Zum einjährigen Geburtstag des Betreuungsgeldes greifen die Medien eine Studie auf, die in die Irre führt, Politiker offenbaren gruppenbezogene Ressentiments und ein gering ausgeprägtes Freiheitsverständnis. Kritiker des Betreuungsgeldes sollten lernen, die Entscheidung von Eltern zu respektieren. Ein Kommentar von Nicolai Franz
Politiker sollten die Entscheidung von Eltern respektieren
Kürzlich machte passend zum bevorstehenden Geburtstag des Betreuungsgeldes eine Studie die Runde, die alle Befürchtungen der Kritiker zu belegen schien: Die finanzielle Hilfe für Eltern nähmen vor allem Migranten und Menschen aus bildungsfernen Schichten in Anspruch. Daher sei es ein Integrations- und Bildungshindernis.
Fast kein Medium erwähnte jedoch, dass die Daten der Studie des Deutschen Jugendinstituts und der Technischen Universität Dortmund zwischen April und Juni 2013 erhoben wurden, also vor Einführung des Betreuungsgeldes im August 2013. Es handelt sich also nicht um eine Zwischenbilanz anlässlich des Jahrestages der Einführung, sondern um die damaligen perspektivischen Beweggründe der Eltern.
Hinzu kommt: Am Wochenende sprachen die Wissenschaftler noch davon, dass 54 Prozent der Menschen ohne Schul- oder mit Hauptschulabschluss das Betreuungsgeld der Kita-Betreuung vorgezogen hätten. Tatsächlich waren es 31 Prozent der Eltern ohne Schulabschluss und 23 Prozent der Eltern mit Schulabschluss – jeweils noch nicht einmal ein Drittel. Die beiden Elterngruppen und die Prozentangaben seien in der Vorfassung fälschlicherweise addiert worden, bestätigten die Autoren laut der Nachrichtenagentur dpa.
Die Diskussion nimmt hässliche Züge an
Der Grundtenor bleibt: „Bezogen auf soziale Selektionsmechanismen lässt sich das Betreuungsgeld als besonderer Anreiz für sozial eher benachteiligte Familien identifizieren, kein Angebot frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen“, heißt es in der Studie.
Von „falschen Anreizen“ sprach daher kürzlich auch Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), dessen Stadt gerade vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Familienleistung klagt. Das Betreuungsgeld ist aus Sicht großer Teile der SPD und der Grünen ein Verstärker sozialer Ungleichheit. Das ist zwar nichts Neues. Doch die Arroganz, mit der Politiker immer noch gegen zu Hause erziehende Eltern wettern, nimmt mittlerweile hässliche Züge an.
Denn jener Logik Scheeles und seiner Mitstreiter kann nur folgen, wer zwei Aussagen zustimmen kann. Die erste: Kitas sind ein Ort der Bildung. Die zweite: Migranten und Menschen mit niedriger Bildung sollten ihre Kinder besser nicht alleine erziehen.
Die erste Aussage ist falsch, weil sie Wunschvorstellungen entspringt. Viele Kitas sind mitnichten ein Bildungszentrum. Dass oft bloß die Grundbedürfnisse der Unter-drei-Jährigen gestillt werden können, lässt man gerne außer acht. Das ist schwer verständlich, wenn man bedenkt, dass sich eine Erzieherin – im sehr günstigen Falle – um drei schreiende Kinder gleichzeitig kümmern muss. Wo da noch Zeit für Bildung bleiben soll, was bei einem Einjährigen vor allem intensive Beschäftigung bedeutet, bleibt ein Geheimnis.
Letzte Lösung Kita-Pflicht
Die zweite Aussage entspringt gruppenbezogenen Ressentiments und zeugt von einem gering ausgeprägten Freiheitsverständnis. Wer es als Niederlage für die Bildungsrepublik wertet, wenn Migranten ihre Kleinkinder selbst erziehen, der sagt damit: Besser wäre es, wenn der Staat die Erziehung von Ausländerkindern übernimmt. In Bezug auf das Erlernen der Sprache stimmt das sogar. Ungleich wichtiger sollte es aber sein, dass es wertgeschätzt wird, wenn Eltern die Nähe zum Kind suchen und ihnen die Werte mitgeben, die ihnen wichtig sind.
Diese Freiheit sollte der Staat allen Eltern zugestehen. Ohnehin bleibt fraglich, ob Migrantenfamilien ihr Kind in eine Kita schicken würden, wenn sie das Betreuungsgeld nicht erhielten. Daher gibt es eigentlich nur eine, noch unpopuläre Lösung für dieses „Problem“: Kita-Pflicht. Außer dem Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln Heinz Buschkowsky (SPD) sprechen aber nur wenige Politiker dieses Wort aus.
Sicher ist das Betreuungsgeld keine Alleinlösung für die demografischen Probleme in unserem Land. Für viele Familien, die ihr Kind gerne selbst erziehen wollen oder keinen Betreuungsplatz gefunden haben, sind 100, ab August 150 Euro, aber eine echte Hilfe. Auf der anderen Seite profitieren viele Eltern von Kitas, weil sie auf ihre Arbeitsstelle angewiesen sind. Damit es echte Wahlfreiheit gibt, muss mehr Geld in Kita-Plätze investiert und das Betreuungsgeld beibehalten werden.
Denn der Staat sollte kein Erziehungsmodell einseitig bevorzugen, sondern die Entscheidung der Eltern – ungeachtet ihres sozialen Status oder ihrer Herkunft – respektieren. (pro)
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