Macht Facebook glücklich oder einsam?

Facebook macht die Menschen unglücklich. Das ist das Ergebnis einer Studie der Psychologen Christina Sagioglou und Tobias Greitemeyer von der Universität Innsbruck. Aber warum nutzen trotzdem 650 Millionen Menschen mindestens einmal täglich das soziale Netzwerk?
Von PRO
Von 15 Minuten Ruhm sprach der Künstler Andy Warhol einst. 15 Sekunden lang ist ein Facebook-Nutzer „berühmt“, wenn er seinen Status aktualisiert
Die Psychologin Sagioglou befragte 123 Probanden, direkt nachdem diese Zeit bei Facebook verbracht hatten. Je länger sich die Teilnehmer Urlaubsbilder oder andere Inhalte in dem sozialen Netzwerk angesehen hatten, desto mieser war anschließend ihre Laune, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Die Forscher sagen, die Nutzer kehrten deswegen immer wieder zu Facebook zurück, weil sie erwarteten, zufriedener zu werden, wenn sie etwas Zeit mit ihren Online-Freunden verbracht haben. Viele weitere Studien haben sich mittlerweile mit der Frage befasst, ob Facebook die Menschen eigentlich näher zusammenbringt oder einsamer macht. In der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins pro haben wir uns mit einigen dieser Studien beschäftigt.

15 Sekunden berühmt sein

Hunderte Kontakte haben die meisten Facebook-Nutzer in ihrer Freundesliste. Doch wer sich einsam fühlt, dem helfen auch 1.000 Freunde in dem Netzwerk nicht. Der amerikanische Komiker Louis C. K. spricht schonungslos aus, was er für wahr hält. Bei einem Auftritt in der Late-Night-Show von Conan O’Brien erklärte er, warum er seinen Kindern Smartphones verbietet: „Jeder Mensch hat diese Leere in sich, die für immer bleibt. Sie ist das Wissen, dass eigentlich alles umsonst ist und dass man für immer allein sein wird.“ Er sei einmal beim Autofahren von dieser großen Traurigkeit überfallen worden, erzählt Louis C. K. „Das ist der Grund, warum wir zum Handy greifen. Wir haben es verlernt, für ein paar Sekunden allein zu sein.“ In solchen Situationen nehme man intuitiv sein Smartphone in die Hand und schreibe mindestens 50 Leuten eine SMS. „Aber ich entschied mich: Tus nicht. Lass die Traurigkeit dich treffen wie ein LKW. Ich bin rechts rangefahren und hab geheult wie ein Schlosshund. Es war einfach nur schön. Es ist schön, dass wir traurig und einsam sein können.“ Was Louis C. K. da erzählt, dürfte nicht nur vielen Menschen bekannt vorkommen, es wurde mittlerweile auch wissenschaftlich erforscht. Es gibt Dutzende Studien, die der Frage nachgehen, was die ständige Vernetzung per Smartphone mit uns macht. Welchen Einfluss haben Soziale Netzwerke wie Facebook und Co. auf unser Leben?

