Was wir in Japan beobachten können, gehört zu den größten Naturkatastrophen der Menschheit: wohl mehr als 20.000 Tote, noch mehr Obdachlose, Schäden in Milliardenhöhe, ganze Landstriche verwüstet. Wir sprechen nicht von dem Nuklearunfall von Fukushima. Es geht um das Erdbeben mit dem anschließenden Tsunami. Aufgrund der beschädigten Reaktoren gab es (bis Redaktionsschluss) da gegen null Tote und nur wenige leicht Verletzte. Die Schwerpunktsetzung in den deutschen Medien war aber genau umgekehrt. Wer etwas über die Todes opfer, ihre Angehörigen, die Rettungsarbeiten in den überschwemmten Gebieten erfahren wollte, musste an manchen Tagen in den Zeitungen sehr intensiv suchen oder bei den Fernsehnachrichten auf den Meldungsblock am Ende warten. Stets dominant waren dagegen die Bilder und Nachrichten aus Fukushima, selbst wenn es gar keine neuen Bilder und Nachrichten gab.
Auch wenn die Lage unübersichtlich war, Meldungen bisweilen nur auf Gerüchten basierten, schreckte es deutsche Medien nicht ab, reißerisch darüber zu berichten. Sogar sonst hoch seriöse Sender, wie der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk, waren sich nicht zu schade, in den viel gehörten Morgen nachrichten mit drei Arbeitern in Fukushima aufzumachen, die einer "außer ordentlich hohen Strahlendosis" ausgesetzt worden seien. Die Meldung klang alarmierend. Es hätte allerdings schon stutzig machen müssen, dass laut dieser Meldung nur zwei der drei Arbeiter ins Krankenhaus gekommen waren. Und tatsächlich relativierte im selben Sender kurz darauf die eigene Wissenschaftsredakteurin die Bedeutung des Ereignisses. Trotzdem eröffnete der Sender seine Nachrichten nur wenige Minuten später schon wieder mit den verstrahlten Arbeitern. Warum es drei – im ungünstigsten Fall – leicht Verletzte in 8.000 Kilometer Entfernung vom deutschen Hörer in die wichtigsten Radionachrichten des Tages schafften, ist nicht mehr mit objektiver Nachrichtenauswahl zu erklären. War es blamable Unkenntnis der Redaktion? Oder gar gewollte Stimmungsmache? Übrigens: Bei den drei Arbeitern konnten weder Verstrahlungen noch gesundheitliche Beeinträchtigungen fest gestellt werden. Doch auf diese Meldung im Deutschlandfunk warten wir bis heute vergeblich.
Dabei haben die meisten deutschen Medien von Anfang an schon mit der Auswahl der "Experten" gezeigt, dass es ihnen mehr um Tendenz als um Tatsachen ging. So wurde von allen Sendern immer wieder Michael Sailer als "Atomexperte" befragt, obwohl dieser als Geschäftsführer des linken Öko-Instituts arbeitet. Die linksalternative "taz" beschrieb ihn einst als einen "der profiliertesten Atomkritiker". Der Greenpeace-Aktivist Tobias Riedl hat durch Fukushima eine ähnliche MedienKarriere hinter sich. Er wurde von den meisten Medien nicht als das eingestuft, was er ist – ein Anti-Atom Lobbyist – sondern als neutraler Experte. Das wäre so, wie wenn man den Chef des Vegetarierbundes zum Nutzen von Schweinfilet befragen würde.
Wer sehen wollte, wie es auch anders geht, musste sich in ausländischen Me dien über die Ereignisse in Japan informieren: Von der britischen BBC bis hin zu sonst eher reißerischen Medien wie dem US-Sender CNN war die Berichterstattung deutlich unaufgeregter, ausgewogener und vor allem nicht allein auf die Reaktorblöcke von Fukushima fokussiert. Offenbar hatte die deutsche Berichterstattung "Erfolg": Der Absatz von Jod-Tabletten in Deutschland stieg an – eine völlig irrationale und sinnlose Reaktion. Und die Anti-Atom-Partei "Die Grünen" bekam bei den Landtagswahlen ungeahnte Stimmenzuwächse, zieht in zwei Regierungen ein und stellt im ehemals schwarz-gelben Stammland Baden Württemberg den Ministerpräsidenten. Für so manchen Medienschaffenden in Deutschland war damit wohl die persönliche Mission erfüllt.
Thorsten Alsleben (39) war neun Jahre lang Korrespondent für Wirtschafts- und Finanzpolitik im ZDF-Hauptstadtstudio und ist jetzt Hauptstadt-Repräsentant der Unternehmens- und Personalberatung Kienbaum. (pro)