Lehmann: „Jeder nimmt, wo er kann“

Kardinal Karl Lehmann ist bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. In der aktuellen Ausgabe der "Frankfurter Rundschau" äußert er sich in einem Interview zu verlogenen Debatten in Zeiten des Wahlkampfes, zum ökumenischen Miteinander und zur noch ausstehenden Vergabe des Hessischen Kulturpreises 2009.


Von PRO

An der Empörung über die Dienstwagenaffäre von
SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt hält Lehmann vieles für
verlogen: "Jeder nimmt doch heute wo er kann, zeigt aber dann gern mit
dem Finger auf andere – in Wahlkampfzeiten natürlich besonders
intensiv", sagte der Bischof in dem Interview, in dem er sich auch
grundsätzlich über das Verhältnis von Kirche und Politik äußerte.
Thematische Schwerpunkte aus Sicht der Kirche gebe es auch in Zukunft viele, etwa den Schutz des Lebens an Anfang und Ende, den Schutz von Ehe und Familie, Bioethik sowie Schutz und Hilfe für die Schwächeren. Dabei hätten "die Menschen (…) den Schaden, wenn die Menschenwürde vor die Hunde geht. Junge Menschen suchen oft die Kirche, weil sie mehr und mehr um die Not der Orientierung wissen", so Lehmann. Über die mangelnde Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Fragen der Bioethik sei er dabei nicht überrascht. "Frau Merkel ist Physikerin, evangelisch und kommt aus der DDR. Da kann ich nicht ohne weiteres verlangen, dass sie sich unsere Positionen mir nichts, dir nichts zu eigen macht."

"Linkspartei mit grundlegenden Unklarheiten"

In Bezug auf die Wählbarkeit der Linkspartei missfallen ihm die nach wie vor ungeklärte Programmatik und die noch ungenügend vollzogene Trennung mit von der SED-Vergangenheit. "Es gibt auch grundlegende Unklarheiten im Blick auf die Kirche."

Lobende Worte findet Lehmann dagegen für das ökumenische Miteinander und den scheidenden EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber, der kommunikativ und zudem ein guter Theologe und Sozialethiker sei.

Eine Abschaffung der Kirchensteuer kommt für den 73-Jährigen trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten nicht in Frage. Hinter vielen Kirchenaustritten stünden lange Entfremdungsprozesse. "Das Kirchensteuerkonzept ist gerechter als andere Formen der Finanzierung. Ich halte es für wichtig, dass wir uns um die treuen ‚Kirchenfernen‘ kümmern und ihnen unsere Wertschätzung ausdrücken. Der Staat weiß viel zu gut, wie viele Aufgaben und Lasten wir übernehmen – etwa in Kindergärten, Schulen oder Krankenhäusern."

Gegen pseudo-liberale Gleichgültigkeit

In dem Interview äußert sich Lehmann auch zu der Debatte um die Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009 an den muslimischen Schriftsteller Navid Kermani. Nach einer Intervention Lehmanns und des ehemaligen Kirchenpräsidenten Peter Steinacker war die Verleihung ausgesetzt worden. "Das interreligiöse Gespräch ist unerlässlich. Aber man darf es nicht mit dieser Ignoranz für den eigenen Wert jeder Religion führen, nicht mit dieser pseudo-liberalen säkularen Gleichgültigkeit, die unter dem Deckmantel von Toleranz und Religionsfreiheit den ganz eigenen Charakter von Religion nicht ernst nimmt." Er sei überrascht gewesen, mit wie viel Ignoranz über die Sache selbst, aber auch über ihn geredet worden sei: "An meiner positiven Haltung zum interreligiösen Dialog sollte kein Zweifel möglich sein", so Lehmann. Er habe übrigens nie gefordert den Preis abzuerkennen. Dies werde er Kermani in einem persönlichen Gespräch darlegen.

Lehmann wurde als Sohn eines Volksschullehrers und einer Buchhändlerin geboren. Von 1956 bis 1964 studierte er Theologie und Philosophie in Freiburg und Rom. Dort wurde er 1963 zum Priester geweiht. 1983 wurde Lehmann zum Bischof von Mainz ernannt. Von 1987 bis 2008 saß er der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz vor. Am 28. Januar 2001 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. in Rom zum Kardinal.

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