Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel verlangt: „Intersport“-Chef Klaus Jost weiß, was Leid bedeutet. Dennoch sagt er: „Gott macht keine Fehler“.
Von PRO
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Klaus Jost hat eine Traumkarriere gemacht. Als Chef von „Intersport“ ist er oben angekommen. Demütig ist er geblieben: „Ich habe nie mehr an Gott gezweifelt, nur noch an mir selbst.“
Es ist ein Frühlingstag Anfang Mai. Der Himmel ist strahlend blau, als er an diesem Samstag von einem Fußballturnier nach Hause läuft. Die Kastanienbäume blühen, frisches Grün zeugt von überquellendem Leben. In der Wohnung dagegen ist ein Leben kurz davor, zu Ende zu gehen. Schlaftabletten sollen dafür sorgen. Als er die Tür hinter sich ins Schloss fallen lässt, sieht er sie leblos dort liegen. Seine Mutter. Er alarmiert den Notdienst, sie wird ins Krankenhaus gefahren, ihr Magen ausgepumpt, sie überlebt. „Ich kam zu früh nach Hause aus ihrer Sicht“, sagt Klaus Jost. Tränen steigen ihm in die Augen. Er sagt lange nichts. Dann: „Es war schön-schrecklich. Was, wenn ich sie nicht gefunden hätte?“
Am nächsten Tag steht der damals 12-Jährige an ihrem Krankenbett, mit einem Strauß Blumen in den Händen. Die Zeit läuft weiter, der Junge funktioniert.
41 Jahre später steht das Kind von damals neben der bedeutendsten Trophäe, die es im Fußball gibt. Deutschland hat es geschafft, den vierten Weltmeistertitel zu holen. Da gehört es sich, dass der Chef der weltweit größten Sporthandelsgruppe in Brasilien dabei ist. Im Jahr 2000 wurde Klaus Jost in den Vorstand von „Intersport Deutschland“ berufen, zwei Jahre später in den Verwaltungsrat von „Intersport International Corporation“, den er seit 2009 als Präsident führt.
„Für mich ist Jesus lebendig.“
Fragt man ihn, was ihn an seiner WM-Reise besonders beeindruckt habe, spricht er über die „geniale Schönheit der Schöpfung“, die er in Brasilien erlebt hat. Und darüber, wie dankbar er sei, dass es keine Anschläge gegeben habe. „Das Schönste ist, wenn das Spiel rum ist und es keine Randale gibt.“ Jost setzt die Prioritäten anders als die meisten Fußballfans: Klar, es sei auch sehr wichtig, dass „wir gewonnen“ haben. Intersport wird durch die WM international über 100 Millionen Euro mehr umsetzen in diesem Jahr: Das Unternehmen hat mehr Fanartikel verkauft und wird vom neuen Trikot mit vier Weltmeister-Sternen und generell vom Fußball-Hype profitieren. Jost sagt: „Die argentinische Wirtschaft hätte den Erfolg dringender nötig gehabt. Die Argentinier kämpfen mit dem Staatsbankrott. Sie hätten Hoffnung gebraucht.“ Aber vor allem spricht er über den Unterschied zwischen Armen und Reichen, der ihm in Brasilien aufgefallen ist. „Das tut weh.“ Man nimmt dem schlanken 1,91-Meter-Mann mit dem Schnauzbart ab, dass ihn das Elend berührt. Angesichts all der Probleme habe ihn die Jesus-Statue in Rio getröstet. Jesus stehe über allem, Tag und Nacht. „Für mich ist Jesus lebendig“, sagt Jost.
Die Grenzerfahrungen sind es, die sich wie ein roter Faden durch Josts Leben ziehen. Dass es ausgerechnet sein Geburtsjahr war, in dem der Bau der Berliner Mauer begonnen wurde, der die Teilung Deutschlands festmachte, ist natürlich Zufall – passt aber. Zur gleichen Zeit wurden anderswo Grenzen eingerissen, als Präsident John F. Kennedy das offizielle Ende der Rassentrennung in den Vereinigten Staaten ankündigte. Und Grenzen ganz anderer Dimension überwand Juri Gagarin, der als erster Mensch in den Weltraum flog. In diesem Jahr, 1961, wurde Klaus Jost in Frankfurt am Main geboren. Das Idiom der Rhein-Main-Metropole hört man ihm noch heute an.
