Medien berichteten einseitig über Flüchtlinge

Als 2015 über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kamen, berichteten die Medien einseitig darüber – aber nicht nur zugunsten der Migranten. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Mainz. Ein Medium fällt in mancher Hinsicht auf.
Von Jonathan Steinert
Die Medien in Deutschland zeichneten ein widersprüchliches Bild von der Flüchtlingskrise

Während der sogenannten Flüchtlingskrise haben sich die Medien hinsichtlich journalistischer Distanz und Objektivität nicht von ihrer besten Seite gezeigt. In einer neuen Studie mit dem Titel „Auf den Spuren der Lügenpresse“ hat ein Team um den Mainzer Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer nachgewiesen, dass die Berichterstattung über Flüchtlinge nicht in jeder Hinsicht ausgewogen war – allerdings auch nicht nur einseitig positiv.

Maurer und sein Team wollten in der Studie zwei Fragen beantworten: War die Berichterstattung über Flüchtlinge richtig, also entsprach sie den Fakten, und war sie ausgewogen, lieferte verschiedene Perspektiven und Bewertungen zu dem Thema. Dafür haben sie die Beiträge der Bild-Zeitung, der Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sowie der Nachrichtensendungen Tagesschau, heute und RTL aktuell zwischen Mai 2015 und Januar 2016 analysiert. Um zu vergleichen, ob die Berichte zutreffend waren, zogen die Forscher unter anderem statistische Daten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie des Bundeskriminalamtes zu Rate.

Häufig wurde den Medien von Kritikern vorgeworfen, vor allem Frauen und Kinder zu zeigen statt junge Männer, die doch die Mehrheit der Flüchtlinge ausmachten. Laut Statistik waren etwas mehr als die Hälfte der Asylbewerber erwachsene Männer, etwas weniger als 20 Prozent Frauen und rund 30 Prozent Minderjährige. „Entgegen den Eindrücken eines großen Teils der Bevölkerung entsprachen die Mediendarstellungen diesen Verteilungen in Text und Bild fast exakt“, stellten die Forscher bei ihrer Inhaltsanalyse fest. Mit einer auffälligen Ausnahme: In der Tagesschau waren Frauen und Kinder in Wort und Bild überrepräsentiert und machten mehr als die Hälfte der Berichterstattung aus.

Silvesternacht in Köln bringt Wende in der Berichterstattung

Bei der Berichterstattung über kriminelle Vergehen von Flüchtlingen wichen die Medien vom üblichen Maß ihrer Kriminalitätsberichterstattung ab – und zwar in beide Richtungen. Maurer und Kollegen stellten fest, dass sich 2015 zwei Prozent der Beiträge über Flüchtlinge mit deren kriminellen Vergehen beschäftigten: seltener als üblich, verglichen mit der sonstigen Quote dieses Themas von drei bis elf Prozent der Gesamtberichterstattung.

Im Januar 2016 – nach den massenhaften Übergriffen in der Silvesternacht – stieg der Anteil von Berichten über kriminelle Flüchtlinge jedoch rapide an und machte rund ein Viertel der Berichterstattung über Migranten aus: „Rechnet man die Beiträge ab, die sich direkt mit den Vorfällen in Köln befassten, berichteten die Medien in diesem Monat noch immer fast genauso häufig über andere Fälle von Flüchtlingskriminalität (86 Beiträge) wie im gesamten Jahr 2015.“ Die Analyse zeigte außerdem: Medien greifen zu 90 Prozent Gewalt- und Sexualdelikte von Flüchtlingen auf. Dabei führen Delikte wie Raub und Diebstahl mit über 70 Prozent die Kriminalitätstatistik an. Diese Abweichung führen die Forscher auf allgemeine journalistische Auswahlkriterien zurück – schlimmere Vergehen wecken mehr Aufmerksamkeit.

Öffentlich-rechtliche Nachrichten berichten am positivsten

Um herauszufinden, wie ausgewogen die Medien berichteten, prüften die Wissenschaftler zunächst, wie die Zeitungen und Sender Flüchtlinge als solche bewerteten. Dabei zeigte sich, dass nur die Bild-Zeitung etwa gleich oft positiv wie negativ über Flüchtlinge schrieb. Die Süddeutsche und die Frankfurter Allgemeine Zeitung zeichneten im Untersuchungszeitraum ein tendenziell positives Bild von Flüchtlingen mit einem Anteil von 26 beziehungsweise 16 Prozent befürwortender Wertungen. Die öffentlich-rechtlichen Nachrichten stellten sie jedoch mit jeweils über 70 Prozent fast ausschließlich positiv dar.

Allerdings betonten alle untersuchten Medien überwiegend die Gefahren der Zuwanderung – und nicht ihre Chancen. „Die Medien vermittelten insgesamt folglich keinen ausgewogenen, sondern einen widersprüchlichen Eindruck von der Lage“, resümieren die Forscher.

Darüber hinaus zeigte sich, dass eher konservative Medien wie die Frankfurter Allgemeine und die Bild-Zeitung in ihren Beiträgen die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung stärker betonten. Die anderen Medien gaben den Interessen der Zuwanderer ein höheres Gewicht – allen voran die Tagesschau.

Kritik an Medien trifft nur teilweise zu

Maurer und seine Kollegen kommen zu dem Schluss, dass die Medien die Faktenlage weitestgehend richtig dargestellt haben. Einzig die Tagesschau habe ein verzerrtes Bild davon geliefert, wie viele Männer, Frauen und Kinder unter den Flüchtlingen sind. Die Abweichung bei den Anteilen der Kriminalität von Flüchtlingen ist in den Augen der Forscher keine Besonderheit der Berichterstattung über Migranten, sondern finde sich auch in anderen Bereichen der Kriminalitätsberichterstattung. An Ausgewogenheit habe es den Medien jedoch insgesamt gefehlt, allerdings in verschiedene Richtungen, denn sie sei nicht allein zugunsten der Flüchtlinge ausgefallen.

Die Kritik von Teilen der Bevölkerung an der Berichterstattung treffe daher nur teilweise zu. Das könne unter anderem daran liegen, dass man die Berichterstattung generell eher für unglaubwürdig hält, wenn sie den eigenen Vorstellungen widerspricht. Es sei nicht zu erwarten, dass Journalisten ein ganz exaktes Bild von der Wirklichkeit liefern könnten. Gängige journalistische Auswahlkriterien oder auch die redaktionelle Linie des Mediums beeinflussten die mediale Darstellung eines Themas.

Die gesellschaftliche Bedeutung dessen sei allerdings groß, weil die Berichterstattung „aller Wahrscheinlichkeit nach“ das Bild präge, „das die Bevölkerung von den Zuwanderern erhält“, schreiben die Wissenschaftler. Die zukünftige Bedeutung journalistischer Nachrichtenmedien werde voraussichtlich davon abhängen, „ob sich die Rezipienten darauf verlassen können, dass Informationen aus journalistischen Quellen zuverlässiger und ausgewogener sind als Informationen aus sozialen Medien und anderen nicht journalistischen Quellen“.

Von: Jonathan Steinert

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