Welt-Reporter Ansgar Graw: „Ich bin für die Zerschlagung von Facebook“

Der Chefreporter der Zeitung Die Welt, Ansgar Graw, forderte kürzlich die Zerschlagung des sozialen Netzwerkes Facebook, das nach dem Datenskandal immer häufiger wegen seiner Methoden kritisiert wird. Mit pro sprach Graw darüber, warum er Facebook als Monopolisten für gefährlich hält, dem Netzwerk aber weiter treu bleibt.
Von PRO
Ansgar Graw ist Chefreporter der Welt und befasst sich neben der Innenpolitik unter anderem mit dem Thema Digitalisierung. Von 2009 bis Sommer 2017 war er Korrespondent in Washington D.C. Im Juli hat er das Buch „Trump verrückt die Welt“ veröffentlicht.

pro: Warum vertreten Sie die Meinung, dass „Facebook zerschlagen“ werden müsste?

Ansgar Graw: Facebook ist ein faktischer Monopolist beim Promoten von Medien-Inhalten. Es kam bei der Verbreitung von Nachrichten schon 2016 weltweit auf einen Marktanteil von sagenhaften 94 Prozent, haben Wissenschaftler der Technischen Universitäten Darmstadt und Dresden ermittelt. Mark Zuckerberg hat bei seiner Anhörung vor dem US-Senat gesagt, sein soziales Netzwerk, das in Wirklichkeit längst ein Multimediakonzern geworden ist, wolle „das Gute und Gesunde“ unterstützen. Aber wenn Facebook, ob mit menschlichen Hirnen oder durch Artificial Intelligence (Künstliche Intelligenz, Amn. d. Red.), entscheidet, welche Inhalte gut sind, welche es befördert und welche weiter hinten anstehen oder gar gesperrt werden, ist die Meinungsfreiheit massiv gefährdet. Das fängt doch bei der Frage an: Soll Facebook eine Demonstration zugunsten der Wahlfreiheit von Frauen, also für das Recht auf Abtreibung, promoten – oder lieber eine Demo für das ungeborene Leben, also gegen Abtreibung? Je nachdem, wer gerade Besitzer von Facebook ist, und das kann sich ja durchaus einmal ändern, könnte die Antwort gegenteilig ausfallen. Gleiches gilt für andere Streitthemen: Ist es gut, für die Einschränkung des Waffenrechts in den USA zu demonstrieren, oder ist es besser, den zweiten Verfassungszusatz zu verteidigen, der das Recht auf privaten Waffenbesitz vorsieht? Solange es viele Medien gibt, ist das unproblematisch, weil die eine Redaktion dieser und die andere jener Meinung zuneigen wird. Wenn aber ein faktischer Monopolist der einzige relevante Gatekeeper wird, ist die damit verbundene Definitionsmacht über das, was „gut“ und was „schlecht“ ist, ein enormes Problem.

Die Ansicht, Facebook müsse zerschlagen werden, erntet Kritik, weil sie nicht umsetzbar sei. Das schreibt zum Beispiel Ihr Kollege Olaf Gersemann. Was antworten Sie Ihren Kritikern?

Mein Kollege Olaf Gersemann und ich haben zu dieser Frage ein Streitgespräch ausgetragen, in dem wir unsere Argumente dargelegt haben. Das kann sich jeder auf dem Welt-Portal anschauen.

Wie könnte eine Zerschlagung von Facebook praktisch aussehen?

Was nicht ginge, wäre eine Aufsplitterung beispielsweise in die Buchstaben A bis M und N bis Z, oder Facebook Europa vs. Facebook Amerika vs. Facebook Asien. Denn das Wesen von Facebook ist es ja gerade, weltumspannend Kontakte mit jedermann zu pflegen. Aber durchaus möglich wäre es, beispielsweise Drittanbieter zu beauftragen, die Nachrichtenfilter für Facebook zu programmieren und redaktionelle Inhalte zu sortieren – und dies so zu befristen, dass nach einiger Zeit ein anderes Unternehmen zum Zuge kommt. So etwas hat der Silicon-Valley-Philosoph Jaron Lanier vorgeschlagen. Bei ihm klingt allerdings auch die Idee an, Facebook zu „vergesellschaften“, und das ist eine Metapher für „verstaatlichen“. Davon halte ich gar nichts: Ich bin für die Zerschlagung von Facebook, weil ich die Marktwirtschaft und den Wettbewerb befördern will – die Überantwortung von Teilen der Privatwirtschaft an den Staat lehne ich hingegen entschieden ab. Ein Einstieg in die Entflechtung wäre übrigens, wenn Facebook Plattformen wie Messenger, Instagram oder WhatsApp an Konkurrenten verkaufen würde.

Wäre eine Welt ohne Facebook überhaupt möglich? Würde nicht sofort ein neues, ähnliches Netzwerk entstehen, weil es so viele Menschen nutzen und daran gewöhnt sind?

Ich habe geschrieben: „Mark Zuckerberg ist ein innovativer Unternehmer zum Niederknien – und ein unkontrollierter Monopolist zum Fürchten.“ Der Typ hat eine grandiose Plattform geschaffen, und ich will gar keine Welt ohne Facebook, ich nutze es ja selbst. Aber ich will die Gefahr ausräumen, dass hinter Facebook ein einziges Unternehmen steht, das weltweit Inhalte sortiert und dadurch potenziell auch zensiert.

Zum ersten Mal hat vor kurzem ein Gericht in Deutschland Zensur durch Facebook gestoppt, der Anwalt des Klägers sah das als Sieg für die Meinungsfreiheit. Ist das für Sie ein Grund zur Besorgnis, weil erst die Justiz aktiv werden muss, damit sich etwas ändert oder glauben Sie, dass Facebook dadurch in Zukunft sorgfältiger mit dem Thema Meinungsfreiheit umgehen wird?

In diesem Fall geht es ja zunächst nur um eine einstweilige Verfügung zugunsten des Klägers, und dafür liegen die Hürden recht niedrig. Ein Urteil, gar ein letztinstanzliches Urteil ist das ja noch lange nicht. Aber in der Tat bestätigt der Rechtsstreit meine Bedenken. Es muss einem User möglich sein, Kommentare zu schreiben, in denen Orban gelobt und die deutsche Politik kritisiert wird, und obwohl der betreffende Kommentar arg holzschnittartig und etwas dumpf daher kommt, kann es nicht angehen, dass so etwas von einer monopolartigen Multimediaplattform geahndet und der Account vorübergehend gesperrt wird. Einfach darauf zu hoffen, dass Facebook in Zukunft „sorgfältiger mit dem Thema Meinungsfreiheit umgehen wird“, erscheint mir, mit Verlaub, viel zu blauäugig.

Viele Politiker haben nach dem Datenskandal Facebook kritisiert und Regulierungen gefordert. Kaum einer ist jedoch selbst aktiv geworden und hat das Netzwerk verlassen. Hätten Sie sich da mehr Haltung gewünscht?

Facebook hat nicht nur gegen unsere deutschen datenschutzrechtlichen Standards verstoßen, sondern auch gegen die entsprechenden Gesetze in den USA oder Großbritannien. Aber das lässt sich nach meiner Überzeugung durch verstärkte Aufsicht in den Griff bekommen – obwohl die Gefahr des Missbrauchs von Daten im Internet sehr groß bleibt und nicht nur Facebook betrifft. Für mich ist dies aber, wie ich dargelegt habe, nicht der entscheidende Punkt, ich halte die Gefahr einer Einschränkung der Meinungsfreiheit für wichtiger. Wer jetzt ein Zeichen setzen möchte, indem er Facebook verlässt, möge dies tun – ich persönlich bleibe im Netz, um darüber meine Artikel zu verbreiten, in denen ich für eine Zerschlagung oder Aufspaltung von Facebook eintrete.

Ist das ein Zeichen dafür, dass die Politiker von Facebook abhängig sind?

Abhängigkeit ist ein großes Wort. Politiker sind nach meiner Wahrnehmung ungefähr so abhängig und wenig abhängig von Facebook wie die meisten User. Aber viele nutzen es als ein wichtiges Tool zur direkten Kommunikation – und machen damit noch wichtiger, dass diesem Monopolisten Grenzen gesetzt werden.

Sie selbst sind auch bei Facebook zu finden. Haben Sie darüber nachgedacht, Ihren Account zu löschen und warum haben Sie das nicht getan, obwohl Sie das Netzwerk so kritisieren?

Ich bin ja kein Feind von Facebook, sondern nur ein Feind des Monopols, das Facebook faktisch eingenommen hat. Darum bleibe ich auf Facebook und verbreite über meinen Account unter anderem die Artikel, in dem ich die Zerschlagung oder Neugliederung dieses Monopols fordere. Und dafür gibt es sogar manche Likes.

Werden langfristig automatisch andere Netzwerke eine Rolle spielen und Facebook überholen?

Nichts währt ewig, und in der digitalen Welt gibt es viele tsunamiartige Entwicklungen. Junge Leute tendieren zu Snapchat, was allerdings eher dem flüchtigen Entertainment und der Verbreitung privater Mitteilungen als der Weitergabe von seriösem Content dient, oder zu Instagram, das ja auch zu Facebook gehört und vor allem Fotos transportiert. Aber für die überschaubare Zukunft ist Facebook der absolute Platzhirsch. Das Wachstum des Giganten lässt nach, aber wer 2,2 Milliarden aktive Nutzer weltweit hat, muss nicht über sein nahes Ableben nachdenken.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Swanhild Zacharias

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