Kolumne

„Den Juden ein Palästinenser, den Palästinensern ein Jude“ – Burghard Schunkert, Lifegate und der Krieg

Die christliche Organisiation Lifegate kümmert sich in Bethlehem um Menschen mit Behinderungen. Uwe Heimowski hat Burghard Schunkert getroffen, der ihm von der Arbeit unter den erschwerten Bedingungen im Krieg berichtet.
Von PRO

Burghard Schunkert ist CVJM Sekretär. Seit 1987 ist er im Aufbau und heute der Leitung von „Lifegate – Tor zum Leben“ in Beit Jala/Bethlehem engagiert, einer Rehabilitation für Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen. Als Christ („Lehrer des Weges im Land“) lebt er mit seiner Familie in Jerusalem.

Mehrfach habe ich Lifegate bei Reisen nach Israel besucht. Als Tearfund konnten wir sie einige Monate bei einem Projekt unterstützen. Jetzt traf ich Burghard Schunkert bei einem Kongress in Karlsruhe. Ich bat ihn, mir seine Eindrücke seit dem Terroranschlag der Hamas zu schildern. Was hieß das für ihn und die Menschen von Lifegate in Bethlehem?

Uwe Heimowski (links) leitet die christliche Hilfsorgansation Tearfund, Burghard Schunkert ist in der Leitung des israelischen Werks „Lifegate – Tor zum Leben“ in Beit Jala/Bethlehem engagiert

Folgendes berichtet Burghard Schunkert:

Morgens um sechs Uhr beginnen die Nachrichten im israelischen Radio in Jerusalem mit der Verlesung der Namen der gefallenen Soldaten vom letzten Tag. Danach weinende und klagende Menschen und Live-Mitschnitte von den Begräbnissen. Man berichtet öffentlich, nachdem die Familien informiert wurden. Dann mein Blick auf die „arabische App“, welche Straßen nach Bethlehem offen sind und welche geschlossen. Danach wähle ich die Route zur Arbeit. Auf dem Weg blühende Mandelbäume und ein trauriger Blick auf den Grenzübergang zum Westjordanland. Erst vorgestern starb hier ein 15-jähriger palästinensischer Junge, der mit seinem Fahrrad kam und mit einem Messer auf die Soldaten losgegangen war. Ein „Kind“ dem man den Himmel versprach, wenn er einen israelischen Soldaten im Fastenmonat Ramadan umbringt. Ein junges Leben, zum Hass erzogen und sinnlos weggeworfen. Auch der junge israelische Soldat, der den tödlichen Schuss abgab, wird damit für immer weiterleben müssen.

Bei Lifegate ist um 7.15 Uhr noch alles ruhig, dann kommen die ersten Fahrdienste und Eltern und bringen die Kinder und jungen Menschen zu unseren Förderprogrammen. Viele Kinder freuen sich auf einen neuen Tag mit vielen Aktivitäten in den Fördergruppen, bei der Therapie und oft auch bei Ausflügen und Begegnungen mit Kindern aus Regelschulen, das Lifegate-Inklusionsprogramm.

50 Mahlzeiten und 90 Vollkornbrote pro Tag

Unser Sozialarbeiter kommt ursprünglich aus Gaza, ich frage ihn, was er hörte, wie es den in einer Kirche verschanzten 500 Christen im Norden von Gaza geht. Er ist fast täglich mit ihnen in Kontakt und berichtet, dass sie versorgt seien, aber nirgendwo hingehen können und in ihren noch teilweise intakten Wohnungen heute andere Familie wohnen und sie keinen Weg zurück mehr haben. Doppelte Verlierer des grausamen Konfliktes.

Dann kümmert er sich um unser Hilfsprogramm für Familien, die sich kein warmes Essen mehr kochen können, weil kein Familienmitglied mehr bezahlte Arbeit findet. 50 Mahlzeiten und 90 Vollkornbrote pro Tag, Lebensmittelgutscheine und Kleider ermöglichen wir seit drei Monaten Menschen, die durch den Krieg in Armut versunken sind.

Unsere jungen Menschen mit Behinderungen kochen und backen für Menschen in Not. Heraus aus der „klassischen palästinensischen Opferrolle“ und etwas für andere tun und dabei Freude haben, das ist Programm bei Lifegate.

