Tawfik Hamid hat eine Wandlung vollzogen. Früher war der Ägypter Anhänger einer radikal-islamischen Extremistengruppe. Heute forscht Hamid als Wissenschaftler in Arlington (USA), um aufzuklären und den Extremismus zu bekämpfen. Gegenüber der Online-Ausgabe der "Zeit" berichtet er, welche Motivation islamistische Selbstmordattentäter haben.
Von PRO
Foto: www.tawfikhamid.com
Dabei verdeutlicht er seine Motivation, den "Pfad der Gewalt" zu verlassen und wie seine Vergangenheit die Arbeit als Forscher beeinflusst. Mittlerweile ist Hamid Studienleiter für "Radikalen Islam" am "Potomac Institute for Policy Studies in Virginia". Seine wichtigste Waffe bei der Aufklärung ist der Koran.
"Ich war radikal, jung und kurz davor, im Namen Allahs zu töten", macht Hamid deutlich, welche Konsequenzen die Mitgliedschaft in der Terrororganisation "Islamischer Dschihad" anfänglich für ihn hatte. Während seines Medizinstudiums erwachte seine Faszination für einen Schöpfer und für die Religion.
Ein Freund nahm ihn in dieser Zeit mit in die Moschee, wo Aiman al-Zawahiri verkehrte. "Er war später der zweite Mann an der Spitze der al-Qaida. Ich durchlief eine regelrechte Gehirnwäsche." Lediglich sechs bis acht Monate habe es gedauert, ihn zu radikalisieren. Abgespielt habe sich dies in einem "mehrstufigen, multidimensionalen Prozess".
"Ich musste mir keine Sorgen machen, solange ich allen Befehlen folgte"
"Bevor ich die Moschee betrat, sagte man mir: ‚Dein Gehirn ist wie ein Affe. Der kann dich zwar zum Palast des Königs bringen, aber sobald du drin bist, solltest du ihn draußen lassen.’" Bei Moschee-Besuchen habe er sich als Teil von etwas Größerem, Heiligem gefühlt. Auch sei ihm schnell eine Führungsposition angeboten worden: "In den Monaten, die folgten, erklärte man mir, was richtig und was falsch ist." Durch seine hohe Position habe er diese Denkweise anderen Menschen vermittelt. "Ich musste mir keine Sorgen machen, solange ich allen Befehlen folgte."
Die Hinwendung zum Extremismus hatte für ihn teilweise triviale Gründe. "Von einem Imam in der wundervollen Sprache des Korans unterrichtet zu werden ist eine mächtige, überwältigende Erfahrung, die nur schwer zu vermitteln ist – man hört das klare, direkte Wort Allahs!" Dieses Werkzeug wollte er zum Bösen einsetzen. Die innere Wandlung Hamids machte sich auch äußerlich bemerkbar.
Er habe aufgehört zu lächeln, Witze zu erzählen und ließ sich einen Bart wachsen. "Ich wurde sehr wertend gegenüber anderen." Massive familiäre Konflikte folgten. Manche glaubten einfach, das Richtige zu tun, für andere spielten sexuelle Motive eine Rolle. "Irgendwann denkt man, dass Sex für einen eben nur im Paradies möglich ist – und dann versucht man, so schnell wie möglich dorthin zu kommen." In dieser Zeit wurde Hamid erstmals aufgefordert Terrorakte zu begehen: Erst bei dem "Angebot" einen Polizisten lebendig zu begraben, sei der Moment gekommen, "wo mein Gewissen und meine Erziehung zurückkehrte". Hamid lehnte ab und schwor dem Extremismus ab.
Koran muss aus seiner Zeit interpretiert werden
Als Wissenschaftler wolle er vermitteln, wie die Studenten auf Grundlage des Korans ein friedliches Bild des Islams in die Welt tragen könnten. Bei vielen bestehe eine unbegründete Angst davor, mit einer liberaleren Weltsicht gegen ihre Religion zu verstoßen: "Der Koran selbst, das heiligste Buch des Islams, fordert ein Mitgehen mit der Zeit", entkräftet Hamid diese Ängste.
Verse wie "Erschlagt die Ungläubigen, wo immer ihr auf sie stoßt" sind aus seiner Sicht nur auf bestimmte Ungläubige zur Zeit des 7. Jahrhunderts gemünzt. "Allah befahl dies, weil die Mehrheit der Ungläubigen die Minderheit der Muslime diskriminierte." Schlussfolgerung für die heutige Zeit sei es, keine Minderheiten zu diskriminieren. "Wie das Alte Testament muss der Koran eben aus seiner Zeit heraus interpretiert werden."
Hamid ist Autor des Buches "Inside Jihad: Understanding and Confronting Radical Islam" (Das Innenleben des Dschihad). Er wird seit 20 Jahren bei seinen Veranstaltungen und Vorträgen von Sicherheitskräften begleitet. (pro)
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