Linke: Tauziehen um zweiten Israel-Beschluss

Kommt er oder kommt er nicht, der zweite Israel-Beschluss, den Linke-Fraktionschef Gregor Gysi bereits auf der letzten Fraktionssitzung angekündigt hatte? Nach Informationen der Tageszeitung "Die Welt" wird hinter den Kulissen heftig diskutiert, ob es überhaupt einen zweiten Beschluss geben sollte. Am Montag beschloss der Parteivorstand, den insgesamt 76 Abgeordneten am heutigen Dienstag die weitere Erklärung vorzulegen.
Von PRO

Noch Anfang Juni hatte die Linke-Fraktion ein Grundsatzpapier zum Antisemitismus verabschiedet, mit dem die Partei auf öffentliche Kritik wegen juden- und israelfeindlicher Äußerungen reagiert hatte. In dem Papier heißt es, die Abgeordneten der Fraktion die Linke würden "auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz". Gleichzeitig wurden drei grundsätzliche Positionen im Verhältnis zu Israel beschlossen: "Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte, noch an der diesjährigen Fahrt einer ‚Gaza-Flottille‘ beteiligen", hieß es laut Pressemitteilung in der Erklärung. Und weiter: "Wir erwarten von unseren persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den Fraktionsmitarbeiterinnen und Fraktionsmitarbeitern, sich für diese Positionen einzusetzen."

Der Beschluss war zwar einstimmig gefasst worden. Allerdings verließ eine zweistellige Zahl von Abgeordneten nach heftigen Diskussionen die Sitzung, bevor es zur Abstimmung kam. Nach Medienberichten soll Gysi das Papier mit einer indirekten Rücktrittsdrohung durchgesetzt haben. Dieses Vorgehen hat wiederum Kritik innerhalb der Fraktion ausgelöst. So bezeichnete die Linke-Abgeordnete Annette Groth, die im vergangenen Jahr an der Gaza-Flottille teilgenommen hatte, die Abstimmung als "undemokratisch" und "gefährlich". Der Beschluss sei "nur durch großen psychologischen Druck zustande gekommen". Andere Parlamentarier sprachen von einem "Maulkorberlass".

Linke will offenbar weiterhin israelische Politik öffentlich kritisieren

So viel Unruhe innerhalb der eigenen Reihen soll nun Gregor Gysi bewogen haben, einen zweiten Israel-Beschluss zu entwerfen, der das Papier von Anfang Juni relativiert. "Die Welt" zitiert aus dem Entwurf: "Es ist nicht hinnehmbar, wenn einer Kritik an der Politik der israelischen Regierung mit dem Vorwurf des Antisemitismus begegnet wird. Wir werden nicht zulassen, dass Mitglieder unserer Fraktion und Partei öffentlich als Antisemiten denunziert werden, nur weil sie die Politik der israelischen Regierung kritisieren." Die "inflationäre Verwendung des Begriffs des Antisemitismus" schade dem Kampf gegen ihn, heiße es weiter. Die Linke werde auch weiterhin die Politik der israelischen Regierungen öffentlich kritisieren, "wann immer dies wegen der Völker- und Menschenrechtswidrigkeit notwendig ist". Darunter verstehe die Linke laut Papier untere anderem die Blockade des Gazastreifens, die israelische Siedlungspolitik sowie "die Weigerung der israelischen Regierung, konstruktiv an einer Zweistaatenlösung mitzuwirken".

Ein Kotau der Fraktionsführung vor den Israel-Gegnern in der Linken? So sehen es nach "Welt"-Informationen Vertreter des Reformflügels. Intern hätten einige von ihnen bereits deutlich gemacht, dem Papier nicht zustimmen zu wollen. Am heutigen Dienstag soll sich die Bundestagsfraktion erneut mit den Antisemitismus-Vorwürfen befassen.

Hinzu kommt, dass immer mehr Stimmen innerhalb der Linken ein klares Bekenntnis zu Israel fordern und dies sogar im neuen Grundsatzprogramm festgelegt haben wollen. Nach Thüringens Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow plädiert auch die parlamentarische Geschäftsführerin der Linken, Dagmar Enkelmann, dafür, eine Anerkennung Israels im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung im Programm festzuschreiben, schreibt die "Welt" und zitiert den Berliner Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich: "Wir sollten die Debatte zum Anlass nehmen, die Absage an den Antisemitismus einerseits und das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels andererseits festzuschreiben."

Das dürfte nicht allzu schwer sein, wenn stimmt, was Liebich behauptet: "Es gibt in unserer Bundestagsfraktion und in unserer Parteiführung keine Antisemiten." Das sieht Ramelow ähnlich, der in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sagt: "Ich kann bei uns keinen antisemitischen Bundestagsabgeordneten erkennen." Gleichwohl räumt er ein: "Ja, es gibt Antisemiten bei uns", um gleichzeitig einzuschränken: "allerdings wie in jeder anderen Partei auch."

Inzwischen hat auch Parteichefin Gesine Lötzsch einen Vorschlag zur Verankerung des Existenzrechts Israels im neuen Grundsatzprogramm für den Erfurter Parteitag im Oktober angekündigt. An diesem Wochenende will der Parteivorstand einen überarbeiteten Programmentwurf beschließen. In der bisherigen Fassung taucht Israel nicht auf.

Katholiken geben Empfehlungen für das Grundsatzprogramm

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz hatte die Linkspartei am Wochenende zu einer klaren Abgrenzung von antisemitischen Tendenzen aufgefordert. Gegenüber der "Welt" sagte deren Vorsitzender, Erzbischof Robert Zollitsch: "Da, wo es antisemitische Tendenzen gibt, müssen diese benannt werden." Er rief die Linke in dem Beitrag auf, die Forderung einer Zwei-Staaten-Lösung und das Eintreten für das Existenzrecht Israels in das neue Grundsatzprogramm aufzunehmen: "Die Partei sollte diesbezüglich Klarheit schaffen." Parteichefin Lötzsch konterte prompt: "Wir müssen uns von der Bischofskonferenz nicht belehren lassen." Partei und Fraktion der Linken hätten seit langem klare Positionen zu dem Thema – das Existenzrecht Israels sei selbstverständlich. (pro/dpa)

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