Mali: „Christen und Muslime sind auf der Flucht“

Islamistische Rebellen bedrohen die Bevölkerung im afrikanischen Mali. Hunderttausende sind bereits geflohen – auch vor der Scharia-Justiz der Extremisten. Annette Lohmann ist Expertin der Friedrich-Ebert-Stiftung für das Land und befindet sich derzeit in der Hauptstadt Bamako. Pro konnte sie für ein Interview erreichen.

Von PRO

pro: Mali galt bis vor kurzem als religiös moderates, muslimisch geprägtes Land. Seit einem Putsch im Jahr 2012 sind hunderttausende Menschen geflohen, Islamisten haben im Norden des Landes ein Scharia-System installiert. Wie konnte das geschehen?

Annette Lohmann: In der Nacht vom 21. auf den 22. März letzten Jahres putschte ein Teil des malischen Militärs gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Amadou Toumani Touré, den sie für sein unentschlossenes und schwaches Vorgehen im Kampf gegen verschiedene Tuareg-Gruppen im Norden Malis sowie für die mangelnde Ausstattung des Militärs verantwortlich machten. Im Zuge des Putsches brach die Kommandostruktur des Militärs zusammen; viele Soldaten desertierten oder schlossen sich den Rebellen an. So konnten die Rebellen Ende März innerhalb nur weniger Tage alle größeren Städte im Norden einnehmen. Die malische Armee leistete dabei so gut wie keinen Widerstand. Seitdem kontrollieren verschiedene Rebellen-Gruppen, darunter mehrheitlich Islamisten, den Norden Malis und habe begonnen die Scharia einzuführen.

Was wollen die Islamisten in Mali erreichen?

Die islamistische Tuareg-Rebellengruppe Ansar Dine ("Verteidiger des Glaubens") will die Scharia im Norden Malis einführen und fordert die Aufgabe der laizistischen Ausrichtung des malischen Staates. Zudem schloss sie sich kürzlich der Forderung der säkularen Tuareg-Rebellengruppe MNLA ("Nationale Bewegung zur Befreiung des Azawad") nach einem autonomen Norden an. Unterstützung erhält Ansar Dine von einem Ableger des Terrornetzwerkes Al-Qaida, der Al-Qaida im islamischen Maghreb.

Beschreiben Sie als Augenzeugin die derzeitige Lage im Land…

In Bamako ist die Situation ruhig, das alltägliche Leben geht unvermindert weiter. Im Stadtbild sieht man kaum eine Veränderung. Dennoch ist eine gewisse Anspannung spürbar.

Was genau müssen wir uns unter dem Scharia-System im Norden vorstellen? Welche Auswirkungen hat es auf das Leben der Menschen?

Die Anwendung der Scharia durch die Islamisten erfolgt äußerst brutal, indem zum Beispiel Dieben eine Hand abgehackt wird oder ein uneheliches Paar gesteinigt wurde. Damit sollen die Menschen eingeschüchtert werden, die Scharia ist somit Mittel zum Zweck und dient der Machtausübung.

Mali liegt auf Platz 7 des Weltverfolgungsindex der Hilfsorganisation "Open Doors", der Christenverfolgung weltweit misst. Wie geht es den Christen im Land? Unter welchen Repressionen leiden sie?

Christliche Malier sind genauso wie die muslimischen Malier im Norden bereits seit längerem auf der Flucht.

Frankreich will mit bis zu 2.500 Soldaten in Mali kämpfen. Deutschland hat einen Kampfeinsatz abgelehnt, schickt nun aber Soldaten zu Ausbildungszwecken. Müsste die Bundesrepublik mehr tun?

Mittel- bis langfristig wird es nicht mehr nur um die Rückeroberung des Nordens gehen, sondern vor allem auch um dessen Sicherung. Die Ausbildung der malischen Armee ist hierfür unerlässlich, insofern leistet Deutschland einen wichtigen Beitrag.

Wie sehen Sie die Zukunft des Landes?

Für einen gerechten und tragfähigen Frieden in Mali müssen langfristige politische Strategien auf regionaler und internationaler Ebene zur Stabilisierung diskutiert werden, eine militärische Intervention alleine ist unzureichend. Es müssen politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungsperspektiven geschaffen werden, um eine nachhaltige Stabilisierung des Nordens und damit ganz Malis zu erzielen. Dies wird aber nur unter Einbezug von Vertretern aller im Norden lebenden Bevölkerungsgruppen langfristig tragfähig sein.

Frau Lohmann, vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Anna Lutz.

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