Langer Atem für Flüchtlinge

Dieses Jahr werden so viele Asylsuchende nach Deutschland kommen wie noch nie. Die Gesellschaft wird einen langen Atem brauchen, um dies zu schultern und dem bereits jetzt offenem Hass gegen Ausländer entgegenzutreten. Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Von PRO
Im Jenfelder Moorpark in Hamburg wurde im Juli kurzfristig mit Zelten ein Erstaufnahmelager für 800 Flüchtlinge errichtet. Verärgerte Anwohner protestierten dagegen. Die Flüchtlingsfrage wird Deutschland noch länger beschäftigen
An Flüchtlingen aus Afrika, dem Nahen Osten oder dem Balkan kommt in Deutschland keiner mehr vorbei. In Orten, wo Flüchtlinge eine zumindest vorübergehende Heimat in Massenunterkünften oder Gemeinschaftswohnungen finden sollen, prägen sie mittlerweile das Alltagsbild – auch wenn sich viele Bürger daran nicht gewöhnen möchten. In den Medien ist das Thema ohnehin seit Monaten dauerhaft präsent. Und es wird uns auch so bald nicht loslassen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat diese Woche die Prognose ausgegeben, dass in diesem Jahr 800.000 Asylanträge in Deutschland gestellt werden – das ist Rekord. Für die deutsche Gesellschaft kann das zur Zerreißprobe werden. Dass das Thema dieses Potenzial hat, zeigt sich schon jetzt an Demonstrationen gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte, Brandanschlägen und Hetztiraden gegen Flüchtlinge und deren Unterstützer auf der einen Seite – sowie den eindringlichen Appellen von Prominenten, Flüchtlinge zu unterstützen, Solidaritätsbekundungen und unzähligen ehrenamtlichen Helfern auf der anderen Seite.

Prominente Unterstützer senden wichtige Signale

Auch wenn Flüchtlingsgegner oft sehr laut schreien, scheinen Unterstützer noch in der Mehrzahl zu sein. Eine Reihe Prominenter wie Herbert Grönemeyer, Joko Winterscheid, Eckart von Hirschhausen und Heinz Rudolf Kunze machen sich öffentlich für Flüchtlinge stark, rufen zu Spenden auf und unterstützen Projekte. Damit gewinnen sie nicht nur Sympathien. Til Schweiger beispielsweise erntete für sein Engagement wüste Beschimpfungen und hasserfüllte Nachrichten auf seiner Facebookseite. Für andere ist er der Held, der endlich klare Worte findet und etwas anpackt. Im Gegensatz zum Taktieren vieler Politiker, die meinen, dass mit Flüchtlingen kaum ein erfolgreicher Wahlkampf zu machen sei. Aus diesem Grund ist es ein wichtiges Signal für die Bevölkerung, wenn sich Persönlichkeiten aus Kunst und Kultur – man mag ihre Filme und Lieder mögen oder nicht – Stellung beziehen und beispielhaft vorangehen.

Die Stimmung kann kippen

Die Realität sieht unter anderem so aus, dass Flüchtlinge auch Geld kosten, dass die öffentliche Verwaltung vielerorts kaum weiß, wie und wo sie sie unterbringen und versorgen soll, dass die Lebensverhältnisse in Zelten, Turnhallen und anderen Massenunterkünften kaum tragbar sind, dass es Spannungen zwischen Flüchtlingen verschiedener Herkunft und Religion gibt, dass bürokratische Wege oft lang und hürdenreich sind; kurz: dass es für Flüchtlinge aus verschiedenen Gründen sehr schwierig ist, hier tatsächlich so etwas wie ein neues Leben aufzubauen und Teil der Gesellschaft zu werden. Es ist nicht verwunderlich, dass dies legitime Kritik ebenso wie bestehende Vorurteile und Abwehrhaltungen verstärkt. Dass es aber gleichermaßen umso nötiger ist, anzupacken und zu helfen, liegt auf der Hand. Denn dass Flüchtlinge in Deutschland sind und dass es mehr werden, ist eine Realität, an der niemand vorbei kommt. Ganz abgesehen davon, dass es menschenverachtend ist, nützt es da auch nichts, Wohnheime anzuzünden und den Flüchtlingen Hass entgegenzuschleudern. Es ist eine offene Frage, wie lange sich die Balance hält zwischen denjenigen, die gegen die Aufnahme von Asylsuchenden in Deutschland kämpfen, und denen, die gegen solche Anfeindungen aufstehen und diese Hilfsbedürftigen unterstützen. Wenn es nicht bald tragfähige Lösungen gibt, um mit den hunderttausenden neuen und alten Asylsuchenden umzugehen, und geltendes Recht durchzusetzt wird, kann die Situation schnell kippen. Wer Flüchtlinge unterstützt und für Lösungen kämpft, wird jedenfalls einen langen Atem brauchen. Es ist zu hoffen, dass die Prominenz um Schweiger und Co. auch darin ein Vorbild ist. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/kommentar/detailansicht/aktuell/sachliche-asyl-debatte-muss-moeglich-sein-92910/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/detailansicht/aktuell/kardinal-woelki-legale-einwanderungsmoeglichkeiten-schaffen-93102/
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/veranstaltungen/detailansicht/aktuell/fluechtlinge-eine-stadt-rueckt-zusammen-92980/
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