Löst Japan-Katastrophe Egoismus oder Nächstenliebe aus?

Angesichts der Katastrophe in Japan kritisieren Medien zunehmend das fehlende Mitgefühl und den Mangel an echter Anteilnahme in Deutschland.
Von PRO

In einem Beitrag für den Berliner "Tagesspiegel" bemängelt Klaus Hartung, dass Deutschlands Reaktion auf die japanische Katastrophe vor allem eins zeige: "Wir sind selbstbezogen und unfähig zur Anteilnahme." Hartung zitiert den Philosophen Immanuel Kant und schreibt: "Die Katastrophe fordere von den Menschen Demut, ‘dass sie ihn sehen lässt, er habe kein Recht, von den Naturgesetzen, die Gott angeordnet hat, lauter bequemliche Folgen zu erwarten‘." Kant habe die Menschen dazu aufgefordert, Nächstenliebe zu zeigen und das Unglück mitzuempfinden. Es sollte sich etwas in den Menschen regen. "Hysterische Gefühlsreaktion und Rechthaberei" seien in solchen Momenten unangebracht, sagt der Autor.

"Doch hat sich bei uns vor allem die Menschenliebe geregt, als wir von dem Erdbeben in Japan erfuhren?" Hartung bezweifelt dies. Noch am Abend der Katastrophe sei die Opposition zusammengekommen und habe versichert, von diesem Unglück nicht profitieren zu wollen, um dann "die Atompolitik der Bundesregierung anzuklagen". Auch die deutschen Medien hätten kaum über die eigentliche Katastrophe berichtet, sondern sich auf die "GAU-Berichterstattung" fokussiert. Selbst nachdem Angela Merkel erst eine Woche nach dem Unglück zum Spenden aufgerufen habe, hätten die Medien kaum darüber berichtet. Schnell habe sich die Atomkraft-Frage aufgedrängt und das Schicksal der Menschen in Japan in den Hintergrund gerückt. Genau in diesem Handeln, schreibt der Autor, zeige sich unsere "Selbstliebe". Ganz im Gegensatz dazu würden die ausländischen Sender CNN und BBC stehen, die von der Opferbereitschaft der "Helden von Fukushima" berichteten und das Schicksal der Menschen zeigten. Hartung räumt ein, dass selbstverständlich über alle Vorkommnisse detailliert berichtet werden müsse, allerdings in angemessener Reihenfolge.

Auch wenn viele Menschen von der Gefasstheit und Disziplin der Japaner möglicherweise irritiert seien, drücke sich echte  "Menschenliebe und Teilhabe am Unglück des anderen" auf eine andere Art und Weise aus. "Im Banne unserer GAU-Erwartungen spüren wir, die wir so viel erspüren, gar nicht, was wir an Menschlichkeit verloren haben," so Hartung.

Der Stellvertretende Chefredakteur der "Zeit", Bernd Ulrich, würdigt die Spendenbereitschaft der Deutschen. Dennoch stellt er sich die Frage, wie lange diese Nächstenliebe andauern wird: "Sind wir zu mehr nicht in der Lage als zu vagabundierendem Mitleid, unzuverlässig, treulos? Oder sind wir einfach überstrapaziert von zu viel Welt, von zu viel globaler Nachbarschaft?"

"Zeit"-Redakteurin Dagny Lüdemann greift dieses Thema ebenfalls auf und beschreibt in ihrem Artikel die Furcht der Deutschen. Sie  fordert, die eigene Angst zu überwinden und aktiv zu handeln: "Es wäre dennoch wichtig, sich jetzt auf die Hilfe für diese Menschen zu konzentrieren, anstatt sich in der eigenen Furcht vor einem Super-GAU zu versteigen. Hier, 9.000 Kilometer entfernt, in Sicherheit." Der Journalist Gideon Böss bringt die Einstellung vieler Deutscher in einem Facebook-Kommentar auf den Punkt: "Ich frage mich, ob es im Ausland schon Spendenaufrufe für das durch Tsunami und Fukushima schwer getroffene Deutschland gibt." (pro)

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