Leidenschaft für Wahrheit und Kampf um Gerechtigkeit

In Deutschland scheint Pressefreiheit selbstverständlich, in vielen Ländern auf der Welt wird sie mit Füßen getreten. Journalisten, die aus diesen Ländern berichten, riskieren ihre Freiheit und oft sogar ihr Leben. Deren Mut zeichnet die Organisation Reporter ohne Grenzen jährlich aus: Am Donnerstagabend wurden die Press Freedom Awards in Berlin verliehen – zwei Preisträger durften nicht nach Deutschland einreisen.
Von Christina Bachmann
Caroline Muscat bei ihrer Dankesrede

Drei Frauen waren es, die auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters geehrt wurden. Es sprach allerdings für sich, dass nur eine von ihnen den Preis persönlich entgegennehmen konnte. Die beiden anderen Frauen sind nach wie vor Repressionen in ihrer Heimat ausgesetzt. Mit ihnen und allen anderen unterdrückten, inhaftierten oder ermordeten Journalisten erklärte sich die anwesende Preisträgerin Caroline Muscat solidarisch: „Wir dürfen niemals aufhören, für die Gerechtigkeit zu kämpfen und unsere Verbundenheit füreinander zu zeigen, wenn einer von uns zur Zielscheibe wird.“

Das hat die Journalistin aus Malta selbst eindrücklich unter Beweis gestellt. Weil sie trotz schwerster Bedingungen unabhängig berichtet habe, verlieh ihr die internationale Jury der Organisation Reporter ohne Grenzen den Press Freedom Award in der Kategorie „Independence“. Nach dem Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 hatte Muscat eine unabhängige investigative Nachrichten-Website mitgegründet. Diese kämpft gegen Korruption und für die Pressefreiheit in Malta. In dem kleinen Inselstaat, in dem die meisten Medien der Regierung untergeordnet sind, deckte sie viele Fälle von Korruption auf, die lokale Politiker betrafen. „Wir müssen keine Helden sein“, sagte Muscat in Berlin. „Die Tatsache, dass einige von uns als solche betrachtet werden, sagt mehr über die Zustände in unserem Land als über uns selbst aus.“

„Sie versuchen alles, um uns zu zerstören“

Bewegend auch die Worte, die Laudatorin Susanne Koelbl für Eman al Nafjan fand. Die Journalistin beschrieb die saudi-arabische Bloggerin und Frauenrechtlerin, die sie persönlich kennt, als kluge Universitätsprofessorin, liebevolle Mutter von vier Kindern und als eine Frau, die ihr Land liebe. Eman al Nafjan wurde von Reporter ohne Grenzen in der Kategorie „Courage“ ausgezeichnet. Die Gründerin der Website SaudiWoman.me ist auch Autorin zahlreicher Artikel in internationalen Medien und leitete saudische Frauenkampagnen. Im Mai 2018 wurde sie zusammen mit anderen Frauenrechtlerinnen in Haft genommen und gefoltert, unter anderem deshalb, weil sie ein Ende des Fahrverbots für Frauen in Saudi-Arabien gefordert hatten. Dreimal habe sie versucht, sich das Leben zu nehmen, erzählte Koelbl. „Sie konnte es nicht ertragen, eingesperrt zu sein.“ Im März dieses Jahres wurde Eman al Nafjan vorläufig freigelassen, ist allerdings weiterhin mit vielen Verboten belegt, was eine Reise nach Berlin unmöglich machte.

Ebenfalls nicht anwesend war Pham Doan Trang, die dritte Preisträgerin an diesem Abend. Ihr werden in ihrer Heimat Vietnam die Papiere verwehrt, die sie bräuchte, um Arbeit und eine Wohnung zu finden oder gar eine Reise zu machen. Sie wurde in der Kategorie „Impact“ ausgezeichnet – ihre Arbeit hatte nach Ansicht der Jury besondere Wirkung. Die Buchautorin hat ein Online-Magazin zu Menschenrechtsfragen gegründet und gibt das Magazin „The Vietnamese“ heraus. Es hilft vietnamesischen Bürgern und Bürgerinnen, ihre Rechte einzufordern und der Willkürherrschaft der Kommunistischen Partei zu widerstehen. Die 40-Jährige wurde wegen ihrer Arbeit von der Polizei geschlagen und im vergangenen Jahr zweimal für mehrere Tage willkürlich festgehalten. Pham Doan Trang wandte sich in einer Videobotschaft an das Publikum in Berlin. „Sie versuchen alles, um uns zu zerstören“, sagte sie. „Aber wir haben etwas, was sie nicht haben: Wir haben eine Leidenschaft für die Wahrheit, eine Hingabe für Veränderungen und wir haben Hoffnung.“

„Lügenpresse“-Vorwurf richtet sich gegen Pressefreiheit

Der britische Journalist Alan Rusbridger, einst Chefredakteur und Herausgeber der britischen Tageszeitung „The Guardian“, betonte, wie wichtig es sei, dass Reporter, die im Grunde Zeugen seien, anderen berichteten, was wirklich geschehen sei. „Es ist nicht nur ein Job, sondern ein aktiver Dienst“, so Rusbridger. „Ohne diese Menschen kann eine Gesellschaft nicht funktionieren.“ Er wies auf den Vertrauensverlust im digitalen Zeitalter hin – laut einer Umfrage hätten zwei Drittel der Befragten zugegeben, sie könnten eine gute nicht mehr von einer schlechten Quelle unterscheiden. Dennoch sah der Journalist nicht zuletzt an diesem Abend in Berlin „Leuchtfeuer der Hoffnung“. Die Menschen vor der Zeitung oder dem Bildschirm würden guten Journalismus wieder zu schätzen wissen und ihn unterstützen.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hatte die Gäste im Deutschen Theater willkommen geheißen. Er schlug den Bogen zur Politik: Viele der Auseinandersetzungen, die es im Berliner Parlament mit der AfD gebe, drehten sich um Fragen der Medien und der Pressefreiheit. „Da wird deutlich, worum es einigen geht mit diesem Schlagwort der Lügenpresse“, so Müller, „nämlich darum, einen Pfeiler unserer Demokratie und unseres freien und offenen Lebens einzuschränken, um eigene politische Ziele durchsetzen zu können.“ Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das wurde an diesem Abend im Saal der Kammerspiele deutlich – vielleicht gerade deshalb, weil sich die meisten Gäste vermutlich nicht einmal ansatzweise vorstellen konnten, welchen Preis für Leib und Leben investigativer und unbestechlicher Journalismus anderswo bedeutet.

Seit 27 Jahren werden die Press Freedom Awards verliehen, mit diesem Jahr erstmals in Berlin. Anlass war das 25-jährige Bestehen der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen. Stets gilt es bei der Vergabe abzuwägen, ob die Auszeichnung einem Preisträger nicht vielmehr schaden könnte. Meist jedoch trage die dadurch hergestellte Öffentlichkeit dazu bei, den Druck auf Regime zu erhöhen, betont die Organisation.

Von: Christina Bachmann

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