„Masochistische“ Kirche im Film

Seine Filme sind "verstörend". Das ist volle Absicht, denn gerade das bringe in den Köpfen ja etwas in Gang, meint Ulrich Seidl. In seinem neuen Film "Paradies: Glaube", zweiter Teil seiner "Paradies"-Trilogie, geht es um streng religiöse Menschen. Auf die Frage, ob der Film denn nicht eine Protestwelle auslösen werde, äußerte Seidl gegenüber dem österreichischen Magazin "Profil", er habe in dem Punkt keine Bedenken. "Die Kirche" sei "mittlerweile zur Empörung zu schwach".
Von PRO

Mit dem neuen Film zieht er in dem Kampf um den goldenen Löwen bei den Filmfestspielen in Venedig. Den ersten Teil der Trilogie ("Paradies: Liebe") hatte er bereits in Cannes vorgestellt. Die Hauptrolle spielt Maria Hofstätter, die vor elf Jahren schon in Seidls Film "Hundstage" zu sehen war. Die zweite Hauptrolle wird von Nabil Saleh besetzt. Es geht um eine streng katholische Frau, die während ihrer Urlaubstage mit einer "Wandermuttergottes", einer Marienfigur, von Tür zu Tür geht. Verheiratet ist sie mit einem gläubigen Muslim, der sich – an den Rollstuhl gefesselt –   wieder stärker auf seinen Glauben zurückzubesinnen beginnt.

Sex und Religion, das sind die beiden vorherrschenden Themen in diesem Film. Denn "das eine hat viel mit dem anderen zu tun", behauptet Seidl im Interview mit "Profil". "Da wurde unter dem Deckmantel der Religion eine Art des Masochismus entwickelt. Die Körperfeindlichkeit, die von der katholischen Kirche vorgegeben wird, erzeugt oft das Gegenteil: eine geheime Lust." Sex müsse auch deswegen eine Rolle spielen, da die Protagonistin gegen ihre sexuelle Frustration anzukämpfen habe. "Sie leidet an der offen ausgelebten Sexualität, von der auch die Medien voll sind."

Für Maria Höfstätter sei es indes gar nicht so leicht gewesen, sich in die Rolle einzuarbeiten. Sie habe laut Seidl noch mit der streng religiösen Erziehung ihrer Familie zu kämpfen, in der "wenigstens dreimal am Tag stehend in der Küche" gebetet wurde. Seidl selbst geht es ähnlich: "Wenn man so streng erzogen wird, kämpft man vor allem mit dem schlechten Gewissen. Das kriegt man ein Leben lang nicht mehr los. Die Gottesfurcht holt einen immer wieder ein."

Der dargestellte eheliche Kleinkrieg wird vor allem auf dem Gebiet der Religion ausgetragen. Das will Seidl aber nicht als Religionskritik verstanden wissen: "Es geht um zwei Menschen." Die Kirche sei dabei nichts weiter als das Milieu der Figur. "Die Religiosität dieser Frau führt zu einer extremen Jesus-Liebe, die auch körperlich wird – das mag eine Provokation sein. Denn natürlich zeige ich eine Frau, die Jesus nicht nur als ihren Herrn und Gebieter, sondern letztlich auch als ihren Liebhaber und Sexualpartner sieht. […] Trotzdem glaube ich, dass die Kirche mittlerweile zur Empörung zu schwach ist."

Auch der muslimische Ehemann stünde als Figur nicht für den Islam an sich. Auf die Frage, ob es ihn störe, wenn sich Muslime in dem Film schlecht präsentiert sähen, antwortet Seidl: "Es interessiert mich nicht. Denn der offizielle Muslim, der nur friedfertig handelt, brav betet, nie trinkt und Distanz zu westlichen Frauen hält, ist nicht die Wahrheit – ebenso wenig wie der stets wohlmeinende Christ. Und mit meinen Filmen versuche ich seit jeher, der Wahrheit wenigstens nahezukommen, hinter die Fassaden zu schauen."

Große Teile von Seidls Filmen erinnern an TV-Doku-Dramen. Das Schauspiel soll wie dokumentierte Realität wirken. Der 59- jährige ist als Sohn einer religiösen Ärztefamilie in Horn (Österreich) aufgewachsen und sollte ursprünglich Priester werden. Sein bisher erfolgreichster Film ist der 2001 erschienene "Hundstage". International lockte dieser 250.000 Besucher in die Kinos. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb 2010, Seidl gelte vielen als Extremfilmer, der mit radikaler Aufgeschlossenheit Einsame, Hässliche, Außenseiter und Deformierte porträtiert. (pro)

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