Ein abgedunkelter Theatersaal, Stuck an der Decke, rote Samtsitze und ein rotes Sofa auf der Bühne. „Glauben!“ steht in dicken weißen Lettern hinter dem Sitzmöbel, auf dem zwei Menschen der Öffentlichkeit Platz genommen haben, die unterschiedlicher nicht sein können: Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und damit oberster deutscher Katholik, mit rundem Bauch und rheinischem Gemüt – obwohl er aus Westfalen kommt. Und Michel Friedman, einst stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, dabei betont religionskritisch, Moderator und berüchtigt für seinen harten Interviewstil, Jurist, selten und wenn dann nur sparsam lächelnd, schmal, ernst, energisch.
Am Donnerstagabend trafen diese beiden Männer im Berliner Ensemble aufeinander – man könnte auch sagen, sie traten gegeneinander an. Denn jedes Gespräch mit Friedman ist ein Kampf – für die Interviewten und auch für die Zuschauer, hetzt der Deutsch-Franzose doch durch die Themen, als suche er nur nach dem einen Aspekt, auf den das Gegenüber keine Antwort parat hat. Das macht solcherlei Abende anstrengend – und zugleich kurzweilig.
„An was glauben Sie nicht?“
„An was glauben Sie nicht?“, lautet die erste Frage Friedmans, die ohne Einleitung oder Vorworte daher kommt und nur wenige Sekunden, nachdem der Auftrittsapplaus im gut gefüllten Haus verklungen ist. Er glaube nicht daran, dass die Welt oder sein Leben sinnlos seien, lautet die zügige Antwort. Daraus entspinnt sich ein Dialog über den Unterschied zwischen Glaube, Wissen und Gewissheit, den Friedman energisch vorantreibt, zuweilen derart vehement, dass dem Interviewten kaum Raum zur Antwort bleibt. Glaube, der sich nicht der Vernunft stelle, sei Fundamentalismus, sagt Marx. Vernunft aber, die nur auf die Empirie setze, sei ebenfalls zu begrenzt. „Die Bibel ist Aufklärung“, führt er mit Verweis auf den Abschied vom Vielgötterglauben fort, und: „Jesus war ein Aufklärer.“
Als Friedman dem bayerischen Erzbischof daraufhin vorwirft, sein Gottesbild sei konstruiert, setzt dieser zwei Mal zur Antwort an, wird kurz sogar laut und erhebt die Hände aufgeregt, als Friedman ihn erneut nicht zu Wort kommen lässt. Es wird das einzige Mal an diesem Abend sein, dass Marx sich vom Moderator aus der Fassung bringen lässt und es zeigt auch deutlich, worauf Friedman-Gespräche ausgelegt sind: Das Gegenüber soll aus seiner Ecke herauskommen, emotional werden, laut, vehement, streitbar. Das ist das Ziel dieses Abends, das meint Friedman damit, wenn er immer wieder betont, er wolle „offen“ zuhören und sei „ehrlich interessiert“ an den Ausführungen des Gegenübers. Mit Marx jedenfalls erreicht er sein Ziel nicht. Nach dieser kurzen Szene nimmt sich der 65-Jährige wieder zurück, lässt sich unterbrechen, besteht nicht auf sein Recht, bringt seine Punkte aber vor, wo sein Gegenüber es ihm gewährt.
„War Gott in Auschwitz?“
Dabei werden die Themen ab diesem Punkt erst richtig heikel. Friedman wirft der Kirche vor, nicht genug getan zu haben, um Missbrauch durch Geistliche aufzuklären. Marx seinerseits insistiert, jeder bekannte Fall in Deutschland sei an die Staatsanwälte übergeben worden. Friedman unterstellt, Christen könnten nicht an die Schöpfung und die Evolution zugleich glauben, Marx entgegnet, die Bibel sei an dieser Stelle nicht wörtlich zu verstehen. Es gebe die Evolution „offensichtlich“. Als der Moderator dem Erzbischof entgegenwirft: „Nicht naiv werden“, lacht das Publikum. Naiv war tatsächlich mehr die Frage denn die Antwort. Und Marx legt nach: Es gehe nicht darum, wie Gott den Menschen geschaffen habe. Heute sei wichtig, „was der Mensch ist“. Denn daraus leite sich die Menschenwürde ab.
War Gott in Auschwitz? Diese Frage kann kaum fehlen bei einem Gespräch zwischen einem Juden und einem deutschen Katholiken. Tatsächlich ist sie an diesem Abend eine Zäsur. Das Miteinander auf der Bühne wird ruhiger, nachdenklicher, Marx darf sprechen, das Publikum durchatmen. „Ich habe keine Antwort auf die Frage, warum ist das Leid da“, sagt Marx. Aber er glaube an einen Gott, der sich mit dem Leid identifiziert.
„Es gibt keine Judenmission“
„Religion muss politisch sein“, ist Marx überzeugt. Doch, glauben alle Monotheisten an denselben Gott? Die Schriften zeigten Unterschiede, antwortet er statt eines klaren Neins, auch wenn das gemeint ist. Ein aggressives Missionsverständnis weist er von sich: „Es gibt keine Judenmission“ und auch ansonsten versteht er das Evangelisieren eher als Angebot zum Erfahrungsaustausch.
„Man kann mit Religion schon viel Unsinn machen“, gibt er zu und ist sich da plötzlich sichtlich einig mit dem Gastgeber. Für die Zukunft seiner Kirche wünscht er sich eine stärkere Machtkontrolle. Die Instrumentalisierung der Religion, auch für politische Zwecke, sorgt ihn. „Gott kann nicht benutzt werden“, sagt Marx. Weder von Nationalisten noch von Fundamentalisten. Da kann selbst Friedman kaum widersprechen. „Er hat ihn nicht gekriegt“, sagt eine Zuschauerin während des Schlussapplauses zur anderen und meint damit, dass Friedman Marx nicht vorführen konnte. Das spricht für Marx. Schade aber ist, dass ein Gespräch zum Thema Glauben das überhaupt zum Ziel haben will.
Von: Anna Lutz