Die Maschine landet pünktlich in Beirut. Üblicherweise sind die Straßen vom Rafik-Hariri-Flughafen Richtung Innenstadt übersät mit Porträts hochrangiger Hisbollah-Funktionäre. Das hat sich geändert. Bei meiner letzten Libanonreise im Frühjahr 2023 blickten mich noch die Gesichter Hassan Nasrallahs und Kassem Soleimanis an, jenes iranischen Generals und Hisbollah-Freundes, den das amerikanische Militär 2020 tötete. Das geistliche Oberhaupt der Hisbollah, Hassan Nasrallah, hatte seinen letzten großen Auftritt im Camille-Chamoun-Stadion.
Der Libanon verändert sich – und Veränderung scheint das Einzige zu sein, worauf man sich in diesem kleinen Land am Mittelmeer verlassen kann. Auf der Fahrt Richtung Innenstadt fallen mir Plakate der nationalen Basketballmannschaft auf, daneben Poster des libanesischen Militärs. „Wir stehen alle hinter euch“, heißt es darauf. Es ist ein Ausdruck nationaler Solidarität.
Die Hisbollah ist zurückgedrängt. Es herrscht ein politisches Aufbruchsgefühl im Land. So viel ist (erst einmal) sicher: Der Krieg ist vorbei. Alle, mit denen ich in den kommenden Tagen spreche, sind erleichtert – heilfroh sogar. Wen wundert’s? Zum ersten Mal seit Langem scheint Frieden vorstellbar. Der Libanon hat wieder einen Präsidenten, und die Menschen sind – ungewöhnlich genug – nicht unzufrieden mit ihm. Nach Jahren politischer Lähmung ist das fast schon ein Hoffnungsschimmer.
Geopolitische Veränderungen sind im Stadtbild angekommen
„Die intensiven Luftangriffe auf die schiitischen Vororte von Beirut haben wir mehr oder weniger mitbekommen. In unseren christlich geprägten Stadtteilen hörte man davon nur wenig. Doch ich erinnere mich: Als sie Hassan Nasrallah im Bunker töteten, war das ein heftiger Schlag – selbst hier, in diesem Teil Beiruts, haben wir es gespürt“, erzählt mir ein Mitarbeiter der Armenisch-Evangelischen Kirchenunion im Stadtviertel Aschrafiyya.
Mein Eindruck verfestigt sich: Die geopolitischen Veränderungen im Nahen Osten sind im Stadtbild angekommen. „Iran out“ – „Iran raus“ – steht mehrfach an Wände gesprüht. Das ist neu. Da traut sich jemand was. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen der Iran im Libanon durchaus willkommen war.
„Wenn israelische Drohnen über uns kreisen, ignoriere ich sie einfach“, sagt mir eine Schülerin der Armenisch-Evangelischen Schule in der Bekaa-Ebene. „Ich weiß ja, dass sie da sind. Wenn ich hochschaue, habe ich nur Angst, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Obwohl sie nichts von mir wollen.“
Dann fügt sie anekdotisch hinzu: „Wir haben gehört, dass das israelische Militär ein Auto angegriffen hat, in dem ein hochrangiger Hisbollah-Führer mit seiner Familie saß. Er starb, seine Familie überlebte.“ Ob sich das wirklich so zugetragen hat, lässt sich kaum sagen. Selbst in einem Land, aus dem heraus eine Terror-Miliz Krieg gegen Israel geführt hat, erfahren die Menschen vieles nur vom Hörensagen.
Menschen sind kriegsmüde
„Der Krieg fand ja nicht überall statt“, erzählt mir später die Sekretärin der Schule, während wir auf den Direktor warten. „Ich habe keine Angst mehr vor Krieg. Die Kämpfe waren immer auf bestimmte Gebiete begrenzt.“ Es ist spürbar: Die Menschen sind müde. Kriegsmüde. Zu müde, um darüber zu sprechen. Die meisten reagieren knapp, fast abwehrend.
