pro: Herr Rieger, was ist der Grund für die Durchführung des „Religionsmonitors 2008“ und das Langzeitprojekt „Religionsmonitor?
Martin Rieger: Die Bertelsmann-Stiftung ist in verschiedenen Bereichen tätig und versucht, gesellschaftlich relevante Fragen aufzugreifen, sei es in den Bereichen Wirtschaft, Gesundheit, Politik oder Kultur. Dabei versuchen wir insbesondere Fragen aufzugreifen, die für die Zukunftsfähigkeit der Menschen wichtig sind. Es ist ein besonderes Verdienst der Stifterfamilie Mohn gewesen, die Frage nach der Religion im Rahmen der Bertelsmann-Stiftung aufzugreifen. Nicht nur im Zuge der voranschreitenden Globalisierung ist es evident, dass die Religion ein wichtiger, ein prägender Faktor ist. Unter anderem angestoßen durch große katholisch-kirchliche Ereignisse war es die Intention auch von Reinhard Mohn, selbst ein protestantischer Christ, den Fragen nach dem Glauben der Menschen und seiner gesellschaftlichen Bedeutung nachzugehen. Innerhalb der Stiftung befassen wir uns in verschiedenen Bereichen mit diesen Fragen, der „Religionsmonitor 2008“ ist eines der Projekte. Weitere Studien folgen, auf unserem Online-Portal www.religionsmonitor.de publizieren wir detailierte Ergebnisse.
Der „Religionsmonitor 2008“, den Sie Ende vergangenen Jahres vorstellten, analysiert den Glauben der Menschen nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wie haben Sie analysiert, was die Menschen glauben?
Wir haben uns die Frage gestellt: Wie religiös sind die Deutschen oder die Gesellschaft? Mit Wissenschaftlern aus den Disziplinen Soziologie, Psychologie, Theologie und Religionswissenschaften haben wir uns zunächst auf einen Religiositätsbegriff zu einigen. Denn für manche ist auch ein gut gefülltes Fußballstadion oder ein Verein eine Religion. Uns war es wichtig, einen substantiellen Religionsbegriff zugrunde zu legen, also einen Glauben an Gott – oder etwas Göttliches. In 21 Ländern weltweit wurde dann eine repräsentative Umfrage durchgeführt und den Menschen mehr als 100 Fragen zu ihrem Glauben gestellt. In Deutschland wurden zusätzliche Interviews durchgeführt und so genannte „hochreligiöse“, „religiöse“ und „nicht religiöse“ Menschen befragt.
Das heißt, Sie haben auch die Intensität des Glaubens untersucht?
Ja, das ist eine Besonderheit des „Religionsmonitors“. Wir konnten etwa feststellen, dass zum Beispiel der Gottesdienstbesuch in der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen signifikant weniger stattfindet als in anderen Altersgruppen. Das kann in der so genannten „Rushhour of Life“ begründet sein, in der sich die Menschen dieser Altersgruppe mehr der Familiengründung oder Berufsfindung widmen als dem Gottesdienstbesuch. Doch der Religionsmonitor fragt nicht nur nach Gottesdiensten, sondern auch nach dem persönlichen Glauben, dem Gebet oder den Glaubenserfahrungen. Dabei stellte sich heraus, dass manche ein zwar sehr lebendiges Gebetsleben haben, aber dennoch nicht häufig in die Kirche gehen. „Hochreligiöse“ zeichnen sich dadurch aus, dass der Glaube eine bestimmende Grundlage für das gesamte Leben darstellt. In Deutschland können 18 Prozent der Bevölkerung ab 18 Jahren als „hochreligiös“ bezeichnet werden – das sind immerhin 15 Millionen Menschen. Unter den evangelischen Christen sind 14 Prozent „Hochreligiöse“, unter den Katholiken 27 Prozent. Bei den „religiösen“ Menschen spielt der Glaube keine zentrale Rolle im Leben, sie sind jedoch zumindest ansprechbar für Glaubensthemen und praktizieren auch Religiosität. Viele lassen ihre Kinder taufen und gehen ab und an in die Kirche. Das sind immerhin 52 Prozent der deutschen Bevölkerung. Ein weiteres Ergebnis ist jedoch auch: Mindestens 16 Prozent der Mitglieder der Kirchen sind nicht religiös, ihre Kirchenmitgliedschaft steht nur auf dem Blatt. All diese Ergebnisse versuchen wir mit den Kirchen in Deutschland natürlich auch zu diskutieren.
Grundsätzlich gibt es die Stimmen, die sagen, wir erlebten auch in Deutschland derzeit ein „Comeback der Religion“. Andere sagen: „Die Religion wird in Zukunft an Relevanz verlieren.“ Was stimmt aufgrund Ihrer Erhebungen?
Von einem Aussterben der Religion kann und darf man in Deutschland nicht sprechen. Das gilt für alle Altersgruppen. Allerdings müssen wir feststellen, dass sich die Religiosität vermehrt als „Patchwork-Religion“ darstellt. Menschen stellen sich ihren Glauben selbst zusammen. Kirchen sollten diesen Trend sehr ernst nehmen – insbesondere den Umstand, dass es eine erschreckend geringe religiöse Bildung gibt. Für einige von uns Befragte ist es durchaus nicht ungewöhnlich gewesen, an die Reinkarnation zu glauben und sich trotzdem als Christ zu bezeichnen – was für einen Theologen mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist.
Wie aber reagieren die Kirchen, die Christen, auf diesen Trend?
Aus meiner Beobachtung könnten die kirchlichen Institutionen auf diesen Trend noch angemessener reagieren. Den Kirchen gelingt es offenbar nicht, ausreichend Glaubensinhalte in einer gewissen Systematik weiterzugeben. Das muss nicht im Sinne eines Katechismus sein, aber die Kirchen sollten über moderne Formen der Glaubensvermittlung nachdenken. Menschen, die ihren persönlichen Glauben eher „freischwebend“ leben, sind natürlich für christliche Themen ansprechbar. Diesen Umstand könnten Kirchen und Gemeinden verstärkt nutzen. Im Rahmen des „Religionsmonitors“ planen wir daher, im kommenden Jahr verstärkt die spezifische Religiosität von Jugendlichen zu untersuchen. Die Ergebnisse unserer Studien diskutieren wir auch mit Vertretern der Kirchen, um hier Chancen und Herausforderungen aufzuzeigen.
Welche Religionen und Glaubensrichtungen wachsen derzeit stark – und aus welchem Grund?
In den Ländern, wo auch die Erfahrungsdimension von Religiosität ausgeprägt ist, wachsen Gemeinden und Glaubensgruppierungen. Daher breitet sich die Pfingstbewegung etwa in Asien, Afrika und Südamerika rasant aus. Auch der Katholizismus hat emotionale Ansätze und versucht, sich in der Liturgie den Menschen mit Kopf und Herz zu nähern. In diesem Kontext haben es Glaubensrichtungen, die stärker besonders auf den Verstand setzen, schwerer. Doch wie sich die Situation in fünf oder zehn Jahren darstellt, können wir nicht sagen. In der Momentaufnahme stehen aber Kirchen im westlichen Europa vor eben diesen großen Herausforderungen.
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