TV-Trend: Der Vorführ-Effekt

M ü n c h e n (PRO) - Die Fernsehsender haben den Zuschauer als Programmstoff entdeckt: statt Stars werden "echte Menschen" gezeigt. Meistens sind diese arm, hässlich, einsam, oder brauchen sonstige Hilfe. Das Magazin "Focus" hat den neuen Trend "TV-Elendstourismus" beleuchtet.
Von PRO

Angesichts einer Schwemme von Beratungs- und Hilfsshows im deutschen Fernsehen konstatiert der „Focus“ in der Ausgabe vom 21. Mai: „Deutschland sucht das Super-Elend“. Unter der Überschrift „Das Leiden der anderen“ beschreibt das Magazin den neuen Quell für Zuschauerquoten: Beratungssendungen.

Es begann in den Neunziger Jahren mit den Nachmittag-Talkshows. Dann kam „Big Brother“, wo der normale Zuschauer seinesgleichen 24 Stunden lang live im Fernsehen betrachten konnte. Schließlich kam die Idee auf, „das Fernsehen“ selbst als Helfer für die Bedürftigen einzusetzen. „Die Super Nanny“ Katharina Saalfrank kommt seit knapp drei Jahren im Auftrag von RTL zu Familien nach Hause, wo Kinder Probleme machen oder haben. „Der TV-Elendstourismus ist die dritte Welle des Echte-Leute-Wahns“, stellt „Focus“ fest. Allein am vergangenen Mittwoch hielt die „Super Nanny“ 3,26 Millionen Menschen bei RTL, mehr als jeden Fünften in der werbewichtigen Zielgruppe.

Hilfe vor der Kamera

Mittlerweile vergeht kein Tag ohne „Frauentausch“, „Bauer sucht Frau“ oder „Schwiegertochter gesucht!“. Und Verona Pooth ist seit zwei Wochen für RTL2 ein „Engel im Einsatz“. Die frühere Moderatorin des Erotik-Talks „Peep!“ kommt mit einem Kamera-Team bei Familien in Notlagen vorbei und hilft. So besuchte sie beispielsweise eine junge Mutter, deren Mann gestorben ist und die nun in Geldsorgen steckt und ihre Wohnung verlassen muss. Am Ende der Sendung freut sich die Familie über eine neue Wohnung, und RTL2 freut sich über 1,63 Millionen Zuschauer.

Auch ProSieben hatte Grund zum Freuen: laut „Focus“ feierte der Sender am Montag den „erfolgreichsten Nachmittag des Jahres“. Die Doku-Soap „We are Family“, bei der „hinter die Kulissen deutscher Familien“ geschaut wird, hatte einen Marktanteil von 25,1 Prozent erreicht. In der ProSieben-Sendung „Das Model und der Freak“, die seit einer Woche läuft, helfen zwei Models einem weniger gut aussehenden „Freak“ dabei, „sein Leben besser zu meistern“. Schon einmal setzte ProSieben auf dieses Konzept: damals war es Verona Pooth, die in „The Swan“ (2004) 16 Frauen dabei half, sich von einem „hässlichen Entlein“ zu einem „wunderschönen Schwan“ zu verwandeln.

Weitere Hilfe von RTL: seit einem Monat kommt „Raus aus den Schulden“ mit Schuldnerberater Peter Zwegat. Dabei geht es um Familien, die vor der Kamera aus der Schuldenfalle kommen sollen.

Nicht nur Privatsender sind vom „Echte-Leute-Fernsehen“ überzeugt: seit vergangener Woche sendet der öffentlich-rechtliche Kultursender „Arte“ die zehnteilige Doku-Soap „Die Schule der Ärzte“, wo laut „Focus“ „Jungmediziner in gesundheitlich bedenklicher Weise der Doppelbelastung Berufsanfänger und TV-Star erliegen“.

„Focus“ sieht vor allem im Mitmachen den „Megatrend“: „Der moderne Mensch holt sich als Kellner im Café den Kaffee selbst. Erledigt als Bankbeschäftigter ohne Bezahlung seine Überweisung am Computer. Schickt am Flughafen sein Gepäck selbstständig auf Reisen. Und stellt sich jetzt dem Fernsehen zur Verfügung, zum Gaudium der anderen.“

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen