„Man will kritische Position nicht einmal hören“

Es ist ein Vorgang, der zu Recht hohe Wellen schlägt: Mitte Mai sollte die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher in der österreichischen Stadt Traun einen Vortrag zur "Herausforderung Islam" halten. Nach Protesten von Muslimen wurde der Vortrag von den Veranstaltern jedoch abgesagt. Politiker und Kommentatoren kritisieren die Ausladung mit deutlichen Worten.
Von PRO

Die Rücknahme der bereits ausgesprochenen Einladung an Schirrmacher und die Absage der Veranstaltung zog in der österreichischen Presse und im Internet weite Kreise und rief unter deutschen Wissenschaftlern und Experten aller politischen Richtungen massive Kritik hervor, so der Informationsdienst Bonner Querschnitte.

Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmacher (Bonn) sollte am 21. Mai ein Referat zum Thema „Islam in Europa als Herausforderung für Staat, Gesellschaft und Kirche“ halten. Sie wurde eingeladen vom „Personenkomitee Aufeinander Zugehen“, einem breit aufgestellten Zusammenschluss von Vertretern kommunaler und religiöser Einrichtungen, darunter auch Mitglieder der katholischen und evangelischen Kirche sowie Muslime, welches von der Stadt Traun unterstützt wurde.

Omar Al-Rawi, Integrationsbeauftragter der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich und SPÖ-Mitglied im Wiener Landtag, kritisierte die geplante Veranstaltung scharf. Fünf Tage vor der geplanten Veranstaltung schrieb Al-Rawi an das „Personenkomitee“ einen Brief mit der Bemerkung, Frau Schirrmacher sei eine „bekannte antiislamische und antimuslimische Aktivistin“, weshalb die Unterstützung der Stadt für ihn „erschreckend“ sei. Maßgeblich aufgrund dieses Schreibens wurde die Veranstaltung abgesagt.

Kritik an Al-Rawi

Die Marburger Islamwissenschaftlerin Ursula Spuler-Stegemann kritisierte die Entscheidung in einem Schreiben an die Vorsitzende des ursprünglich einladenden Komitees scharf. „Dem Lebenslauf von Herrn Al-Rawi vermag ich nicht zu entnehmen, dass er die Kompetenz hätte, die international anerkannte wissenschaftliche Leistung von Frau Professor Schirrmacher auch nur annähernd zu beurteilen“, so die Marburger Professorin.

Die Referentin für „Frauenrechte in islamischen Gesellschaften“ von „Terres des femmes“, Collin Schubert, schrieb an dieselbe Adresse: „Frau Dr. Schirrmacher ist mir als hochkompetente Wissenschaftlerin und Islamexpertin bekannt. Ihr gemeinsam mit Frau Dr. Spuler-Stegemann geschriebenes Fachbuch: ‚Die Frauen und die Scharia‘ ist inzwischen ein Standardwerk in Deutschland. Mit vielen Fachbeiträgen, Publikationen, Vorträgen und in Fortbildungen setzt sie sich für die Rechte von muslimischen Mädchen und Frauen und das Recht auf deren Selbstbestimmung ein und engagiert sich damit für eine gelingende Integration.“

„Man will kritische Position nicht einmal hören“

Professor Mathias Rohe, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, kommentierte die Ausladung Schirrmachers in der „Wiener Zeitung“. Als Islamwissenschaftler und Jurist gilt er als einer der führenden Islamismus-Experten. 2006 hat er federführend an einer Studie des österreichischen Innenministeriums zum Islam in Österreich mitgewirkt. Er ist Vorsitzender der „Gesellschaft für Arabisches und Islamisches Recht“ und Mitglied des Kuratoriums der Christlich-Islamischen Gesellschaft. Im Jahr 2007 wurde einer seiner Vorträge in München von Islamgegnern so gestört, dass er abgebrochen werden musste. Anschließend erhielt Rohe Morddrohungen per E-Mail.

„Ich schätze Frau Schirrmacher als seriöse Wissenschaftlerin, auch wenn ich nicht immer ihre Meinung teile“, so Rohe Ende Mai in einem Beitrag der „Wiener Zeitung“. „Mich wundert, dass man ihre kritische Position, die sie mit vielen Fakten untermauern kann, nicht einmal anhören will.“
Weiter heißt es: „Schirrmacher ist Mitglied der ‚Zentralstelle für Weltanschauungsfragen‘ bei der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Gerade dort sorgt Al-Rawis Kritik für Empörung. Als ‚muslimischer Oberzensor‘ wurde Al-Rawi vom Berliner Politikwissenschaftler Johannes Kandel bezeichnet, der EKD-Gremien in Islamfragen berät.“ Johannes Kandel ist Historiker, promovierter Politikwissenschaftler und Referatsleiter „Akademiegespräche: Interkultureller Dialog“ bei der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin.

„Umgang islamischer Organisationen mit den Kritikern ist Lackmustest“

Auch unter Politikern stieß der Vorgang in Traun auf Empörung. Kristina Köhler, CDU-Islambeauftragte und Abgeordnete im Deutschen Bundestag, stellt sich vor Schirrmacher: „Sie ist eine renommierte und hoch angesehene Islamwissenschafterin. Einer Frau, die sagt, aus dem ‚Nebeneinander müsse ein Miteinander‘ werden, Einseitigkeit oder gar ‚Islamfeindschaft‘ vorzuwerfen, ist völlig absurd und bösartig.“

In einem Brief an den Bürgermeister der Stadt Traun schreibt die CDU-Politikerin zudem: „Die Unterstellungen des Integrationsbeauftragten der IGGiÖ in Richtung von Frau Prof. Schirrmacher sind genau das Gegenteil eines kritischen Diskurses. Aber sie zeigen uns in Deutschland doch erneut in aller Deutlichkeit, warum der Umgang mit dem Islam in Österreich kein Vorbild für Deutschland ist. Weil der Umgang islamischer Organisationen mit den Kritikern des Islamismus nämlich ein deutlicher Lackmustest dafür ist, ob die Integration der Muslime gelingt.“

Kritik hatte die Ausladung Christine Schirrmachers auch unter Beobachtern und Journalisten hervorgerufen. Sowohl in der „Neuen Presse“ (Wien), überregionalen österreichischen Zeitungen als auch Internetforen etwa der Wochenzeitung „Die Zeit“, „Spiegel Online“ oder der „Achse des Guten“ wurde die Entscheidung kritisiert.

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