Lug und Trug? Scientologys Schaukampf für Menschenrechte

"Jugend für Menschenrechte" wirbt mit einem vermeintlich guten Anliegen: Dem Kampf für die Freiheit des Menschen. Doch dahinter steckt die vom Verfassungsschutz beobachtete Organisation Scientology. Der vermeintlich Kampf für die Menschenrechte sei eine reine "Imagekampagne", meint Sektenexperte und Pfarrer Thomas Gandow.
Von PRO

Es war ein Film über Mobbing in der Schule, der Aufsehen erregte. Ein Mädchen wird von Mitschülern drangsaliert, ein Junge geht dazwischen. Am Ende ruft der Ein-Minüter zur Wahrung des „Rechtes auf Privatleben“ auf. Gelaufen war der kurze Streifen bei einer Neujahrsfeier in der Mosaik-Grundschule Peitz nahe Cottbus. Vorgeführt hatte ihn der städtische Bürgermeister, Bernd Schulze. Was deutschlandweit Aufsehen erregt, ist nicht die Tatsache, dass sich der Politiker für die Menschenrechte einsetzen will, sondern dass er mit der Vorführung des Films eine Organisation unterstützt, die den Grundsätzen menschlichen Zusammenlebens massiv widerspricht: Scientology. Denn der Film, den Schulze da zeigte, ist eine Produktion der Gruppierung „Jugend für Menschenrechte“ (JfMR), eine der Scientology untergeordnete Organisation.

„Für Grundrechte treten ja auch die Vereinten Nationen ein“

Auf das Video war er nach eigenen Angaben im Internet gestoßen. Und tatsächlich: Googelt man den Begriff „Menschenrechte“, weist bereits der dritte Treffer auf die „Jugend für Menschenrechte“ hin. Die Internetseite selbst arbeitet mit scientologytypischen Bildern – Menschen verschiedener Kulturen, glücklich vor einem gleißend leuchtenden Hintergrund vereint – aber auch mit zahlreichen Videos, die jedes der aufgeführten 30 Menschenrechte erklären. Zudem verweist die Organisation auf die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen. „Ich habe keine Verbindung zu dieser Organisation.“, erklärte Schulze auf Anfrage der Zeitung „Lausitzer Rundschau“. Er könne nichts „Ehrenrühriges“ an den Zielen erkennen, die die „Jugend für Menschenrechte“ nach außen vertrete. „Für Grundrechte treten ja auch die Vereinten Nationen ein“, zitiert ihn die Zeitung.

Damit ist Schulze nicht der Erste, der einer geschickten Strategie der Scientology-Organisation auf den Leim geht. Das zumindest meint Thomas Gandow, Beauftragter für Sekten und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Er bezeichnet das menschenrechtliche Engagement der „Jugend für Menschenrechte“ als eine „Ablenkungsshow“: „JfMR ist heute vor allem eine Image- und Front-Organisation der Scientologen, die die Menschenrechte als Tarnung für die Menschenrechtsverletzungen benutzen soll. Menschenrechte müsste die Organisation erst einmal ihren eigenen Mitarbeitern und Kritikern gewähren“, so Gandow gegenüber pro.

Mit Menschenrechten gegen die Menschenrechte

Auch die „Lausitzer Rundschau“ stellt fest: „Laut Verfassungsschutz will Scientology Menschenrechte wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Gleichbehandlung außer Kraft setzen oder einschränken.“ Das Ziel eines jeden Scientologen ist es „clear“ zu werden, also frei von schädigenden gesellschaftlichen Einflüssen. Diesen Status erreichen die Mitglieder durch „Auditing“-Sitzungen, die an Gehirnwäschemethoden erinnern. Scientology unterscheidet verschiedene Stufen des „Clear“-seins. Völlig gereinigt können Scientologen schließlich sogar die Stufe eines „Operierenden Thetanen“ erreichen.

