Im September 2010 hatte der Manager Eberhard von Brauchitsch gemeinsam
mit seiner Ehefrau ihrem Leben vorzeitig ein Ende gesetzt. Gunter Sachs
habe die Einschränkungen seiner Alzheimer-Krankheit nicht mehr
akzeptieren wollen und deswegen den Freitod als Ausweg gewählt. Mit
ihrer Tat hätten die "Selbstmörder" auch an die Lebenden
appelliert.
Aus der gesamten Diskussion ergebe sich, so Huber, die grundsätzliche Frage, ob man sein Leben verstehe "als Geschenk, das mir anvertraut ist, oder als Besitz, über den ich die Kontrolle haben will". Es müsse deutlich herausgestellt werden, dass neben dem Leben auch das Sterben seine Zeit habe und "dass wir über unseren Tod so wenig verfügen, wie über unsere Geburt".
Gesundheit bis zum letzten Atemzug
Aus dem Fortschritt der Medizin leiteten manche Menschen einen Anspruch auf die Gesundheit bis zum letzten Atemzug ab. Bereits wenn das Leben diesem Standard nicht mehr genüge, gelte es als nicht lebenswert. "Die Medizin verheißt Gesundheit; doch sie verlängert das Leben auch dann, wenn es von schwerer Krankheit gezeichnet ist. Sie weckt die Hoffnung auf ein gesundes Leben bis zuletzt; doch sie schürt zugleich die Furcht vor einem eingeschränkten Leben ohne Ende", macht Huber deutlich.
In wenigen Tagen befasse sich der Deutsche Ärztetag mit einem Beschlussantrag, demzufolge "Ärzte keine Beihilfe zur Selbsttötung leisten dürfen". Wenn so entschieden werde, sei dies eine "wichtige, ja überfällige Klarstellung". Zur ärztlichen Kunst gehöre nämlich auch die Einsicht, dass Sterben seine Zeit habe. Man müsse einen Menschen an der Grenze des Todes auch gehen lassen: "Es geht nicht darum, das Sterben in die Hand zu nehmen, sondern das Leben loszulassen, wenn es an der Zeit ist."
Gefährdungen der Menschenwürde
Wichtiger als Debatten über Patientenverfügungen und aktive Sterbehilfe sei die Vorsorge dafür, dass Sterbende nicht alleine seien – vor allem, um ihnen ein würdiges Sterben zu ermöglichen. Aus Hubers Sicht stellt die Vereinsamung Alter und Kranker die größten Gefährdungen der Menschenwürde dar. Es gebe weder Recht noch Pflicht dazu, über das Ende des Lebens zu bestimmen. Die Entscheidung eines Menschen, den Freitod zu wählen, verdiene Respekt. "Doch es wird damit nicht zur Nachahmung empfohlen. Wer sich dazu entscheidet, wird damit nicht zum Vorbild", so Huber.
Der 68-jährige Huber arbeitet als Professor für Theologie in Berlin und Heidelberg. Er war Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland und Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz. Huber ist Mitglied im Deutschen Ethikrat und Autor zahlreicher Bücher zu dieser Thematik. (pro)