Landschaften aus der Seele

Zu seinem 250. Geburtstag gilt Caspar David Friedrich als Star der deutschen Romantik. Der Natur-Romantiker war mehr als ein melancholischer Mystiker – er sah seine Landschafts-Darstellungen als „beständigen Gottesdienst“.
Von Christoph Irion
Wanderer über dem Nebelmeer, Caspar David Friedrich

Der Blick aus dem Fenster hätte inspirierend sein können. Hohe, schlanke Pappeln säumten das Elbufer, direkt vor der Haustür. Die Rinde der Bäume schimmerte silbrig, saftig grün die duftenden Blätter. Doch das interessierte den Landschaftsmaler nicht, der vier Jahrzehnte hier in Dresden lebte. Caspar David Friedrich (1774–1840) verdunkelte meistens sein Arbeitszimmer. Eines der Fenster war sogar vernagelt. Hier im Dämmerlicht, in dem stets penibel aufgeräumten Atelier an der Elbe, entstanden seine berühmten Landschaftsgemälde: die „Kreidefelsen auf Rügen“, „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ oder „Das Eismeer“.

Wer war dieser Caspar David Friedrich? In seinem brillant geschriebenen Bestseller „Zauber der Stille“ beschreibt Florian Illies den Maler als „kauzigen“, menschenscheuen, naturverliebten, fast verträumten Sonderling. Viele Rezensenten haben die Stimmung in dessen Bildern als melancholisch beschrieben, zuweilen auch als düster oder sogar bedrohlich. Birgit Verwiebe, Kuratorin der großen Friedrich-Ausstellung „Unendliche Landschaften“ in der Alten Nationalgalerie Berlin (Start: 19. April), sieht es differenzierter. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit dem Wirken und Leben des Künstlers: „Es gibt Bilder von Friedrich, die Nacht und Dunkelheit zeigen. Zugleich aber malte er Landschaften in hellem Tageslicht oder bei Sonnenschein.“ Etliche Bilder würden einen leuchtenden Himmel zeigen, ein „magisches Blau“. Dieses Leuchten „ist als Zeichen der Hoffnung lesbar“, sagt sie im PRO-Gespräch.

Foto: PRO/Christoph Irion
Das Bild „Kreidefelsen auf Rügen“ zählt zu den bekanntesten Bildern der deutschen Romantik. Es entstand 1818. Caspar David Friedrich hatte in dem Jahr seine Frau Caroline geheiratet. Kenner sagen: Die heitere Stimmung des Bildes habe auch mit dem Eheglück zu tun.

Und noch etwas anderes hebt Verwiebe hervor: „Caspar David Friedrich ist sehr religiös gewesen. Die Natur war für ihn wohl eine Schöpfung Gottes.“ Aus Briefen und zeitgenössischen Quellen könne man herauslesen, dass er seinen christlichen Glauben „vielfach in seiner Kunst, in seinen Landschaften, in gemalten Stimmungen ausgedrückt“ habe. Friedrichs Glaubenshintergrund sei prägend „in seinem Leben und in seinem künstlerischen Schaffen“ gewesen.

Geboren wird Caspar David Friedrich am 5. September 1774 in Greifswald als Sohn eines Kerzengießers. Erst sieben Jahre alt ist er, als die Mutter stirbt. Und noch ein traumatisches Erlebnis wird ihn lebenslang prägen. Winter 1787: Zwei Brüder auf dem Eis, sie laufen Schlittschuh. Der Ältere bricht ein. Der Jüngere springt hinterher, ins eisige Wasser. Er will den Bruder retten, doch er selbst ertrinkt. Der ältere überlebt: Es ist Caspar David.

Biografen sehen diese Urkatastrophen im Leben des Caspar David Friedrich als seelisches Leid- und Leitmotiv. Als Grundmuster, das viele seiner Bilder in eine düstere Atmosphäre eintauche. „Ja, Friedrich neigte zur Melancholie“, sagt Birgit Verwiebe. „Aber er war auch humorvoll und hat Späße gemacht, vor allem mit Kindern.“

Caspar David Friedrich Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Caspar David Friedrich

1774 in Greifswald geboren, wurde Caspar David Friedrich protestantisch erzogen. Als Kind erlebte er mehrere Schicksalsschläge. Zeichnerisches Talent und Naturliebe zeigten sich schon in der Jugend. Künstlerische Ausbildung an renommierten Akademien in Kopenhagen und Dresden, wo Friedrich von 1798 an lebte. Heirat 1818. Seine Frau Caroline und er hatten drei Kinder. Zu seinen Kunden zählte zeitweilig der preußische König. Doch in der Zeit der Napoleonkriege und Restauration war die wirtschaftliche Existenz nie abgesichert. Gegen Ende seines Lebens war Caspar David Friedrich von Armut bedroht, er starb 1840 in Dresden.

