Liebloses zur Loveparade: Die Medien und die Katastrophe

21 Menschen sind in der Massenpanik während der Loveparade in Duisburg ums Leben gekommen – bis jetzt. Hunderte leiden noch an ihren Verletzungen. Doch die Schäden, die die Parade hinterlässt, sind nicht nur körperlich. Die Gemeinschaft der Trauernden macht sich im Netz Luft – und kritisiert, wie die Presse das Duisburger Unglück ausschlachtet.

Von PRO

"Gott war auch bei denen, die ihr Leben verloren haben." Mit diesen Worten versuchte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, am Dienstag, Trost zu spenden. "Bei allem Erschrecken und Fragen bin ich ganz gewiss: Gott hatte die Menschen nicht verlassen, die in der Massenpanik um ihr Leben gefürchtet und gekämpft haben", zitiert die Zeitung "Rheinische Post" den Theologen. Doch nicht jedes Medium veröffentlichte im Angesicht der Katastrophe Worte des Bedauerns.

"Der Kampf um Leben und Tod"

Medienberichten zufolge waren bis Dienstag 140 Beschwerden beim Deutschen Presserat in Berlin wegen "unangemessener Darstellung" des Unglücks in den Medien eingegangen. Fast alle bezögen sich auf die Boulevard-Zeitung "Bild" oder deren Onlineportal "Bild Online", schreibt die "Süddeutsche Zeitung". So habe das Medium etwa den Tatort, verzweifelte Menschen und sogar einzelne Opfer großformatig im Bild gehabt. Am Montag etwa habe das Blatt über eine ganze erste Seite ein Foto vom Ort des Geschehens in Duisburg gezeigt. Zu sehen seien Menschen gewesen, die erdrückt würden und um ihr Leben bangten – sogar ihre Gesichter seien zu erkennen. Eine Bildergalerie betitelte "Bild Online" mit "Der Kampf um Leben und Tod".

Der herausgebende Axel Springer-Verlag teilte mit, er sehe keine Begründung für die Beschwerden. "Wie alle Medien berichtet auch Bild – aus unserer Sicht angemessen und verhältnismäßig – über die tragischen, schockierenden Ereignisse während der Loveparade", zitiert die "Süddeutsche Zeitung". Der Deutsche Journalisten-Verband hingegen mahnte eine sachliche Berichterstattung an. "Es gibt publizistische Grundsätze, die eingehalten werden müssen", hieß es vonseiten der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Ulrike Kaiser.

Blogger werden zu Zeitzeugen

Währenddessen berichtet der Evangelische Pressedienst (epd) darüber, wie Betroffene sich vor allem im Internet über das Unglück äußern. Im Interview mit der Agentur sagte der Leiter der psychosozialen Notfallseelsorge in Krefeld, Bernard Dodier, das Schreiben und Kommentieren der Ereignisse in Foren sei hilfreich, ersetze aber keinesfalls das Gespräch mit Freunden, Verwandten und Seelsorgern, die dem Betroffenen direkt Trost spenden könnten. Online-Foren erfüllten einen anderen Zweck: Dort stillten die Schreiber ihr Mitteilungsbedürfnis. Damit reihten sich die Verfasser in die Gemeinschaft der Trauernden ein. "Eine Riesengruppe von Menschen im Netzwerk reagiert als Masse", sagte Dodier. Es tue den Menschen gut, unter Gleichgesinnten zu sein.

So berichtet etwa die Bloggerin "Julia" über ihre Erlebnisse, die "Berliner Morgenpost" druckte den Blog-Eintrag ab. Ihr Beitrag zeigt, wie sich jene gefühlt haben müssen, die das Unglück hautnah miterlebt haben – ohne sensationsheischende Bebilderung. "Ich dachte mir, das würde sich gleich schon alles auflösen, und sagte ihr, sie solle ruhig bleiben. Hinter mir wurde es langsam auch immer enger, man konnte sich nicht mal mehr umdrehen", erinnert sich die Bloggerin. Dann beschreibt sie, wie der Druck in der Masse immer größer wurde: "Neben mir hörte ich Schreie, Todesschreie, ich sah zwei kleinere Personen, einen Jungen und ein Mädchen, beide zwischen 16 und 20 Jahre alt. Sie schrien, sie würden sterben. Er blickte mich panisch an und rang nach Luft. Ich konnte keinen Zentimeter meines Körpers bewegen und musste hilflos zusehen, wie er immer weiter runterglitt. (…) Ich bekam richtig Panik, ich versuchte meinen Körper anzuspannen, doch es bewegte sich nichts, keinen Zentimeter. Mein Brustkorb schmerzte, ich wurde langsam unter der Menschenmenge begraben. Ich hörte noch Schreie, dann hörte und sah ich nichts mehr, um mich herum wurde alles schwarz. Jemand war auf mich gestürzt. Ich konnte meinen Kopf nicht mehr bewegen, keine Stelle meines Körpers. Ich rang nach Luft, doch ich bekam keine. Ich sah im Augenwinkel noch ein Stück der Sonne, merkte, wie jemand auf mein Bein stieg. Dann wurde alles dunkel, ich rang um Luft, sagte mir in Gedanken: Dein Leben ist vorbei."

EKD-Ratsvorsitzender: "Keine göttliche Bestrafung"

"Julia" hat überlebt. Wie viele andere wird sie die Berichterstattung und Kommentierung der Medien verfolgen. Neben der Berichterstattung der "Bild" hat wohl der Beitrag der ehemaligen Tagesschau-Sprecherin Eva Herman die größte Empörung ausgelöst. In einem Kommentar für den "Kopp"-Verlag beschrieb sie die Loveparade als modernes "Sodom und Gomorrha mit katastrophalen Folgen". In Wahrheit sei die Feier eine "riesige Drogen-, Alkohol- und Sexorgie". Mit dem Unglück von Samstag sei nun das amtliche Ende der Parade besiegelt. "Eventuell haben hier ja auch ganz andere Mächte mit eingegriffen, um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen. Was das angeht, kann man nur erleichtert aufatmen!", mutmaßt Herman.

Diese Bemerkung ließ der EKD-Ratsvorsitzende Schneider nicht unkommentiert. "Gottes Wirken bei der Loveparade am vergangenen Samstag in meiner Heimatstadt Duisburg im Einzelnen zu entdecken und theologisch zu deuten, das ist mir unmöglich." Sein Glaube und seine theologische Überzeugung verböten es jedoch, in diesem Unglück einen Fingerzeig Gottes gegen die Loveparade oder gegen die Organisatoren zu sehen. "Und schon gar nicht kann ich die Todesfälle als göttliche Bestrafung für Teilnehmer verstehen", betonte Schneider gegenüber dem epd. (pro)

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