Martin Walser: „Jesus ist größte Herausforderung der Geschichte“
Wer einmal mit dem "Glaubensproblem" zu tun bekommen habe, der könne nicht mehr "so einfach zur Tagesordnung übergehen wie ein bekennender Atheist". In einem Interview mit dem Online-Magazin "The European" sprach der Schriftsteller Martin Walser über den Glauben und warum der sich in besonderer Weise in einer Suche nach Rechtfertigung ausdrückt.
Von PRO
Foto: A.Savin (CC-BY-SA)
Ihn interessierten solche Charaktere in der Literaturgeschichte, die mit dem "Rechtfertigungsdruck" nicht fertiggeworden seien, sagte Walser. "An der Glaubensfrage kommen wir dabei nie vorbei. Gott oder nicht Gott bleibt eine entscheidende Frage, deren Beantwortung nach Barth oder Kierkegaard nie positiv abzuschließen ist."
Martin Walser, der am 24. März 85 Jahre alt wird, studierte an den Universitäten Regensburg und Tübingen Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Bevor 1957 sein erster Roman "Ehen in Philippsburg" erschien, reiste Walser für den Süddeutschen Rundfunk unter anderem nach Frankreich, Italien und Polen. Alexander Görlach, Herausgeber von "The European" und diplomierter katholischer Theologe, befragte den mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Schriftsteller zum Thema Rechtfertigung.
"Früher fühlten sich die Menschen einer religiösen Gottheit gegenüber verpflichtet, eine Rechtfertigung vorzubringen", so Walser. "Sie konnten sich nicht selbst rechtfertigen. (…) Deswegen benötigten sie dazu eine höhere Instanz. Schließlich entstanden daraus die Religionen mit ihren unterschiedlichen Moralvorstellungen, weil die Menschen als solche sich nicht selbst rechtfertigen konnten."
"Wir sind eingeschlafen"
Ab Martin Luther sei Religion "anwendbarer" geworden, und umso mehr habe man tun müssen, um sich gerechtfertigt zu fühlen, so der Schriftsteller. Er spricht zudem von einer "gemütlich gewordenen Beziehung der evangelischen Kirche zu Gott", die der Theologe Karl Barth angegriffen habe. "Wenn man Karl Barth liest, dann fällt sicherlich nicht nur mir auf, dass wir eingeschlafen sind und die Rechtfertigung aus allen möglichen Ersatzbefriedigungen produziert haben." Die Figur Josef K. müsse in Franz Kafkas Roman "Der Prozess" an seinem dreißigsten Geburtstag vor Gericht über sein Leben Rechenschaft ablegen. Als er merke, dass er sein Dasein mit dem, was er vorzubringen hat, nicht rechtfertigen könne, gehe er zu Anwälten, Künstlern und schließlich zu einem Priester. "Je mehr er sich um die eigene Rechtfertigung bemüht, desto klarer wird ihm, dass er nicht gerechtfertigt ist", so Walser. "Ihm fehlt da etwas."
Walser ist überzeugt: "Wenn dieses Glaubensproblem in einem Menschen einmal wach geworden ist, kann er nicht mehr so einfach zur Tagesordnung übergehen wie ein bekennender Atheist. (…) Hinter uns liegen nun 2000 Jahre, die von der offenen Frage nach einem Gott geprägt sind. Die völlige Beruhigung im heutigen Atheismus, also auch von Intellektuellen, halte ich geradezu für eine Vernichtung unserer Geistesgeschichte. (…) Weil wir dann sagen müssten, dass die ja alle nicht ganz bei Trost waren. Wir können doch nicht über 2000 Jahre lang die Gottesfrage so wichtig nehmen und dann zur Tagesordnung übergehen und behaupten, sie interessiere uns nicht."
Die für ihn "wichtigste Begabung, um glauben zu können", sei der Sinn für das Schöne. "Nehmen Sie Bach oder Schubert. Ihre zu Gott gewandte Musik hat unsere irdische Existenz ausgefüllt und geformt. Wenn man sich hingegen als bekennender Atheist beruhigt zurücklehnen kann, dann geht dieser ganze Reichtum der Geschichte verloren", ist Walser überzeugt. "Dann hat das alles keinen Sinn und man weiß nicht, warum sich die Fugen so unendlich bewegen und zu keinem Ende finden können."
Er könne die Frage nach Gott "nicht abstreifen". Karl Barth betone immer wieder, dass das Christentum und die Glaubensfrage ohne die Auferstehung leer sei, so der Buchautor. "Später wird Jesus dann gar eine Vermittlungsfigur zwischen Gott und den Menschen, was mich dann allerdings nicht mehr so sehr interessierte, weil es mir zu positiv vorkam."
Auf die Frage, was für ihn Jesus Christus bedeute, antwortet Walser: "Wenn Sie gestatten, kann ich darauf eigentlich nicht antworten. Er ist einfach so viel, in jedem Alter etwas anderes. Ich kann nicht sagen, was er für mich ist. Daran, dass er die größte Herausforderung in unserer erlebbaren Geschichte ist, kann kein Zweifel sein." (pro)
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