Sein zeichnerisches Talent hatte Friedrich schon als Schüler unter Beweis gestellt. An der pommerschen Ostsee lernt er Pastor Ludwig Gotthard Kosegarten kennen. Der ist bekannt für seine Uferpredigten – und Gottesdienste unter freiem Himmel. Hünengräber, Eichenhaine, stille Orte, an denen sich Glaube und Naturerleben begegnen: Das wird die Welt von Caspar David Friedrich für immer prägen. An der liberalen Kopenhagener Kunstakademie lernt er das Handwerk: Strichführung, Licht- und Schattensetzung – und er schärft seinen Blick für eine geradezu mathematisch präzise Positionsgestaltung. Nur Figuren sind nicht so sein Ding: Da stimmen oft die Proportionen nicht. Vielfach wurde spekuliert: Hat Friedrich deshalb Menschen fast immer von hinten gemalt?

Die Zeit nach der Französischen Revolution ist eine historische Phase gewaltiger Umbrüche. Napoleon bedroht zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast ganz Europa. Anschließend konkurrieren und mischen sich überall in deutschen Landen freiheitliche, liberale und nationale Bestrebungen, die von der Staatsgewalt autoritär in Schach gehalten werden. Auch Künstler erleben eine Zeitenwende: Die Zeit der lukrativen Auftragsmalerei durch reiche Adelige und Kirchen geht zu Ende. Maler sind jetzt freier in ihrer Motivwahl – aber sie müssen ihr Geschäftsmodell ändern. Ein neuer Beruf ist entstanden, der des „freischaffenden Künstlers“. Caspar David Friedrich ist 24 Jahre alt, als er für den Rest seines Lebens nach Dresden zieht.

Skandal auf dem Altar

„Kreuz im Gebirge“ heißt das Bild, das als Schlüsselwerk für den religiösen Hintergrund des Künstlers gilt. Es wird zur Jahreswende 1808/09 einen kulturpolitischen Skandal auslösen und Friedrich berühmt machen: Ein Fels, eingerahmt von grünen Fichten und Tannen. Auf dem Fels steht silhouettenhaft ein Christus am Kreuz – eingetaucht und unwirklich beleuchtet von Sonnenstrahlen. „Dieses Bild ist zunächst als Zeichnung entstanden“, erklärt Anna Pfäfflin, die als Kuratorin am Berliner Kupferstichkabinett diese berühmte Zeichnung zu ihrer Sammlung zählt.

Foto: gemeinfrei
Mit dem Gemälde „Tetschener Altar“, auch bekannt als „Kreuz im Gebirge“, löste Caspar David Friedrich um 1809 einen kulturpolitischen Skandal aus. Das Bild gilt als Schlüsselwerk, an dem der christliche, protestantisch geprägte Hintergrund des Malers gut zu zeigen ist.

Ein Graf aus Böhmen habe dann ein in Öl ausgeführtes Bild für seine Privatkapelle auf Schloss Tetschen bestellt – in der Folge sei es zu einer spektakulären Kontroverse gekommen: „Ein Landschaftsgemälde als Altarbild – das war zu dieser Zeit vollkommen unüblich“, so die Kunsthistorikerin. „Denn Landschaftsmotive standen damals in der Hierarchie der Gattungen an unterster Stelle. Auf der höchsten Stufe stand die Historienmalerei, also Bilder mit Menschen, bei einem Altargemälde also zum Beispiel Christus.“ Schärfster Kritiker war der konservative Jurist und Kulturjournalist Basilius von Ramdohr. Es sei „eine wahre Anmaßung, wenn die Landschaftsmalerei sich in die Kirchen schleichen und auf die Altäre kriechen“ wolle, schrieb er. „Friedrich ist hier wirklich kühn gewesen“, sagt Pfäfflin.