Grenzwertige Situationen auch als Christ
Seine Eltern ließen sich scheiden, als er und seine Schwester noch Kinder waren. Die Mutter ging als Altenpflegerin arbeiten, damit die kleine Familie Geld zum Leben hatte. „Ich habe als Schlüsselkind die Welt allein durchlebt“, erinnert sich Jost an seine Kindheit. In der Schule war er der Stärkste. Er konnte „seine Kraft ausspielen“, schließlich habe er sich wehren müssen. „Ich hatte niemanden, der mir helfen konnte, im Gegenteil, ich musste meiner Mutter helfen“, sagt er. Die habe so sehr unter der Trennung von ihrem Mann gelitten, dass sie nachts nicht mehr schlafen konnte. Sie wurde tablettensüchtig. An besagtem Samstag Anfang Mai erhöhte sie ihre ohnehin viel zu hohe Tagesration deutlich. Sie wollte sterben. „Meine Mutter hat damals schon an Jesus geglaubt und sie wusste, dass das Sünde ist. Aber sie hat es einfach nicht mehr ausgehalten“, sagt Jost. „Auch als Christ kommst du in Situationen, die so grenzwertig sind, dass es nur noch Gnade gibt.“ Dass er ausgerechnet an diesem Samstag früher als geplant nach Hause kam, empfindet Jost als solche Gnade. Heute geht es seiner Mutter unerwartet gut. Sie ist seine beste Zuhörerin, sagt er: „Bei ihr ist alles gut aufgehoben. Sie versteht vielleicht nicht immer alle Hintergründe, aber sie betet dafür.“In der Zeit nach dem Suizidversuch seiner Mutter kam Jost in Kontakt mit der Frankfurter Drogenszene. Er bekam das Leben der Junkies, Zuhälter und Prostituierten hautnah mit, auch wenn er selbst nie etwas damit zu tun haben wollte. Was ihm geholfen habe, nicht in dem Milieu unterzugehen, seien Gott und der Sport gewesen. Beide machen das Leben des Intersport-Chefs bis heute aus.Das wenige Geld, das seine Mutter sparte, gab sie dafür aus, ihn auf christliche Freizeiten zu schicken. Damit sein Glaube ein starkes Fundament bekommt. „Ich habe seitdem nie mehr an Gott gezweifelt, nur noch an mir selbst.“
„Powered by Jesus“
Mit 16 Jahren begann Jost eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Auch ohne klassischen Studiengang traute man ihm schon mit 21 Jahren zu, eine „Intersport“-Filiale zu leiten. Beruflich sprintete er von einem Erfolg zum nächsten. Nach Zwischenstationen bei „Grasshoppers International“ und „Sport 2000“ kam er 2001 als Vorstand zurück zu dem Unternehmen, das in 63 Ländern weltweit aktiv ist und das allein in Deutschland jedes Jahr knapp drei Milliarden Euro umsetzt.
Aus seinem christlichen Glauben hat der Unternehmenslenker nie einen Hehl gemacht. Früher habe er an christlichen Pfingstjugendtreffen teilgenommen und davon auch in seinem Arbeitsumfeld erzählt. Heute wandert er mit Freunden aus seiner Kirchengemeinde jedes Jahr für ein langes Wochenende. Die Outdoor-Hemden dafür lässt er speziell mit eigenem Logo produzieren. „Powered by Jesus“ steht darauf. Jost hat die Erfahrung gemacht, dass man darüber mit anderen Wanderern, aber auch Mitarbeitern ins Gespräch kommt.
„Mein Fundament ist die Bibel und da steht drin, dass es nur einen Weg zu Gott gibt. Das hat leider auch etwas Abgrenzendes.“ Diese Klarheit ist typisch für Jost. Eins ist dem Top-Manager aber wichtig: „Es ist nicht die Aufgabe von uns Christen, mit dem Holzkreuz draufzuhauen“, lehnt er plumpe Missionierungsversuche ab. Vielmehr müssen seiner Ansicht nach Reden und Handeln übereinstimmen. „Wenn das nicht zueinander passt, kannst du reden, was du willst.“
Das gilt für den Manager sowohl fürs Privat- als auch fürs Berufsleben. „Zu biblischen Grundwerten kann ich mich auch bei der Arbeit bekennen“, sagt er. Denn was in den Zehn Geboten festgehalten sei, betreffe jeden Geschäftspartner auch persönlich: Niemand wolle bestohlen, betrogen oder belogen werden.