Die israelische Mühle ruft mich an und fragt nach unserer Mehlbestellung für den kommenden Sonntag. Sie erkundigen sich nach unserem Wohlbefinden und wünschen uns alles Gute. Nur hier gibt es das gute aus der Nähe von Stuttgart importierte Dinkelmehl und Vollkornroggen, den wir bei Lifegate selber mahlen. In einem Kindergarten, einer Förderschule und unserer Berufsausbildungswerkstatt fördern wir täglich bis zu 250 Kinder und junge Menschen.

„Ich habe gelernt, dass Gott uns nie vergisst.“

Ein Zoom Treffen mit einer deutschen Organisation lässt mich betroffen zurück. Eine versprochene Zuwendung wurde ersatzlos gestrichen. In diesen Zeiten, wo eigene Einnahmen fast nicht mehr möglich sind, in einem Land, wo es keinerlei öffentliche Förderung oder Unterstützung für Menschen mit Behinderungen oder Fördereinrichtungen gibt, tut das weh.  Aber ich habe gelernt, dass Gott uns nie vergisst, eine Tür schließt sich, eine andere geht bestimmt irgendwo auf!

Bei Lifegate erwirtschaften wir seit Jahren einen Teil unseres erforderlichen Etats selbst. Menschen mit Behinderungen können für sich selber sorgen, wenn sie ihre Lebenskraft nicht einsetzen, um zu hassen, sondern um zu lieben. Wenn sie sich etwas zutrauen, weil ihnen zuvor vertraut wurde und jemand ihnen Wertschätzung entgegenbringt, sodass Selbstwertgefühl sich entwickeln kann. Beispiel ist uns hier schlicht und einfach Jesus selbst, der sein Leben aus Liebe zu uns gab, damit wir lernen können, Hände zu reichen und zur Feindesliebe aufzurufen.

Junge Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen werden bei Lifegate rehabilitiert und arbeiten unter anderem in der Küche mit

Am Spätnachmittag bringe ich einer israelischen Freundin Geschenkgegenstände aus unserer Olivenholzwerkstatt und der Stickabteilung. Jeden Freitag hat sie einen kleinen Lifegate-Basar in ihrem Haus in einem Kibbuz. Danach besorge ich im Handwerksgeschäft in Jerusalem einen Wasserhahn für die Therapeutenküche und treffe später meinen jüdischen Nachbarn auf der Treppe zu meiner Wohnung. Wie es denn gehe auf der anderen Seite, fragt er. Ich berichte von den Menschen, dem vierjährigen Jaad, der seine ersten freien Schritte machte und zu reden begann, der Angst im Team, dass sich der Konflikt auf das Westjordanland ausweitet und die Stabilität, die wir den uns anvertrauten Menschen geben wollen – gerade in dieser Zeit. Manchmal sage ich auch: Dank unserem Herrn Jesus, der übrigens einer von Euch ist, schaffen wir es Tag für Tag.

Am Abend freuen wir uns, dass alle Familienmitglieder gesund und wohlbehalten nach Hause gekommen sind, bei Raketenangriffen, Anschlägen und Attentaten heute wohl niemand verletzt oder getötet wurde, den wir direkt kennen. Wir waren in den letzten fünf Monaten auf einigen Begräbnissen … Am Abend die Nachrichten im Fernsehen, getötete Hamaskämpfer, zertrampelte und getötete Menschen bei den Lebensmittellieferungen, schwer verletzte und getötete israelische Soldaten, zerstörte Häuser im Norden Israels und in Gaza. Wir weinen und trauern auch um 134 israelischen Geiseln, die immer noch in Gaza versteckt werden, 50 sollen bereits tot sein.

Jüdische Freunde unserer Kinder kommen abends vorbei und morgen früh werde ich in einer israelischen Organisation gebrauchte Rollstühle abholen, die uns für unsere palästinensischen Kinder und jungen Menschen gespendet werden. Jeder Tag hat seine „eigene Sorge“ – und Freude. Und jeder Tag ist ein Tag mit Gott, darauf vertrauen wir und dafür danken wir jeden Abend.

Von: Uwe Heimowski

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