Leben ermöglichen statt beim Sterben helfen

In der Debatte um Sterbehilfe in der Kirche könnte ein Blick auf Jesus helfen: Wie würde er handeln? Ihn mit Sterbehilfe in Verbindung zu bringen, erscheint absurd. Er war und ist Lebensermöglicher. Davon sollte auch die Seelsorge und die kirchliche Begleitung am Ende eines Lebens geprägt sein. Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Von PRO
Die Mission von Jesus war es, den Menschen Gottes Angebot zur Versöhnung zu machen

Es begab sich aber, dass Jesus zum Haus einer Witwe kam, die war alt und hochbetagt und hatte keine Kinder. Sie war krank seit vierzig Jahren und litt viele Schmerzen. Sprach sie zu Jesus: „Herr, ich bin des Lebens müde. Mein Leib will sterben und kann es doch nicht. Nimm mir meinen Odem, dass ich aus dem Leben scheide. Ich habe doch sonst niemanden.“ Da jammerte es ihn ob ihres Leides. Und Jesus sprach: „Es geschehe, wie du gesagt hast. Trinke nur von diesem Wasser.“ Er reichte ihr einen Becher und sie trank daraus. Und sogleich gab sie ihren Geist auf.

Wem diese Geschichte nicht vertraut vorkommt, der braucht sich nicht zu wundern – der Text kommt in der Bibel nicht vor. Dass dem so ist, sollte in der Debatte über Beihilfe zum Suizid in kirchlichen Einrichtungen bedacht werden. Ausgelöst hatte sie ein Beitrag führender Theologen, darunter der Präsident der Diakonie, Ulrich Lilie. Darin fordern sie genau das: dass Suizidwillige ein solches Angebot auch in kirchlichen und diakonischen Einrichtungen finden.

Die öffentlichen Reaktionen von verschiedenen anderen evangelischen Theologen und Kirchenvertretern widersprachen dem Vorstoß bisher weitestgehend. Auch die EKD lehnt das ab. Ausführliche theologisch-ethische Erörterungen dazu lassen sich beim Magazin zeitzeichen nachlesen. Aber die Debatte wird weitergehen. Und klar ist, dass sich kirchliche und diakonische Einrichtungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verhalten müssen, das Sterbewilligen das Recht zugesteht, Beihilfe beim Suizid in Anspruch zu nehmen.

Eine Kirche, die sich auf Jesus Christus gründet, muss eine christusgemäße Haltung zu diesem Thema finden. Die Frage „Was würde Jesus tun?“ ist, so banal sie klingt, eine maßgebliche Orientierung. Zwar ist es müßig zu fragen, wie Jesus konkret heute handeln würde – nur zu groß ist die Verführung, ihn in zeitgemäße kulturelle und gesellschaftliche Vorstellungen zu pressen und ihn für die eigene Weltsicht kompatibel zu machen. Aber wir haben das Zeugnis des Evangeliums. Zwei Dinge können auch einem theologischen Laien in Bezug auf die aktuelle Debatte auffallen.

Jesus ist ein Lebensermöglicher

Erstens: Selbstbestimmung ist nicht das höchste Gut. Die „aus dem christlichen Glauben entspringende“ Achtung ebendieser ist aber für die Position von Lilie und seinen Mitautoren das zentrale Argument. Selbstbestimmung spielt in der Bibel durchaus eine wichtige Rolle: Jesus zwingt sich den Menschen nicht auf. Es ist eine freie Entscheidung des Einzelnen, ihm nachzufolgen oder nicht. Aber wer ihm nachfolgt, der gibt ein Stück Selbstbestimmung über das eigene Leben auf. Jesus macht das an verschiedenen Stellen drastisch deutlich, etwa wenn er dem reichen Jüngling sagt: Verkaufe alles, was du hast, und folge mir nach (Matthäus 19,21). Oder wenn er betont, Nachfolge bedeute, sein eigenes Leben um Jesu willen zu verlieren (Matthäus 16,24-25). Dann heißt das, Gottes Willen über das eigene Leben zu stellen. Im Vaterunser beten Christen „Dein Wille geschehe“. Das betete auch Jesus vor seinem Tod – wiewohl er es sich gewünscht hätte, dass „der Kelch“ an ihm vorübergeht (Matthäus 26,39). Wenn sich Kirche als Institution und Gemeinschaft der Jesus-Nachfolger versteht, muss das der Maßstab für ihr Handeln sein. In Bezug auf die Frage nach assistiertem Suizid bedeutet das: Leben und Tod hängen an Gottes Willen, nicht an dem des Menschen.

Das zweite, was beim Blick auf Jesus auffällt: Jesus heilt Kranke. Aber nicht alle. Denn die Erlösung von irdischen Leiden ist nicht seine Mission und vor allem kein Selbstzweck. Wo es geschieht, dient es dazu, Gott zu preisen, einen Blick in seine ewige Herrlichkeit zu erhaschen und Jesu Vollmacht als Gottessohn zu unterstreichen. Vor allem aber vergibt er die Schuld der Menschen. Wo immer er Menschen begegnet, ermöglicht er Leben – nicht allein rein physisch, sondern „Lebensführung“ in einem umfassenden Sinne und unabhängig von äußeren Umständen. Eine Szene wie eingangs beschrieben widerspräche allem, was Jesus gepredigt und getan hat.

Eine Kirche, die sich dem Evangelium verpflichtet weiß, sollte daher fragen: „Was würde Jesus tun?“ Und das Heil und das Leben durch den Tod Jesu und seine Auferstehung predigen. Diese Botschaft können nur Christen geben. Gerade auf dem letzten Abschnitt des Lebens hat sie fundamentale Bedeutung. Davon sollte Seelsorge und Sterbebegleitung getragen sein. Nicht von der Hilfe dabei, das Leben zu beenden.

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