Er selbst ließ keine Zweifel aufkommen, wo er als Künstler und als gläubiger Protestant stand. Geradezu im „Predigerton“, so der Kunsthistoriker Werner Busch, habe Friedrich seinen festen Glauben an den Sohn Gottes, an die Auferstehung und seine Heilserwartung klar beschrieben: „Wohl ist es beabsichtigt, dass Jesus Christus, ans Kreuz geheftet, hier der sinkenden Sonne zugekehrt ist, als das Bild des ewigen allbelebenden Vaters“, schrieb er in einem Begleittext zum „Kreuz im Gebirge“. Und weiter: „Auf einem Felsen steht aufgerichtet das Kreuz, unerschütterlich fest, wie unser Glaube an Jesum Christum. Immergrün durch alle Zeiten während stehen die Tannen ums Kreuz, gleich unserer Hoffnung auf ihn, den Gekreuzigten.“

Arena für religiöse Erfahrungen

Immer und immer wieder zieht es Friedrich in die Natur. Jede Menge Zeichnungen bringt er mit von seinen Streifzügen: Blätter, Felsskizzen, Tannenzapfen, Efeu und anderes Klettergehölz. Wiederholt reist Friedrich in die Heimat, er liebt die Ostseeinsel Rügen. Er durchkämmt den Harz, die Sächsische Schweiz. Tagelang streift er durch die wilden Landschaften des Riesengebirges (heute Tschechien und Polen), das damals noch völlig unerschlossen ist. Unterwegs und allein mit Gott erlebt der fromme Protestant die Natur als Arena für intensive religiöse Erfahrungen. Der Anblick des grandiosen Himmels ist für ihn Meditation, ziehende Wolken sind wie Gebete.

43 Jahre alt ist Friedrich, als er schließlich doch noch heiratet: Caroline Bommer ist 19 Jahre jünger. „Es ist doch ein schnurrig Ding, wenn man eine Frau hat“, schreibt Friedrich seinem Bruder. Seit „Line“ da sei, „ist gar manches anders geworden. Und vielleicht werden wir künftig an Sorgen kein Mangel haben. Doch wie es Gott gefällt.“ Und man kann regelrecht mit ansehen, wie gut ihm das Eheglück bekommt: Die heitere Stimmung der Jungvermählten spiegelt sich nun in seinen Gemälden – etwa im berühmten „Kreidefelsen“-Bild von Rügen.

„Caspar David Friedrich mutet uns ein hohes Maß an Verunsicherung zu.“

Kuratorin Anna Pfäfflin (Kupferstichkabinett Berlin)

Caspar David Friedrich hat vor gut 200 Jahren eine Maltechnik entwickelt und zur hohen Kunst perfektioniert, die mit Blick auf die digitalen Bilder-Fakes unserer Tage geradezu ernüchternd wirkt: Die von ihm gemalten Landschaften sind von nahezu fotorealistischer Qualität. Doch niemals zeigen sie reale Orte. „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild“, beschreibt Friedrich selbst diese Arbeitsweise. „Dann förder zutage, was du im Dunkeln gesehen.“ Tatsächlich ist keines seiner Bilder in der Natur entstanden. Stattdessen hat er im verdunkelten Atelier oft jahrelang an einem einzigen Bild gepinselt und gestaltet, indem er zeichnerische Einzelkomponenten aus seinen Skizzenbüchern kombinierte. Die Landschaften, die Caspar David Friedrich gemalt hat, sind somit Bild-Kompositionen, die aus seiner Seele kommen. Er malte Bilder, die er vor seinem inneren Auge, im Kopfkino, gesehen hatte.

Foto: PRO/Christoph Irion
Gebirgslandschaft mit Regenbogen (1809/10)

„In seinen Skizzenbüchern schaltet der Künstler zwischen zwei- und dreidimensionalem Sehen hin und her. Damit macht er den Akt des Sehens selbst zum Thema – und verwandelt ihn in Kunst“, erklärt die Kunsthistorikerin Anna Pfäfflin. Seine rätselhaften Bilder fordern zum Nachdenken auf: „Oft ist der Vordergrund in seinen Bildern verstellt, die dargestellte Landschaft kann also durch das Auge des Betrachters nicht betreten werden. Damit mutet uns Caspar David Friedrich ein hohes Maß an Verunsicherung zu“, sagt Pfäfflin. Birgit Verwiebe ergänzt: „Die Kunst Friedrichs zieht heute ein großes Publikum in ihren Bann. Seine Bilder fesseln Auge, Herz und Verstand. In den weiten Himmeln und fernen Horizonten seiner Landschaften wird die Unendlichkeit spürbar – etwas, das größer ist als der Mensch.“

Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 2/2024 von „PRO – das christliche Medienmagazin“.

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