Margot Käßmann: „Gehe zurück auf Los“

Die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, hat im Magazin "Der Spiegel" ausführlich über ihre derzeitige Situation, über ihre Promille-Fahrt im Februar und ihre Zukunft gesprochen. So traurig sie über ihr Ende als EKD-Chefin auch war, sie sieht es auch als Chance.
Von PRO

"Deutschlands bekannteste Protestantin", wie der "Spiegel" sie nennt, war im Februar von ihren Ämtern als EKD-Ratsvorsitzende und Bischöfin zurückgetreten. Denn am Abend des 20. Februar hatte sie mit ihrem Dienstwagen eine rote Ampel in Hannover überfahren. Die Polizei stellte nach dem Kino- und Restaurantbesuch einen Promillewert von 1,54 fest. "Vier Tage später kam der Vorfall, auf bislang ungeklärtem Weg, in die Öffentlichkeit", so das Magazin

Auf 9 Seiten druckt der "Spiegel" ein Interview mit der 52-Jährigen ab. Käßmann ließ sich 2007 nach 26 Ehejahren scheiden und ist Mutter von vier Töchtern. Sie wuchs in Marburg auf, studierte in Tübingen, Edingurgh, Göttingen und Marburg Theologie. Die Überschrift des Interviews lautet: "Wo soll ich hin?" In der Tat sei ihre berufliche Zukunft zunächst ungewiss, sagt sie. Ab August wird sie erst einmal vier Monate Gastdozentin an der Emory University von Atlanta sein.

"Die Verantwortung des Protestanten vor Gott und den Menschen"

Sie sei in jener Nacht das erste Mal in ihrem Leben von einem Polizisten nach ihrem Führerschein gefragt worden. Und das auch noch vor ihrem eigenen Haus, nachdem sie die Fahrt bereits hinter sich hatte. "Ich habe einen Riesenfehler gemacht", wiederholt sie, was sie bereits mehrfach gegenüber der Presse äußerte. Dennoch merkt sie auch an: "Ich bin die zwei Kilometer nach Hause sehr langsam gefahren, niemand ist zu Schaden gekommen. Ich will das nicht runterspielen, nur gilt es, auch mal die Verhältnismäßigkeit zu sehen. Ich habe einen Fehler begangen und dafür die Verantwortung übernommen. Das, finde ich, ist eine protestantische Haltung." Wie Luther vor dem Reichstag in Worms sagte: "Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.", so müsse ein Protestant "in Verantwortung vor Gott und den Menschen seine Entscheidung treffen". So ein Mensch sei "mit sich im Reinen".

Das Delikt, das das Gericht später als "Fahrlässigkeit" beurteilte, habe "eine große Dimension" bekommen. "Nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die Kirche. Das tut mir leid." Käßmann musste wegen des Vorfalls 3.600 Euro Strafe zahlen und den Führerschein bis Dezember abgeben. Dass ihr Delikt so öffentlich gemacht wurde, finde sie "schwierig". Sie fügt hinzu: "Eigentlich unterliegt ein solcher Vorgang dem Datenschutz." Und eigentlich dürfe die Promillezahl nicht genannt werden. "Dem war ich dann hilflos ausgeliefert. Ich habe meine Promillezahl zuerst aus der Zeitung erfahren."

Keine "Strafe Gottes"

Zum Hauptmotiv ihres Rücktrittes sagt sie: "Ich lasse mich nicht behandeln, ich handele lieber selbst." Die Bibel zeige etwa in ihren Wüstenerzählungen, dass derartige Entscheidungen "oft allein getroffen" werden. "Da kann Ihnen niemand helfen." Den gesamten Vorfall vergleicht sie mit einem Trauerprozess und einer Schocksituation. "An meinem 52. Geburtstag bin ich aufgewacht und habe gedacht, das ist so ein bisschen wie Monopoly: ‚Gehe zurück auf Los!‘ Ich habe keinen Arbeitsplatz, ich habe keine Wohnung, jetzt ist auch meine jüngste Tochter ausgezogen, ich werde ohne Familie irgendwo neu anfangen." Als "Strafe Gottes" habe sie die Situation jedoch nicht empfunden. "Ich finde es merkwürdig, wenn Menschen Gott etwas in die Schuhe schieben, was sie selbst zu verantworten haben."

Ihr Glaube spiele in solch einer Situation eine "große Rolle". Sie stelle sich aber nicht die Frage "Wie kann Gott das zulassen?". Dann wiederholt sie die Worte, die sie bereits zum Schluss ihrer Pressekonferenz anlässlich des Rücktrittes sagte: "Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand." Angriffe und Häme, wie sie sie erfahren habe, könne ein Mensch besser ertragen, "wenn er den christlichen Glauben hat". Die Theologin fügt hinzu: "Weil Gott dir Würde gibt und nicht jemand, der die Kamera auf dich hält."

Sie habe besonders in der schwierigen Zeit "eine ganze Menge" mit Gott gesprochen. Ihr sei bewusst, dass sie auch ohne ihre bisherigen Ämter nicht auf "Hartz IV" zurückfalle. Vielleicht, überlegt sie, habe alles ja auch seinen Sinn gehabt. "Ich wäre sonst noch sechs Jahre Bischöfin und Ratsvorsitzende gewesen. Dann zu sagen: Stopp! Einfach mal drei Schritte zurücktreten." Das könne auch eine Chance sein. Auch in der Bibel gebe es derartige "starke Brüche" in Lebensläufen, etwa bei Abraham oder Mose.

Sie habe bereits 2.630 Briefe gelesen und über 12.000 E-Mails. Die liebevolle Reaktion sehr vieler Menschen habe sie berührt. Negative Zuschriften habe es nicht gegeben. "Die vielen Briefe und Reaktionen zeigen mir nur: Es gibt ein großes Bedürfnis nach Seelsorge. Ganz viele Menschen in Deutschland leben eben nicht auf der Erfolgsschiene oder haben alles glorreich im Griff. Sondern sie haben Sehnsüchte, sind einsam, wissen nicht, wie sie mit Krankheit, Leid, Tod, Arbeitsplatzverlust, Ehespannungen umgehen sollen." Käßmann fügt hinzu, die Bibel zeige, dass Gott offenbar eine große Zuneigung zu denen habe, "bei denen nicht alles glänzt". (pro)

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