Für Jost gehört zum Christsein dazu, unbestechlich zu sein, obwohl ihm klar ist, dass ihm dabei das ein oder andere gute Geschäft durch die Lappen gehen kann. „Intersport“ lässt viele Produkte in Asien produzieren. Gegen Mitarbeiter, die sich bestechen lassen, „zeigen wir klare Kante, da sind wir knallhart“, sagt Jost. „Da gibt‘s klare Spielregeln.“Das Thema Kinderarbeit hält Jost für nicht so leicht lösbar. „Intersport“ beschäftigt Jugendliche ab 16 Jahren und hält sich an den Verhaltenskodex der Business Social Compliance Initiative. Der basiert unter anderen auf den Konventionen der UNO über die Rechte von Kindern. Den Kodex müssen alle 200 Zulieferer von „Intersport Deutschland“ unterschreiben. Jost weiß selbst: „Das ist nicht der strengste Standard.“ Um zu überprüfen, dass diese immerhin eingehalten werden, macht „Intersport“ bei seinen asiatischen Zulieferern Audits, nimmt die Bedingungen vor Ort also regelmäßig unter die Lupe. „Ich bin der Letzte, der sagt, da stimmt immer alles“, erklärt Jost. „Aber da kann man auch keine deutschen Maßstäbe anlegen“, fügt er hinzu. „Verglichen mit unseren sind die Arbeitsbedingungen in Asien deutlich schlechter. Vielfach leben die Menschen in den Fabriken. Ich habe aber auch schon Fabriken gesehen, wo das immer noch die besten Lebensbedingungen im Umkreis waren, weil drum herum nur Slums sind. In der Fabrik gab es wenigstens eine Kantine und hygienische Grundbedingungen.“ Dennoch sei die Lösung von Intersport letztlich nur ein Kompromiss. „Wenn du gar keine Jugendlichen ab 16 Jahren beschäftigst, gehen sie schlimmstenfalls auf den Strich. Ihre Familien lassen sie auf jeden Fall arbeiten, egal was.“Auch innerhalb des Unternehmens laufe nicht immer alles perfekt. „Ich habe meine Defizite, weil ich heute nicht mehr so nah an den Mitarbeitern sein kann, wie ich es gerne wäre“, sagt Jost selbstkritisch. Der Top-Manager hat nicht viel Zeit, aber umso mehr Aufgaben. Wenn Fehler passieren, muss er sich schnell ein Urteil bilden und handeln. „Ich muss in Kauf nehmen, dass ich Entscheidungen treffe, die nicht zu 100 Prozent richtig sind, weil ich den Sachverhalt nicht jedes Mal genauestens und persönlich prüfen kann.“ Direkte Mitarbeiter-Beziehungen seien ihm lieber, aber eben nicht immer realisierbar.
Schock im Urlaub
Immerhin braucht der Geschäftsmann auch noch Zeit für seine Familie. Die älteste Tochter des fünffachen Familienvaters hat gerade geheiratet, die jüngste ist 17 Jahre alt, dazwischen drei Söhne. Neben Beruf und Familie hat Jost immer wieder in der Gemeinde an seinem jeweiligen Wohnort mitgearbeitet, als Kinderstunden- oder Gemeindeleiter.
Der 53-Jährige hat vor knapp zehn Jahren das Marathonlaufen für sich entdeckt. Er joggt seitdem fast jeden Tag, egal, ob er sich gerade in Bangkok oder Calgary aufhält. Auch eine Form von Grenzerfahrung, sagt er, und erklärt, dass das Laufen ihm hilft, Stress abzubauen. Denn einfach ist sein Leben nicht. Wer viel hat, von dem wird auch viel verlangt, steht in der Bibel. Jost sagt, er habe „wahnsinnig viel“.
Vor zwei Jahren erlitt seine Frau Andrea mit 49 Jahren einen Schlaganfall. Sie war in Frankreich im Urlaub, er arbeitete in Deutschland. Weil sie zunächst falsch behandelt wurde, war ihr Gehirn sechs Stunden lang nicht versorgt, die linke Gehirnhälfte danach nicht mehr funktionsfähig. Dass sie mittlerweile wieder selbst essen und aufstehen kann, ist für Jost ein Geschenk. Es stört ihn nicht, dass er seither nach der Arbeit selbst einkaufen gehen muss. Stattdessen hat er seine ablehnende Haltung gegenüber langen Ladenöffnungszeiten geändert. Stress kann seine Frau nicht mehr aushalten, logische Zusammenhänge muss Jost ihr genau erklären. Vor einigen Wochen wurde bei ihr außerdem eine Krebserkrankung diagnostiziert. Jost sagt: „Natürlich fragst du dich: Warum? Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass Gott uns richtig führt. Gott macht keine Fehler. (pro)
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