Lothar de Maizières Geschichte der deutschen Einheit

"Lothar de Maizières großes Verdienst war es, der DDR trotz geradezu überbordender Emotionen und Erwartungen der Menschen einen geordneten Übergang zur Deutschen Einheit verschaffen zu wollen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in Berlin anlässlich der Präsentation von Lothar de Maizières Buch "Ich will, dass meine Kinder nicht mehr lügen müssen – Meine Geschichte der deutschen Einheit".
Von PRO

Die Regierung de Maizière habe entscheidend dazu beigetragen, dass – national wie international – ein geordneter Weg hin zur Deutschen Einheit gefunden und beschritten werden konnte, sagte die Kanzlerin. De Maizières Buch sei ein Dokument ostdeutscher Selbsterkenntnis. "Ein Buch, das hilft, die aufregenden und entscheidenden Monate auf dem Weg zur Einheit aus dem Blickwinkel eines der entscheidenden Akteure nachzuempfinden und hoffentlich heute besser zu verstehen." Trotz des Milleniumsgipfels in New York am Vortag und der Kabinettsitzung, die nur wenige Minuten vor der Buchpräsentation endete, hat es sich Angela Merkel nicht nehmen lassen, das Buch des Mannes vorzustellen, für den sie 1990 als stellvertretende Regierungssprecherin gearbeitet  hatte.

Am Einheitsprozess maßgeblich beteiligt

In seinem Buch schildert Lothar de Maizière, wie er vor zwanzig Jahren den Einheitsprozess erlebt hat, an dem er als der erste demokratisch gewählte und zugleich letzte Ministerpräsident der DDR maßgeblich beteiligt war. Er nimmt den Leser mit hinein in den politischen Alltag während der revolutionären Monate in den Jahren 1989 und 1990, berichtet über die dramatischen Veränderungen damals, beschreibt die desolate wirtschaftliche Situation der DDR zu ihrem Ende hin, korrigiert Missverständnisse und Irrtümer in der Geschichtsschreibung; so zum Beispiel im Hinblick auf die Rolle des Runden Tisches.

De Maizière beschreibt aber auch seine persönliche politische Geschichte. Die beginnt am Tag nach dem Mauerfall: Am 10. November 1989 wurde er zum Vorsitzenden der ostdeutschen CDU gewählt, die damals noch eine der vier Blockparteien in der DDR war. "Mit diesem Tag begann meine aktive politische Zeit", schreibt er. "Sie sollte gut ein Jahr dauern. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ein Jahr für die Geschichtsbücher. Es war auch ein Jahr der Missverständnisse. In der Zeit war ich Regierungschef der demokratischen ‚Deutschen Demokratischen Republik‘, ich war vorher Mitglied im Kabinett der Übergangsregierung des Übergangssozialisten Hans Modrow, und ich war nachher Mitglied im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Kohl. Es war die DDR, die unter meiner Führung der Bundesrepublik beitrat und damit ihre eigene Staatlichkeit aufgab und die Einheit Deutschlands ermöglichte… Die Bürger der DDR haben sich in freien Wahlen sich für die Demokratie, die soziale Marktwirtschaft und die Deutsche Einheit entschieden. Das ist nicht in Bonn geregelt worden. Die DDR hat deutsche Geschichte geschrieben, nicht nur 1989 in Demonstrationen, auch 1990 in der entstehenden Demokratie. Damit es so kommt, bin ich in die Politik gegangen."

Keine zwei Wahrheiten mehr

Und es gab noch einen anderen Grund: "Ich will, dass meine Kinder in der Schule nicht mehr lügen müssen", sagte de Maizière zu dem damaligen Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, Gottfried Forck, als er ihn um Rat fragte, ob er sich der Wahl zum CDU-Vorsitzenden stellen solle. De Maizière war es wichtig, "dass es keine zwei Wahrheiten mehr gibt, eine für zuhause und eine für draußen."

Das nicht immer ganz einfache Verhältnis zu Helmut Kohl ist ebenso Gegenstand des Buches wie das zu anderen Politikern der Bundes-CDU, die ihn als Vertreter einer Blockpartei anfangs nur sehr zögerlich in ihren Reihen willkommen geheißen haben. Interessant ist auch seine Freundschaft mit Gregor Gysi, der zur Zeit des Mauerfalls Vorsitzender des Rechtsanwaltskollegiums war, zu dem auch de Maizière gehörte. "Er respektierte meine Liebe zur Musik", schreibt er über den heutigen Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag. "Und letztlich wohl auch, dass ich bemüht war, mein Christsein bewusst zu leben und nicht der allgemeinen Ideologie zu folgen."

Christsein bewusst leben

"Mein Christsein bewusst leben" – dieser Gedanke zieht sich durch das ganze Buch. Und immer wieder wird deutlich, wie sehr dieses Selbstverständnis die Motivation und das Handeln von Lothar de Maizière beeinflusst hat. Man liest mit einem leichten Schmunzeln die Geschichte seiner Vereidigung zum Minister für Kirchenfragen in der Regierung von Hans Modrow: "Egon Krenz nahm den feierlichen Akt vor. Ich sehe noch heute sein erstauntes Gesicht, als ich meinen Eid sprach und ihn bekräftigte mit: ‚So wahr mir Gott helfe‘."

Es fällt auch auf, dass er in einer Zeit großer Unsicherheit auf rechtsstaatlichen und demokratischen Entscheidungsprozessen beharrte; dass er immer wieder pragmatisch und ordnend in dieser Zeit der Umwälzungen und der – Gott sei Dank friedlichen – Revolution dazu beitrug, ein Chaos zu verhindern. Und so verwundert es nicht, das Michail Gorbatschow im Vorwort zu dem Buch schreibt: "Es ist dringend nötig, auch die Sicht von Lothar de Maizière auf die Ereignisse von 1989/90 zur Kenntnis zu nehmen, um ein umfassendes Bild von der Geschichte zu erhalten und daraus Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen."

Lothar de Maizière wurde 1940 in Nordhausen geboren, studierte Musik und arbeitete  in verschiedenen Orchestern. Wegen gesundheitlicher Probleme musste er seinen Beruf aufgeben. Er absolvierte ein Fernstudium der Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität und arbeitete ab 1976 als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt in Steuer- und Wirtschaftsfragen. Von 1986 bis 1990 war er Vizepräses der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. De Maizière trat bereits mit 16 Jahren in die CDU ein, bekleidete aber nie ein Parteiamt, bis er im November 1989 zum Vorsitzenden der CDU in der DDR gewählt und Minister für Kirchenfragen in der von Hans Modrow gebildeten Regierung wurde. Vom 12. April bis zum 2. Oktober war er der erste demokratisch gewählte und zugleich letzte Ministerpräsident der DDR. Ab Oktober 1990 war er Mitglied des Bundestages und stellvertretender Vorsitzender der CDU. Im Oktober 1991 zog er sich aus der Politik zurück und arbeitet seitdem wieder in seiner Anwaltskanzlei in Berlin. Das Buch schrieb er gemeinsam mit dem Journalisten Volker Resing, Redakteur bei der Katholischen Nachrichten-Agentur in Berlin. (pro)

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