln zu können, und dass plötzlich alles Sinn ergibt. Dass man sich damit in eine Weltsicht von Angst, Hass und Isolation begibt, wird den meisten Menschen erst klar, wenn sie Wochen oder Monate dort drin sind. Dann kann es bereits zu spät sein, sich selber einzugestehen, dass man da auf dem Holzweg ist.

Warum lassen sich auch Christen davon ansprechen?

Das war auch in Krisenzeiten im Christentum immer wieder so. Man hat gedacht, das Ende ist nahe, der Teufel hat jetzt noch eine Zeit der Herrschaft und dann kommt das Armageddon. Diese Endzeiterwartung setzt Christen massiv unter Druck. Sie glauben, dass jetzt die Endschlacht bevorsteht. Viele begehen dann wirklich grandiose Fehler, indem sie Beziehungen an die Wand fahren, sich wirtschaftlich ruinieren. In den USA ist es dadurch auch bereits zu Gewalt gekommen. Das ist eine Sorge: dass ein Teil der Anhänger sich bis zur Gewaltbereitschaft radikalisiert, wenn die Prophezeiungen nicht eintreten. Da müssen Kirchen und Sicherheitsorgane helfen, dass das am Ende nicht in Gewalt endet.

Sehen Sie das Potenzial für Gewalt auch in Deutschland?

Wir konnten bereits sehen, dass bei Gewalttaten in Deutschland die Verschwörungsmythen eine große Rolle gespielt haben. Denken Sie an die Anschläge in Halle, Hanau und Celle. Ich würde nicht so weit gehen und Anhänger von QAnon für paranoid halten, aber wer psychisch anfällig ist und hinein rutscht in eine solche digitale Blase, diese digitale Sekte, den kann das endgültig aus der Bahn werfen und zu Gewalttätigkeit führen. Ich rechne nicht wie bei den Pestpogromen damit, dass hier ein aufgewiegelter Mob die Synagogen niederbrennt, aber dass Einzelne sich so weit radikalisieren und denken, sie müssten jetzt losschlagen, ist leider nicht auszuschließen. Aus meiner Sicht ist Wachsamkeit geboten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Norbert Schäfer

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