Anne Schneider: „Irdisches Leben ist nicht Maß aller Dinge“

Menschen sollen über den eigenen Tod bestimmen können, findet Anne Schneider. Ihr Mann Nikolaus Schneider, der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, sieht das anders. Bei einer Diskussionsveranstaltung haben sie ihre gegensätzlichen Positionen erklärt. Die aktuelle Debatte in der Kirche zu diesem Thema begrüßt der Theologe.
Von Norbert Schäfer
Ein Ehepaar, zwei Meinungen: Anne und Nikolaus Schneider vertreten beim Thema Sterbehilfe unterschiedliche Positionen (Archivbild)

Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestätigt. Das Urteil hat eine Debatte in Gang gesetzt über die Frage, ob und wie Sterbehilfe praktiziert werden darf. Zuletzt hatten sich evangelische Theologen in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) für die Möglichkeit des assistierten Suizids in evangelischen Einrichtungen ausgesprochen.

„Ich lebe und glaube in der Überzeugung, dass ich nicht aus Gottes Hand falle, wenn ich mein Sterben beschleunige oder vielleicht sogar aktiv herbeiführe ohne eine tödliche Krankheit“, erklärte Anne Schneider, am Montag in einer Online-Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. An der Veranstaltung über würdiges und selbstbestimmtes Sterben nahmen auch ihr Mann Nikolaus Schneider, der einstige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, und die ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), teil.

Kirche soll nicht automatisch gegen Sterbehilfe sein

Anne Schneider war 2014 an einer aggressiven Form des Brustkrebses erkrankt. Ihr Mann war zu der Zeit EKD-Ratsvorsitzender. Zur Sterbehilfe vertreten die Eheleute aus ihrem christlichen Glauben heraus unterschiedliche Positionen. Sie hatte während ihrer Krankheit bekundet, im Falle einer erfolglosen Behandlung in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Um seine Frau während ihrer Krankheit begleiten zu können, hatte er sein Amt als EKD-Vorsitzender aufgegeben. Der Theologe lehnt assistierten Suizid im Gegensatz zu seiner Frau ab.

Die Religionslehrerin Anne Schneider glaubt an die Gottebenbildlichkeit der Menschen, erklärte sie in der Online-Gesprächsrunde. Im Leben und Sterben, auch in dem was nach dem Tod komme, sei sie in Gottes Hand geborgen. Sie wünsche sich eine Kirche, die nicht automatisch sage: „Wer an Gott glaubt, der muss gegen Sterbehilfe sein.“

Nur sie könne darüber befinden, ob ihr Leben lebenswert sei, erklärte Schneider und sprach sich für Autonomie des Einzelnen in Fragen über das eigene Leben aus. „Das kann nicht ein Papst entscheiden, das kann nicht ein Bischof entscheiden. Das kann auch nicht ein Richter oder ein Arzt entscheiden“, sagte Schneider. Für Christen sei das irdische Leben nicht das höchste Gut. „Wir reden davon, dass wir auch nach unserem Sterben bei Gott in einer anderen Wirklichkeit weiterleben“, erklärte Schneider, und weiter: „Das irdische Leben, auch jetzt bei Corona, kann nicht das Maß aller Dinge sein.“ Auch ein Sterben, bei dem ein Mensch nur Schmerzlinderung erfahre, kann aus Schneiders Sicht „ein sehr würdevolles und gutes Sterben sein“.

„Gesellschaft soll Leben schützen, fördern und bewahren“

Nikolaus Schneider vertrat die Position, dass „der Schutz des Lebens eine hervorgehobene Bedeutung als staatliche Aufgabe hat“. Das Wertegerüst einer Gesellschaft solle sich darauf beziehen, Leben zu schützen, zu fördern und zu bewahren. „Und aus diesem Grunde konnte und kann ich mir nur schwer vorstellen, dass ein Staat eben auch das Sterben regelt“, sagte Schneider. Keine Kirche und keine Theologie hätten jedoch ein Recht, Menschen zu verurteilen, weil die sich in bestimmten Situationen für den Tod entschieden. Auf die Frage, wie weit er seine Frau bei der Absicht der Selbsttötung unterstützen würde, sagte Schneider: „Da würde ich ihr natürlich die Hand halten und sie streicheln. Aber sehr viel weiter würde ich da nicht gehen.“ Anne Schneider würde nach eigenem Bekunden von ihrem Mann nicht erbitten, ein Medikament zur Selbsttötung zu beschaffen.

Den Vorstoß führender Theologen, Sterbehilfe in kirchlichen Einrichtungen zu ermöglichen, wertete Schneider als einen „Impuls für eine kirchliche, aber auch gesellschaftliche Debatte“. Einzelne Aspekte zum Thema sollten noch einmal intensiv debattieren werden, „um einen Rahmen zu finden für Regelungen, mit denen dann das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes umgesetzt wird“. Kirchen und diakonische Einrichtungen sollten sich konstruktiv in diese Debatte einbringen und sich „nicht in eine Schmollecke zurückziehen oder in eine Fundamentalopposition“ begeben. „Wenn wir die staatliche Pflicht zum Schutz des Lebens so massiv betonen, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass es eine Beratung für Menschen gibt, die keinen anderen Weg mehr sehen, als sich selber in ihrem Leben ein Ende zu setzen“, erklärte Schneider. Er appellierte daran, die „Gewissensentscheidung aller Einzelnen zu respektieren“.

„Das oberste Gut unserer Verfassung ist die Würde des Einzelnen“, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Das Leben habe grundrechtlich, gesellschaftlich und theologisch gesehen einen hohen Wert. „Aber es ist das Leben von mir als Person. Und deshalb kann der Staat mir nicht abverlangen, dass ich nicht selbst entscheide. Er kann mir nicht verbieten, dass ich Selbstmord mache.“ Für die Hilfe zum Suizid fordert die Juristen einen gesetzlichen Rahmen. Die FDP-Politikerin wünscht ein gesellschaftliche Debatte „auf möglichst vielen Ebenen“ zum Thema Sterbehilfe. Die Politikerin rechnet in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr mit einer Gesetzesinitiative von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Regelung des assistierten Suizids. Vielmehr erwartet die FDP-Politikerin Vorstöße von Parlamentariergruppen zu dem Thema.

Von: Norbert Schäfer

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