Facebook-Posten fast so wie Sex

Forscher der Universität Michigan fanden bei einer Studie mit 82 Versuchspersonen heraus: Je mehr diese Facebook nutzten, desto schlechter fühlten sie sich. Sozialpsychologe Ethan Kross, Leiter der Studie, erklärte: „Auf den ersten Blick ist Facebook ein unerlässliches Werkzeug, um das menschliche Grundbedürfnis nach sozialer Interaktion zu befriedigen. Aber anstatt das Wohlbefinden zu erhöhen, fanden wir das gegenteilige Ergebnis: Facebook untergräbt das Wohlbefinden.“ Die Lebenszufriedenheit nahm mit wachsender Facebook-Nutzung ab. Das überrascht, schließlich ist der Mensch auf Beziehungen angelegt und Facebook bietet beste Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten. Sollte man sich nicht gerade in solchen Momenten besonders gut fühlen? Ja, zeigen andere Studien. Menschen, die ihren Facebook-Status besonders häufig aktualisieren, fühlen sich weniger einsam. Zu diesem Ergebnis kam die Berliner Psychologin Fenne große Deters gemeinsam mit Professor Matthias Mehl von der Universität Arizona. Welche Reaktionen die Nutzer auf ein Posting erhalten, ist dabei gar nicht so wichtig. Allein die Tatsache, sich mitgeteilt zu haben, reicht offenbar aus, um sich weniger einsam zu fühlen. Die Faszination für die virtuellen Streicheleinheiten fürs Ego ist leicht zu begründen: Ein Posting löst im Gehirn ähnliche Reaktionen im Belohnungszentrum aus wie Essen, Geld oder Sex, fanden Forscher der Harvard University heraus. Dumm nur: Das Gefühl ist von kurzer Dauer. Der amerikanische Künstler Andy Warhol hat den Ausdruck „15 minutes of fame“, 15 Minuten berühmt sein, geprägt. Er wollte damit darauf hinweisen, wie flüchtig Ruhm und mediale Aufmerksamkeit sind. Der Musiker Johnny Burgos hat den Gedanken vertont – und weitergedacht. Bei ihm sind es nur noch 15 Sekunden Berühmtheit. Das gilt wohl auch für Facebook-Nutzer. Schließlich ist es eine Frage von Sekunden, bis neue Status-Aktualisierungen die eigene Mitteilung alt werden lassen. „Social Snacking“ nennen die Forscher das vorübergehend gute Gefühl, das Nutzer haben, wenn sie eine Facebook-Nachricht schreiben. Mehr als ein Snack sei es nicht, denn die Einsamkeit kehre schnell zurück. Eine sattmachende Mahlzeit sieht anders aus. Dass sich Menschen besser fühlen, wenn sie durch häufige Status-Updates den Eindruck haben, sozial aktiv zu sein und dazuzugehören, bestätigt auch eine Studie der Universität Mannheim. Aber auch sie kann nicht nachweisen, dass sich Menschen, die intensiv Facebook nutzen, weniger allein fühlen: „Einsame Menschen mögen zwar vorübergehend positive Gefühle erfahren, wenn sie Facebook verstärkt nutzen, jedoch hält es sie gleichzeitig davon ab, reale soziale Beziehungen aufzubauen.“

„Kirschen in Nachbars Garten“

Woran liegt es, dass es einem Medium, das unzählige Kontaktmöglichkeiten bietet, nicht gelingt, uns dauerhaft zufrieden werden zu lassen? Forscher der Technischen Universität Darmstadt und der Humboldt-Universität zu Berlin befragten 600 Deutsche zum Thema. Mehr als ein Drittel der Facebook-User fühlt sich während und nach der Nutzung schlecht. Sie waren häufig einsam, müde, traurig oder frustriert. Als wesentlichen Grund sehen die Forscher den Neid auf die positiven Nachrichten der Facebook-Freunde. Um diese negativen Gefühle zu kompensieren, komme es zu einer ausgeprägteren Selbstpräsentation auf Facebook – die wiederum Neidgefühle bei anderen hervorrufe. Die Forscher sprechen von einer „Neidspirale“. „Keeping up with the Joneses“ ist ein geflügeltes Wort in Amerika. Will heißen: Mit den Nachbarn mithalten können; die Deutschen reden von den „Kirschen in Nachbars Garten“. Genauso verhält es sich mit Facebook: Hat der virtuelle Freund etwas Verlockenderes als ich? Ist er glücklicher? Die Psychologin Sylvia Hart Frejd schreibt: „Das Gefühl, im Leben etwas zu verpassen, ist bei Facebook-Nutzern weit verbreitet und wird als ‚Facebook-Fassade‘ bezeichnet. Nur die positiven, erfolgreichen und interessanten Fassaden werden gepostet, sodass man den Eindruck bekommt, alle anderen würden ein beneidenswertes Leben führen, nur ich nicht.“