Unterwegs nach Byblos und Batroun, zwei mehrheitlich christliche Städte an der Mittelmeerküste, komme ich mit unserem Taxifahrer ins Gespräch. Er ist maronitischer Christ. Die Maroniten sind eine mit Rom unierte Kirche und bilden die größte christliche Gemeinschaft im Land. Mit dem neuen Präsidenten ist er zufrieden: Joseph Aoun, ebenfalls Maronit.
„So viel kann man noch nicht über ihn sagen“, meint er. „Er ist ja erst kurz im Amt. Aber es ist immerhin gut, überhaupt wieder einen Präsidenten zu haben.“ Von der sogenannten Pager-Attacke, die der israelische Geheimdienst Mossad geplant und ausgeführt haben soll, habe er nichts mitbekommen, obwohl er zu Hause in Beirut war. „Israel kann man nicht bekämpfen“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Sie sind technologisch weit voraus – und sehr clever.“
„Israel nimmt sich einfach Land in Syrien“
In vielen Gesprächen spüre ich eine gewisse Anerkennung der israelischen Militärstrategie im vergangenen Jahr, besonders nach der gezielten Tötung Hassan Nasrallahs. Für viele war Nasrallah längst eine gespenstische Figur. Man wusste, dass er irgendwo in Beirut war – nur nicht wo. Seine Entdeckung und Tötung kam auch für viele Libanesen überraschend.
Das Leid der Palästinenser im Gazastreifen bewegt dennoch viele meiner Gesprächspartner. „Ich glaube schon, dass Israel genozidale Absichten in Gaza hat“, sagt ein meinungsstarker Bekannter. „Und ich habe Zweifel an der Berichterstattung. Wie kann einem Staat mit einem Sicherheitssystem wie dem Iron Dome so etwas wie der 7. Oktober passieren? Und warum darf Israel die Atombombe haben, der Iran aber nicht? Israel nimmt sich einfach Land in Syrien, das ihm nicht zusteht.“
Der Libanon gehört weltweit zu den drei Ländern mit der höchsten Inflation, nur Venezuela und Simbabwe liegen davor. Ohne Geld aus dem Ausland geht hier nichts. Im vergangenen Jahr beschloss eine internationale Geberkonferenz dem Libanon eine Milliarde Euro, mit dem Schwerpunkt auf humanitäre Soforthilfe, zur Verfügung zu stellen. Die Kürzung von Geldern für die Entwicklungshilfe – insbesondere durch USAID – durch die Trump-Administration hat das Land hart getroffen.
Einen Bürgerkrieg will niemand
„Von heute auf morgen wurden Projekte gestoppt, Büros geschlossen, einheimische Mitarbeiter, die für USAID angestellt waren, vor die Tür gesetzt“, berichtet ein Mitarbeiter der deutschen bilateralen Entwicklungszusammenarbeitsorganisation GIZ. „Wir hatten zwei Schüler, die für ein College-Jahr in die USA gehen sollten – alles finanziert durch USAID. Dann hieß es plötzlich: Es reicht nur für einen. Der andere musste zu Hause bleiben. Gelder aus den USA oder Europa brauchen wir dringend. Besonders psychologische Angebote für Kinder und Jugendliche fehlen nach dem Krieg“, sagt Hagob Akbasahrian, Pfarrer und Direktor einer christlichen Schule in der Bekaa-Ebene, und seufzt.
Eine vollständige oder gar gewaltsame Entwaffnung der Hisbollah hält keiner meiner Gesprächspartner für ein realistisches Szenario. Zu viel steht auf dem Spiel. Eine solche Eskalation könnte einen neuen Bürgerkrieg auslösen – und das will im Libanon niemand.
Lukas Reineck arbeitet als Projektkoordinator für die Organisation Christlicher Hilfsbund im Orient e.V., die in Armenien humanitäre und geistliche Projekte betreibt.