Margot Käßmann wird 65: Pazifistin mit Wortgewalt

Sie bekleidete einst das wichtigste evangelische Amt in Deutschland, musste zurücktreten – und wurde danach noch populärer. Nun feiert Margot Käßmann ihren 65. Geburtstag und will es ruhiger angehen lassen. Ob das gelingen kann?
Von Anna Lutz
Die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann

Margot Käßmann ist so etwas wie eine ständige Konstante in Gesprächen über die Evangelische Kirche. Egal mit wem man spricht – kirchennah oder -fern – wie von Zauberhand scheint man irgendwann immer bei ihr zu landen. 

Geht es um Waffenlieferungen und Friedensethik, fällt ihr Name, weil sie sich als Pazifistin öffentlich positioniert und zeitweise sogar an der Seite der umstrittenen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht demonstrieren wollte. 

Geht es um den Mitgliederschwund der Kirchen, lobt mancher nach wie vor Käßmanns Redegewandtheit. Denn sie gilt als eine, die christliche Inhalte so verpackt, dass auch Nichtchristen sie verstehen. Als eine, die Menschen in die Kirche zieht, die sich dort eigentlich nicht zugehörig fühlen. Nicht umsonst schrieb sie bis vor kurzem jede Woche eine Kolumne in der Bild am Sonntag.

Ein Satz fürs kollektive Gedächtnis

Geht es um Missbrauch und andere schwere Krisen innerhalb der Kirche, so wird gern auf Käßmanns Rücktritt als EKD-Ratsvorsitzende 2010 verwiesen – als positives Beispiel. „Ich kann niemals tiefer fallen als in Gottes Hand“: Dieser Satz von ihr ging damals durch die Presse und vermittelte Schuldeingeständnis, Demut und Evangelium zugleich. Ein wortgewaltiger und zugleich erschütternd aufrichtiger Moment. Ein vermutlich ungeplanter Clou, der sich bis heute im öffentlichen Gedächtnis hält.

Doch Käßmann ist weit mehr als Predigerin, Pazifistin, Theologin und ehemalige Ratsvorsitzende. Auch wenn das allein schon für mehrere Leben reichen würde. Sie hat sich auch als Feministin einen Namen gemacht. 

Als einstige Pfarrersfrau gab sie sich nicht mit ihrer Rolle an der Seite ihres Mannes zufrieden, obwohl das in den 80er Jahren durchaus noch üblich gewesen wäre. Sie teilte sich stattdessen eine Pfarrstelle mit ihm, war im Ökumenischen Rat der Kirchen aktiv, mit gerade mal Mitte 20 sogar als bis dato jüngste Jugenddelegierte. Im Jahr 1999 wurde sie Bischöfin der größten deutschen Landeskirche in Hannover. Sie war die erste weibliche Ratsvorsitzende, was zeitweise die Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche zu gefährden schien. Die nämlich akzeptiert keine weiblichen leitenden Geistlichen und nannte Käßmanns Wahl ein „Krisenzeichen“.

Glaube. Macht. Politik. Foto: PRO
Glaube. Macht. Politik.
(12) Christlicher Pazifismus und der Ukraine-Krieg (mit Margot Käßmann)
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Obwohl theologisch eher liberal, pflegte sie gute Beziehungen zu einstigen evangelikalen Leitfiguren, etwa zum Fernsehjournalisten Peter Hahne. In einem Gespräch mit PRO zu ihrem 60. Geburtstag erinnerte sie sich: „Diese Verbundenheit kam daher, dass Peter Hahne und ich unsere Verschiedenheit mit Humor genommen haben. Er sagte zu mir: Margot, du mit deinen ‚Hirtinnen‘ verdirbst mir die ganze Weihnachtsgeschichte. Und ich antwortete: Tja Peter, das musst du wohl lernen, es gab Hirtinnen. Wir hätten uns wegen unserer unterschiedlichen Ansichten nie das Christsein abgesprochen.“

Zum PRO-Interview mit Margot Käßmann

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Zu den Freikirchen habe sie ein gutes Verhältnis, solange sie nicht moralistisch daherkämen, etwa in Fragen der Sexualmoral.

Neben ihrem Rücktritt hat vor allem der Satz einer Neujahrspredigt aus dem Jahr 2010 das öffentliche Bild Käßmanns geprägt: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Damals hoch umstritten, heute durchaus belastbar, kritisierte sie ein Herunterspielen des Konflikts durch die Politik.

Auch sonst schien Käßmann lange Zeit kaum in der Lage, sich nicht zu politischen Ereignissen zu äußern – auch, weil Journalisten sie immer wieder anfragten, ja geradezu auf Statements lauerten. Pressekonferenzen zu Käßmanns Buchveröffentlichungen beinhalteten nicht selten scheinbar zusammenhanglose Fragen großer Leitmedien zu aktuellen politischen Debatten. Und Käßmann konnte sich Antworten kaum verkneifen. Das brachte ihr Kritik, aber eben auch Popularität: Wo sie auftritt, bilden sich bis heute lange Besucherschlangen. 

Zu ihrem 60. Geburtstag wurde Käßmann in den Ruhestand verabschiedet. Schon damals erklärte sie, es nun ruhiger angehen lassen zu wollen, doch wirklich von der Bildfläche verschwunden ist sie nie. Waffenlieferungen, Prostitutionsverbot, Gleichstellung – Käßmann engagiert sich und ist, wenn man so will, noch politischer als in ihrer Zeit als kirchliche Funktionärin.

Ihre Meinung ist gefragt

Kurz vor ihrem 65. Geburtstag gab sie nun bekannt, ihre Kolumne in der Bild am Sonntag einzustellen. Ihre Begründung: „Das muss ich mir nicht mehr antun.“ Damit meinte sie keinesfalls Medium oder Arbeitsaufwand, sondern zeigte sich angegriffen durch die vielen Kommentare und Anfeindungen, die sie für ihre Worte erhielt.

„Die Diskussionskultur ist durch die sogenannten sozialen Medien absolut verroht. Da fehlt Menschen jeder Anstand, sie rotzen ohne Anrede ihre Ablehnung persönlich beleidigend in die Tasten“, sagte sie laut Evangelischem Pressedienst (epd). 

Dennoch ist kaum zu glauben, dass Käßmann sich künftig nicht mehr öffentlich äußern wird. Erstens, weil sie ganz offenbar auch nach Jahrzehnten im öffentlichen Leben noch den guten protestantischen Drang zur Weltverbesserung verspürt. Zweitens, weil ihre Meinung gefragt ist und weiterhin gefragt sein wird. Es wird nicht lange dauern, bis der nächste Journalist sie anruft und die Meinung der Kirchenfrau hören will. Und das in Zeiten schrumpfender Kirchen.

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