„Thetanen kommunizieren mittels Telepathie. Sie können materielle Objekte bewegen, indem sie einen Energiefluss auf sie stürzen. Sie können sich mit höchster Geschwindigkeit fortbewegen. Sie sind nicht durch Atmosphäre oder Temperaturen begrenzt“, zitieren Frank Nordhausen und Liane v. Billerbeck den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard in ihrem Buch „Scientology – Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will“ (2008). Die Glaubenswelt der Gruppierung erklären sie so: „Vor langer, langer Zeit lebten weitab im All die Thetanen, allmächtige und unsterbliche Geistwesen. Aber sie waren besessene Spieler, die sich immer mehr ins materielle Universum verstrickten, bis sie ganz darin aufgingen. Seitdem sind die Ausserirdischen dazu verurteilt, durch die Körper der Menschen zu wandern und dort mit Engrammen gequält zu werden. Denn Thetanen sind unsterblich und müssen nach jedem Aufenthalt in einer sterblichen Hülle einen neuen Body finden.“ Ziel des „Auditings“ sei es, die Kontrolle über die quälenden Engramme, also Belastungen aus dem aktuellen und aus früheren Leben, zu gewinnen und damit den Thetan zu befreien. Mit Kursen und Sitzungen, die genau das bewerkstelligen sollen, mache Scientology sein Hauptgeschäft. Diese kosten zwischen 40 und 10.000 Dollar, nach oben scheint nahezu keine Grenze gesetzt zu sein.

Ziel: „Völlige Vernichtung aller Gegner“

Gegenüber pro erklärte Gandow: „Zu den Zielen von Scientology gehört auch die völlige Vernichtung aller Gegner. Dazu rechnet Scientology 2,5 Prozent aller Menschen, in Deutschland also 2 Millionen. Staat und Gesellschaft sollen völlig gleichgeschaltet werden durch Beseitigung aller ‚Gegenabsichten‘ und auch aller ‚Fremdabsichten‘, das heißt aller nicht-scientologischen Vorstellungen, Pläne und Weltanschauungen.“ „Jugend für Menschenrechte“ sei eine gezielte Imagekampagne der Organisation. Sie richte sich, genau wie andere Angebote von Scientology, besonders an Jugendliche. Im Jahr 2006 wurde bekannt, dass Scientology „undercover“ Nachhilfe für Schüler anbietet (pro berichtete). „Scientology möchte durch seine Angebote nach meiner Einschätzung an engagierte Eltern heran, die für ihre Kinder bereit sind, etwas einzusetzen. Leider greifen immer wieder engagierte, auch betuchte Eltern, manchmal aus Verzweiflung zu diesen Pseudo-Angeboten. Ziel sind in Wirklichkeit eben nicht Angebote für Kinder und Jugendliche, sondern die Anwerbung neuer Kunden und Mitarbeiter“, erklärt Gandow.

JfMR selbst gibt laut „Spiegel Online“ zu, dass ein „überwiegender Teil“ seiner Mitarbeiter Scientologen sind. Dasselbe gilt auch für die Präsidentin der Gruppe, Mary Shuttleworth. Immer wieder hat sich Scientology auch mit der Frage der Menschenrechte beschäftigt und zitiert Gründer L. Ron Hubbard etwa im Büchlein „Was sind Menschenrechte?“. „Eine ideale Gesellschaft wäre eine Gesellschaft nicht aberrierter (belasteter, Anm. d. Red.) Menschen. […] Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der nicht Aberrierte die Staatsbürgerschaft erlangt und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele, deren Erreichung die Überlebensfähigkeit und das Glück der Menschheit erheblich steigern könnte“, schreibt Hubbard an anderer Stelle.

Kontra Völkerverständigung – Kontra Grundgesetz

Für den Sektenexperten Gandow widersprechen solche Aussagen der deutschen Staatsauffassung: Artikel 9 (2) des Grundgesetzes bestimme „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten. „Da es bisher kein Verbot der Organisation gibt, müsse der Bürger selbst die Augen offen halten: „Der Bürger muss grundsätzlich kritisch sein, also prüfen und unterscheiden. Die Welt ist kein Paradies, sondern ein Dschungel. Da gilt wie beim Pilzesammeln: Augen auf, nicht träumen, sondern hinschauen. Nicht alles, was schön aussieht, gehört ins Körbchen.“ Das gelte in besonderem Maße für Christen: „Die Scientologen benutzen in ihrer irreführenden Werbung – auch riesengroß an der neuen Deutschland-Zentrale der SO in Berlin – das Zeichen des Kreuzes. Nur wenige erkennen gleich, dass dieses Kreuz durchgestrichen ist. Denn Scientology lehnt das Kreuz und die Erlösung durch Jesus Christus ab.“ (PRO)

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