Medien werden als Teil der Elite wahrgenommen

Wie können die Medien das verloren gegangene Vertrauen der Bürger im „postfaktischen Zeitalter“ wiedergewinnen? Dieser Frage sind der BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb, die Bundestagsabgeordnete Andrea Lindholz und der Kriminologe Christian Pfeiffer in Berlin nachgegangen.
Von PRO
Berliner Podiumsdiskussion mit Christian Pfeiffer, Andrea Lindholz, Sigmund Gottlieb und Alexander Kissler (v.l.n.r.)

Der „Faktencheck“ führt ein Nischendasein im Schatten der TV-Talkshows. Menschen lassen sich von ihren Emotionen steuern und vertrauen der gefühlten Wahrheit. Mit diesen Behauptungen führte der Leiter des Hauptstadtbüros der Hanns-Seidel-Stiftung, Alexander Wolf, in die Diskussion des Abends ein. „Wie können die Medien verlorenes Vertrauen der Bürger wieder zurückgewinnen?“, gab Wolf als Leitfrage aus.
Auf Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung, die sich für ein christliches Wertefundament stark macht, fand diese Woche in der bayerischen Vertretung in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Thema „Bürger, Medien und Politik im postfaktischen Zeitalter“ statt. Vor geschätzten 300 Zuschauern diskutierten auf dem Podium die CSU-Bundestagsabgeordnete Andrea Lindholz, der Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, Sigmund Gottlieb, und der Kriminologe Christian Pfeiffer. Der Cicero-Redakteur Alexander Kissler moderierte den Abend.

Als Volksverräterin beschimpft

Die CSU-Abgeordnete Lindholz berichtete, wie sich seit ihrem Eintritt in den Bundestag vor drei Jahren das Klima des Landes verändert hat. „Die Dynamik in der Bevölkerung hat sich durch die Griechenlandkrise und die Flüchtlingsthematik stark gewandelt“, sagte Lindholz. Das merke sie an den Infoständen ihrer Partei, aber auch im alltäglichen Umgang mit dem Internet. Als „Volksverräterin“ sei sie zum Beispiel in einem E-Mail-Wechsel beschimpft worden. „Sachliche Auseinandersetzungen sind schwieriger geworden, die Ängste und Sorgen der Menschen haben sich extrem verschärft“, sagte Lindholz.
BR-Chefredakteur Gottlieb glänzte zu Anfang der Diskussion mit Wortschöpfungen wie dem „Sofortismus“, der selbstkritisch seine eigene Zunft beschrieb. Diese bringe rasend schnell erst einmal alles unreflektiert in den Umlauf, was sich im Tempo auf die Menschen übertrage: „Die Menschen wollen schnelle Entscheidungen, weil die Medien sie so schnell einfordern.“ Dass es eine „Große Koalition“ zwischen der Großen Koalition im Bundestag und einer Mehrheit der Medien gebe, war eine weitere Beobachtung Gottliebs.

TV-Gast sollte Wort „Flüchtlinge“ im Zusammenhang mit Kriminalität meiden

Gottlieb gestand eine Überforderung der Medien durch die heutige Welt ein. Auch sieht er, dass Journalisten zum Teil die Nähe zu den Menschen verloren hätten, weil sie vieles vom Computer aus erledigten, ohne die Lebenswirklichkeit vor Ort zu recherchieren: „Der schlimmste Befund ist aber eigentlich, dass die Medien mittlerweile als Teil der Elite wahrgenommen werden.“
Der ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, schilderte eine Episode, die ihm beim öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix passiert war. Eine Redakteurin wies ihn bei einer Themenrunde im Winter 2015 im Vorfeld daraufhin, dass er doch das Wort „Flüchtling“ in diesem Kontext nicht benutzen solle. „Das Verschweigen von offensichtlichen Fakten schlägt ganz negativ durch“, sagte Pfeiffer im Bezug auf die Flüchtlingskrise und die Silvesternacht von Köln. Da habe der Staat einen Kontrollverlust in der Silvesternacht, aber auch dann an den Grenzen oder beim Amoklauf in München demonstriert.

Vergreisung der Republik erhöht Sicherheit des Landes

Alle Statistiken zu Sexualmord, Jugendgewalt oder Mord durch Schusswaffen seien in der Bundesrepublik rückläufig, sagte Pfeiffer. Das erkläre die Verwirrung der Menschen, weil sich für sie die gefühlte Wirklichkeit anders darstelle. „Die Vergreisung der Republik erhöht die Sicherheit im Land enorm“, stellte Pfeiffer fest und erntete Lacher im Publikum. Die Diskrepanz der Menschen speise sich zum Teil auch durch ihre Wahrnehmung durch das Fernsehen. Seiner Beobachtung nach habe die Darstellung der Gewalt dort deutlich zugenommen.
„Mit einem gelogenen Facebook-Beitrag kannst du heutzutage mehr Menschen erreichen als mit einer Tagesschau-Ausgabe“, sagte Gottlieb. Die CSU-Abgeordnete Lindholz ergänzte: „Bei den meisten Lesern hört das Interesse schon bei dem Bild und der Überschrift auf.“ Wenn sich eine Lüge verbreite, lasse sie sich kaum wieder einfangen.

Flüchtlingskrise: Ruf der Medien war ruiniert

Bei der medialen Darstellung der Flüchtlingskrise waren sich die Diskutanten einig. „Warum haben sich die Medien nicht getraut, von Anfang an Licht und Schatten der Flüchtlingskrise zu zeigen?“, fragte Lindholz. Gottlieb pflichtete bei: „Durch die Wucht der ersten Tage der einseitigen Berichterstattung war der Ruf ruiniert.“ Andere Darstellungen zu eine späteren Zeitpunkt seien gar nicht mehr wahrgenommen worden.
Auch der von Gottlieb so bezeichnete „Nanny-Journalismus“, bei dem Redakteure ihre Leser zum Thema Alternative für Deutschland (AfD) bevormunden, weil sie ihnen keine eigenständige Einschätzung zutrauen, wurde diskutiert. Lindholz hielt nichts vom AfD-Bashing und will sich ernsthaft mit der Partei auseinandersetzen. In dieser Bewegung spiegele sich eine Grundunzufriedenheit der Deutschen, die ernstgenommen werden solle. (pro)Meinungsmanipulation in den Medien? (pro)
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