„Mut zur Begegnung schwindet“

Das „Karussell“ der Postings, das sich zwischen 200 und mehr Freunden im Cyberspace drehe, werde immer mehr zum „rastlosen, schizophrenen System“, findet der Literaturwissenschafter und Journalist Tomasz Kurianowicz. In der Neuen Zürcher Zeitung verfasste er im Oktober 2013 einen Appell wider den Facebook-Wahn, der unsere sozialen Kompetenzen aufbrösele. „Wir vergleichen bei Facebook unser kleines Leben zwanghaft mit dem großen der anderen und verwechseln digitale Scheinwelten mit der Realität. (…) Anstatt sich vernetzt zu fühlen, verlieren wir uns in einem Strom aus Scheinwelten.“ Auch er spricht von einer Spirale, die uns zwischen dem Bedürfnis, so zu leben wie die anderen, und der Gier nach Informationen über unsere Mitmenschen, gefangen nehme. Die New York Times schrieb von einer „Facebook-Hassliebe“: Man möchte einerseits das obsessive Ausspionieren von Bildern und Nachrichten unterlassen, aber andererseits ist man vom Leben der anderen wie hypnotisiert. Kurianowicz macht klar: „Ein Partybild wird, bevor es entsteht, schon mit der Intention für das Einstellen bei Facebook arrangiert. (…) Wer Facebook-Posts für bare Münze nimmt, läuft Gefahr, die digitale Realität mit der analogen zu verwechseln.“ Wir würden täglich mit Unmengen an „visuellem Abfall“ konfrontiert, der uns die Fähigkeit raube, Bilder in ihrer Manipulationskraft kritisch zu deuten. Und ein Ende dieser Entfremdung sei nicht in Sicht. Dazu passt das Facebook-Spiel „Neknomination“, Biernominierung. Dabei trinkt ein Teilnehmer ein Glas Bier in einem Zug aus, filmt sich dabei, lädt das Video bei Facebook oder YouTube hoch und ruft Freunde dazu auf, es ihm gleichzutun. Wer die Herausforderung nicht annimmt, schuldet dem anderen beispielsweise eine Kiste Bier. Manche Teilnehmer variieren Getränk oder Menge. Ein 20-jähriger Brite ist vor einigen Wochen gestorben, nachdem er einen Liter Gin getrunken und das Video hochgeladen habe, meldete das Klatschblatt Mirror. Vier weitere Todesopfer habe das Online-Trinkspiel gefordert. Welch trostloser Gedanke, an einem virtuellen Online-Spiel, allein vor dem Bildschirm, zu sterben. Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen hat im britischen Guardian einen Werbeclip beschrieben: Auf einer Hochzeitsfeier tue eine Gruppe von Zwanzigjährigen kaum etwas anderes, als Fotos mit Smartphones zu schießen und sie sich gegenseitig zuzuschicken. Offenbar haben diese Hochzeitsgäste es verlernt, sich ihre wahren Empfindungen gegenseitig direkt mitzuteilen. Stattdessen befinden sie sich gleichzeitig im Cyberspace. Der Journalist Kurianowicz konstatiert: „Der Gang durch Einkaufszonen und Schulen, wo jeder Zweite mit seinem Smartphone beschäftigt ist, beweist, dass wir uns voneinander entfernen. Der Mut zur Begegnung schwindet. Der Narzissmus obsiegt. Die seelische Verbarrikadierung nimmt zu. Gegen diese Verblendung, gegen diese Abhängigkeit ließe sich durchaus etwas tun. Man müsste nur abschalten können.“ Facebook und Twitter haben den Begriff der Freundschaft verändert, betont auch der Wiener Psychotherapeut Raphael Bonelli. „War sie ursprünglich ein ‚dem anderen Gutes wollen‘, so bedeutet sie im Internet oft, dass man andere über die aktuelle Befindlichkeit informiert, Nachrichten eines anderen abonniert und Teilnahme zeigt.“ Die Social-Networks-Kontakte seien Freundschaften der oberflächlichsten Form. Doch verbringen eben viele mit der Pflege dieser „Freundschaften“ ziemlich viel Lebenszeit. Ein Test könnte zeigen, welche Freundschaften wir wirklich über Facebook haben. „Die Freunde, die man morgens um vier Uhr anrufen kann, die zählen“, soll Marlene Dietrich einmal gesagt haben. Wie groß ist eigentlich die Aufmerksamkeitsspanne, die ich einem Menschen wirklich schenke? Sind es regelmäßig zwei Zeilen in der Kommentarfunktion unter einem lustigen Party-Foto, oder sind es drei Stunden mitten in der Nacht, wenn wirklich Not da ist? Wenn einen die große Traurigkeit ereilt, zählen eben doch analoge Freundschaften und kein zu einigen Pixeln zusammengeschrumpftes Profilbild unter einem falschen Online-Namen. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/urteil-therapie-und-facebook-verbot-87730/
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