„Unsere Gesellschaft wird von Technologie gekapert“

Immer mehr Vertreter der Social-Media-Branche weisen auf negative Folgen ihrer eigenen Produkte hin. Sie fürchten eine Beeinträchtigung der mentalen Gesundheit. Nun hat sich eine Gruppe von ehemaligen Facebook- und Google-Mitarbeitern gegründet, die das Problem angehen will.
Von PRO
Das Soziale Netzwerk Facebook: „Teil eines Systems, dessen Ziel es ist, uns abhängig zu machen“

Mitarbeiter von Facebook und Google wollen gegen die negativen Auswirkungen sozialer Netzwerke vorgehen. Wie die New York Times berichtet, haben sie zu diesem Zweck das „Zentrum für menschenfreundliche Technik“ gegründet.

Auf ihrer Webseite heißt es: „Unsere Gesellschaft wird von Technologie gekapert.“ Sie „zerfrisst die Grundpfeiler unserer Gesellschaft“, beeinträchtige die mentale Gesundheit unserer Kinder, die sozialen Beziehungen und auch die Demokratie. Produkte wie Facebook, Twitter, Instagram und Google seien nicht neutral. „Sie sind Teil eines Systems, dessen Ziel es ist, uns abhängig zu machen“, schreiben die Initiatoren. Die Betreiber der Plattformen würden Geld verlieren, wenn sie das Problem angingen.

Gemeinsam mit der Non-Profit-Organisation „Common Sense Media“ plant das Zentrum daher unter anderem eine Werbekampagne, die 55.000 Schulen in den USA erreichen soll. Sie trägt den Titel „Die Wahrheit über Tech“ und kostet die Non-Profit-Organisation rund sieben Millionen Dollar, umgerechnet etwa 5,7 Millionen Euro. Gründer Jim Steyer erklärte, die Kampagne fokussiere sich auf Kinder, weil diese besonders verletzlich seien. Vielleicht, hofft Steyer, bewege das die Tech-Industrie zum Umdenken.

„Wir waren dabei“

Als erstes großes Projekt wollen die Organisatoren eine Webseite erstellen, die schädliche Auswirkungen verschiedener Technologien, wie etwa Depressionen, auflistet und erklärt. Gleichzeitig soll sie Vorschläge enthalten, wie die Produkte gesünder gemacht werden könnten. Von Produzenten wie Apple, Samsung und Microsoft erhoffen sie sich Unterstützung für ihre Sache. Deren Geschäftsmodell sei es nämlich nicht, Menschen abhänig zu machen. Über Lobbyarbeit wollen die Aktivisten außerdem Einfluss auf die Politik nehmen und diese zu einem restriktiveren Vorgehen gegenüber den Großkonzernen bewegen.

Die Menschen hinter der Kampagne sind zum größten Teil ehemalige Mitarbeiter jener Firmen, vor deren Produkten sie nun warnen. Einer von ihnen ist der frühere Google-Ethiker Tristan Harris. Gegenüber der New York Times erklärte er sein Engagement: „Wir waren dabei. Wir wissen, was die Firmen erfassen. Wir wissen, wie sie reden und wie die Technik dahinter funktioniert.“ Die größten Supercomputer der Welt seien in den Händen der zwei Unternehmen, Google und Facebook, „und worauf setzen wir sie an? Auf die Hirne der Menschen, auf Kinder“.

„Facebook spricht unser Reptilienhirn an“

Auch der Erfinder des berühmten „Gefällt mir“-Buttons, Justin Rosenstein, gehört zu den Unterstützern des „Center for Humane Technology“. Der frühere Facebook-Investor Roger McNamee bereut inzwischen, dass mit seinem Geld Soziale Netzwerk geschaffen wurden: „Facebook spricht unser Reptilienhirn an – vor allem Furcht und Wut. Und mit den Smartphones haben sie einen ständig am Wickel, solange man wach ist.“ Hinzu kommen einige weitere frühere leitende Angestellte großer Technologie-Konzerne. Die Gruppe geht davon aus, dass sie in nächster Zeit weiter wachsen wird.

Ganz neu ist die Thematik nicht: Bereits im Januar hatten zwei Wall-Street-Investoren Apple aufgefordert, die Auswirkungen ihrer Produkte auf die Gesundheit der Nutzer zu erforschen. Wissenschaftler, die das Verhalten von Kindern erforschen, und Psychologen forderten Facebook erst vergangene Woche dazu auf, einen Messenger-Dienst für Kinder wieder zurückzunehmen. Apple-Chef Tim Cook sagte im vergangenen Monat gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian, dass er nicht zulassen würde, dass sein Neffe in Sozialen Medien aktiv ist. Und Jean Parker, ein ehemaliger Facebook-Investor, sorgt sich: „Nur Gott weiß, was Soziale Netzwerke mit den Gehirnen unserer Kinder machen.“

Von: Sandro Serafin

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