„Maria und Josef waren auch Flüchtlinge

Spätestens das dramatische Bootsunglück vor Lampedusa hat die Öffentlichkeit aufhorchen lassen: Tausende versuchen über Europas Küsten Armut und Krieg zu entkommen. In Berlin kümmern sich Christen um Flüchtlinge, die es bis nach Deutschland schaffen.

Von PRO

Zuletzt war aus Berlin wenig Gutes zu hören, wenn es um das Thema Flüchtlinge ging. Im Stadtteil Hellersdorf demonstrierten Neonazis und Anwohner gegen Neuankömmlinge aus Syrien. In Brandenburg schmierten Rechte Parolen an die Hauswand eines Erstaufnahmelagers. Ein herzliches Willkommen sieht anders aus. Sechs Quadratmeter stehen einem Flüchtling per Gesetz in der Hauptstadt zu. Erwachsene Männer teilen sich ihr Zimmer vielerorts mit drei oder vier Leidensgenossen, Toiletten gibt es auf den Gängen, gekocht wird in Gemeinschaftsküchen. Privatsphäre ist den meisten im wahrsten Sinne ein Fremdwort.

Im Haus Leo der Berliner Stadtmission leben Flüchtlingsfamilien in Zwei-Zimmer-Wohnungen mit eigener Küche und eigenem Bad. Verglichen mit anderen Einrichtungen in und nahe der Hauptstadt ist das Luxus. Das Haus Leo liegt im Gegensatz zu anderen Anlagen im Herzen der Stadt, nur wenige Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, einen Kilometer vom Deutschen Bundestag. Das Heim ist kein Erstaufnahmelager – hier leben Menschen, die sich im laufenden Asylverfahren befinden. Auch der Leiter des Hauses, Daniel Manthey, weiß nicht, wie viele der derzeit 68 Gäste aus Syrien, Tschetschenien, dem Iran oder dem Irak in Deutschland bleiben dürfen und wie viele wieder gehen müssen. Doch egal, wie die Geschichten der Einzelnen ausgehen, für ihn ist es Teil seines christlichen Selbstverständnisses, zu helfen, wo er kann: „Immerhin waren Maria und Josef auch Flüchtlinge.”

„Notstand” in Flüchtlingsfragen

Das Flüchtlingswohnheim Haus Leo ist als Arbeitsbereich der Stadtmission Teil der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. In 17 Wohnungen können bis zu 73 Menschen unterkommen. Neben dem Haus Leo betreibt die Stadtmission Wohnprojekte für Alkoholkranke, bietet Notunterkünfte für Obdachlose an und vieles mehr. Die Flüchtlingsarbeit ist in Berlin gerade besonders drängend, findet Manthey. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zählt für das Jahr 2013 bisher 62.464 Erstanträge auf Asyl. Im Vorjahr waren es insgesamt rund halb so viele. Das geht auch an der Hauptstadt nicht vorbei. In vielen Stadtteilen funktionieren Behörden ehemalige Schulen und leerstehende Wohneinrichtungen zu Heimen um. Manthey spricht von einem „Notstand”. Auch deshalb nimmt die Senatsverwaltung das Angebot der Stadtmission gerne an.

Obwohl die Stadtmission eine christliche Organisation ist, hilft sie ausdrücklich Flüchtlingen aller Religionen. So kann es passieren, dass Muslime aus dem Irak Tür an Tür mit Christen aus dem Iran leben. „Wir wollen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit und auch unabhängig von ihrem Interesse am christlichen Glauben gleichermaßen helfen, und ihnen einen Ort der Annahme und Geborgenheit bieten”, sagt Manthey.

„Zugang zum Arbeitsmarkt ist das Mindeste”

Nicht nur durch die Aufnahme Tausender syrischer Kriegsflüchtlinge ist das Thema in den Medien präsent wie nie zuvor. Seit dem Kentern eines vollbesetzten Flüchtlingsbootes vor der italienischen Insel Lampedusa am vergangenen Donnerstag diskutieren EU-Politiker über eine Reform des bisherigen Asylrechts. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) appellierte jüngst an andere EU-Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen.

Der Bund hatte im März angekündigt, in einem Sonderprogramm 5.000 Syrer nach Deutschland zu holen. Bislang sind erst wenige Hundert von ihnen angekommen. Bis alle da sind, werden noch Monate vergehen. Menschenrechtsorganisationen beklagen, das deutsche Engagement reiche angesichts der massenhaften Flüchtlingsströme aus Syrien nicht annähernd aus.

Auch Manthey findet kritische Worte zur deutschen Asylpolitik. Der Zugang zum Arbeitsmarkt und staatlich geförderte Sprachkurse für Flüchtlinge seien das Mindeste, was er als Christ von der Bundesregierung fordere. „Wir tragen eine Mitverantwortung für diese Menschen”, sagt er und verweist auf deutsche Chemikalienexporte nach Syrien. Auch die Feindseligkeit, mit der einige Berliner den Flüchtlingen in Hellersdorf begegnet sind, habe ihn „erschrocken”. Er macht auch das Unwissen vieler Demonstranten für ihre Feindseligkeit verantwortlich. „Da hört man dann Sätze wie: ‚Die Ausländer wollen doch gar nicht arbeiten’”, erinnert er sich an eine Demonstration, die er selbst miterlebt hat. „Fakt ist aber doch: Selbst wenn diese Menschen wollen, dürfen sie derzeit in Deutschland erst arbeiten, wenn ihr Asyl genehmigt ist – und das dauert unter Umständen Jahre.” (pro)

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