Matussek sieht keinen „christlichen Terrorismus“

"Spiegel"-Autor Matthias Matussek hat sich dagegen ausgesprochen, dass Journalisten den Attentäter von Oslo als "Christen" bezeichnen oder ihn in einen Zusammenhang mit der "Tea Party"-Bewegung in den USA bringen. "Noch einmal zum Mitschreiben: Breiviks Massenmord hatte nichts mit dem Christentum zu tun", schreibt Matussek unter der Überschrift "Entwarnung: Papst doch kein Terrorist!".
Von PRO
Die Frage, inwiefern man Anders Behring Breivik als Christen bezeichnen kann und auf welche islamkritischen Quellen er sich bezieht, beschäftigt noch immer die Magazine und Zeitungen. Der "Stern" interviewte die Macher des islamkritischen Weblogs "Politically Incorrect" und portraitierte in diesem Zusammenhang die "Tea Party" in den USA. Das Magazin "Focus" fragt in der aktuellen Ausgabe nach den "angeblichen Hintermännern" des Attentäters, auf deren Schriften er sich teilweise bezieht, etwa Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin, Geert Wilders oder Uwe Schünemann.

Nun schrieb der "Spiegel"-Autor und bekennende Katholik Matthias Matussek in einem Kommentar: "Die Breivik-Keule ist sicher, sie ist wirksam, sie kann von jedem Deppen geschwungen werden." Wer von dem Massenmörder in seinem Manifest zitiert werde, stehe derzeit in dem Verdacht, zu dem Verbrechen angestiftet zu haben. "Nur einer hat Glück: der Papst."

Eine "Krankheit" habe die Feuilletons befallen, so der Journalist, die "Denunziationssucht". "Die linke Sympathisantenjagd auf Islamkritiker oder Konservative oder Christliche oder alle, die man sowieso nie leiden konnte und die jetzt mal, im Schatten eines Massenmordes, ordentlich abgeschrubbt werden dürfen."

So habe es etwa den Journalisten Henryk Broder getroffen. Mehrere Feuilletonisten hatten geschrieben, Broder sei indirekt mitverantwortlich für ein solches Attentat wie das von Oslo, weil er seit Jahren den Islam kritisch behandle. Bezug nehmend auf ein Interview, das Broder einer niederländischen Zeitung gab, schreibt Matussek: "Unverblümter kann man keinen Irren zum Mord anstiften, als es hier der Jude Broder mit dem ‚Christen‘ Breivik tat. Allerdings haben in Breiviks Schädel auch andere Zitate verheerende Wirkung hinterlassen, darunter solche von Angela Merkel, Jesus, Nietzsche, Marx. Ein wahrlich mörderisches Stimmenkonzert."

"Christlicher Terrorismus? Wo soll der derzeit sein?"

Der "Spiegel"-Autor bezeichnet es als einen "religionspolitischen Grundirrtum", der der aktuellen Debatte zugrunde liege: Breiviks Anschlag sei keinesfalls als "christlicher Terrorismus" zu verstehen. "Kreuzzug, Christen, Terror. Selbst Jens Jessen in der ‚Zeit‘ tappt in diese neue Kurzschlussfalle. Für ihn ist Breiviks Massenmord das Spiegelbild des Anschlags auf das World Trade Center", so Matussek. Hier würden Islam und Christentum "wahnhaft und grotesk missverstanden". "Noch einmal zum Mitschreiben: Breiviks Massenmord hatte nichts mit dem Christentum zu tun. Dessen Kernbotschaft ist die Liebe, auch die Feindesliebe. Breivik verachtete diese Liebe als Schwäche. Er setzt sich ausdrücklich von ihr ab."

Dagegen hätten sich Mohammed Atta und Osama Bin Laden und Tausende Selbstmordattentäter "in ihrem Hass" auf Koranstellen stützen können. "Sie berufen sich ausdrücklich auf ihn, lassen sich von ihm inspirieren und rechtfertigen."

Der Autor fragt: "Christlicher Terrorismus? Wo soll der derzeit sein? Mir ist nicht bekannt, dass in der Präsentation des letzten Verfassungsschutzberichts durch den Innenminister die Gefahr durch christliche Terrorgruppen hervorgehoben worden wäre – wohl aber die durch islamische. Christliches Morden? Mir ist nicht bekannt, dass Christen Jagd auf islamische Ordensleute oder Muftis machen würden oder islamische Politiker ermorden würden – das geht doch eher in die umgekehrte Richtung, in Pakistan, im Sudan, in Nigeria, in Ländern oder Landstrichen also, wo die islamische Mehrheit keine andere Religion neben sich duldet, und mit Multikulti nun überhaupt nichts am Hut hat."

Weiter schreibt Matussek: "Nein, Breivik war kein christlicher Tempelritter. Er hat sich nur mit deren Schürze dekoriert. Er war auch kein Christ. Er hat sich dessen Vokabular übergestülpt wie in einem monströsen Horrorfilm. Er hat die Kindlein zu sich gewinkt, nicht um ihnen das Himmelreich zu versprechen, sondern um sie zu töten wie Schlachtopfer in einem dunklen hysterischen Privatkult." Matussek kritisiert zudem seinen Kollegen Georg Diez, der Breivik in einem "Spiegel online"-Artikel "auf geheimnisvolle Art mit der Tea Party" in einen Zusammenhang stelle. Und die wiederum würden die USA zugrunderichten und die Weltwirtschaft torpedieren wollen. "Was nicht nur wahnhaft klingt, sondern auch wahnhaft ist", so Matussek.

Theologin: "Naiv", Breivik nicht als Christen zu bezeichnen

"Zeit online" fragte die katholische Theologin Saskia Wendel, ob Anders Breivik ein christlicher Fundamentalist sei. Sie antwortet: "Ja und nein. Einerseits bezeichnet er sich als nicht religiös, andererseits nimmt er das Christentum in Anspruch, um sein Handeln zu legitimieren."

Die "Zeit"-Autorin für das Ressort Religion, Evelyn Finger, fragt weiter, ob es überhaupt richtig sei, das Manifest Breiviks zu lesen, oder ob man es besser totschweigen sollte. Wendel: "Ich finde es politisch falsch, Gefährdungspotenziale zu tabuisieren. Das betrifft auch solche religiösen Legitimationsversuche."

Der Attentäter habe sich offenbar ausführlich mit dem Islam und der Geschichte des Christentums beschäftigt, stellt die Theologin fest. Daraus habe er eine "europäische Identität" konstruiert. Ein "rein christlichen Europa" sei jedoch ein "Mythos", so Wendel. "Natürlich prägt (das Christentum) unsere Identität, unsere Ethik und unsere politischen Überzeugungen. Aber wir Christen müssen uns endlich damit abfinden, dass wir in einer pluralen Gesellschaft leben. Damit ist unser Glaube einer unter vielen."

Sie halte es für "naiv", zu sagen, Breivik sei kein Christ. "Die Kirchengeschichte zeigt, dass es immer Christen gab, die im Namen des Seelenheils oder der Rettung der Welt mordeten. Wer christlichen Fundamentalismus tabuisiert, der leistet dem Irrtum Vorschub, religiösen Terror gebe es nur im Islam." Sie betont aber, dass eine christliche Perspektive Gewalt nie rechtfertige. "Die berühmte Bibelstelle ‚Ich bringe euch nicht den Frieden, sondern das Schwert‘ ist kein Kriegsaufruf, aber sie wurde dazu benutzt." (pro)
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,778795,00.html
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