Wann digitale Technologie zu einem guten Leben beiträgt – und wann nicht

Was ist ein gutes Leben? Diese Frage bezog die Professorin Simone Dietz auf das digitale Leben, im Rahmen des Fachtages „Leben digital. Eine Frage der Ethik“. Um ethische Fragen der Digitalisierung und der digitalisierten Kommunikation zu besprechen, kamen über 100 Fachkundige und Interessierte am Donnerstag in Frankfurt zusammen.
Von PRO
Professorin Simone Dietz (links) hielt einen Vortrag zum Thema „gutes Leben", Annegret Grimm von Grimm-Kommunikation führte durch den interaktiven Fachtag „Leben digital. Eine Frage der Ethik"

Sieben Kriterien, die zu einem guten Leben beitragen, bezog Professorin Simone Dietz auf die digitale Welt. Die Wissenschaftlerin von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf sprach zum Thema „Wer bin ich und welche Gesellschaft wollen wir? Digitales Leben: Eine Frage der Ethik?“. Ihr Fachvortrag war in ein ansonsten überwiegend interaktiv gestaltetes Programm eingebettet. „Wir brauchen bestimmte Fähigkeiten, die wir an digitales Leben stellen, damit die Technologie uns unterstützt, ein gutes Leben zu führen“, sagte Dietz.

Sieben Fähigkeiten für ein gelingendes Leben in einer digitalen Welt

Sein Leben selbst zu verantworten und dies nicht anderen zu überlassen, sei ein wichtiges Kriterium für ein gutes Leben, erklärte Dietz. „Das bedeutet für die digitalen Medien: Sie müssen uns den individuellen Gestaltungs- und Entscheidungsraum geben.“ Viele digitale Technologien entsprächen diesem Aspekt allerdings nur sehr eingeschränkt, gerade wenn es um Datenspeicherung gehe. Diese müssten Nutzer oft in Kauf nehmen, wenn sie bestimmte Funktionen von Technologie in Anspruch nehmen wollten. Aber auch der einzelne Nutzer begebe sich in eine Art „Knebelfunktion“: „Wir schließen Menschen aus, die nicht immer sofort digital erreichbar sind. Wir bilden selbst Zwangsmechanismen aus, über die wir nicht mehr nachdenken.“

Eine weitere Fähigkeit sei die der „vernünftigen Einsicht“. Übertragen auf das digitale Leben bedeute dies, dass zwar jederzeit jedem alle Informationen zugänglich seien. Zugleich stelle sich die Frage, ob dieses Wissen in digitaler Form monopolisiert werden könne. Zudem setze dies eine gewisse Urteilskraft voraus, um von diesem Wissen Gebrauch zu machen. Im Hinblick auf die Stichworte Fake News und Filterblasen sprach Dietz von Fehlentwicklungen, „die uns diese Urteilskraft nicht in ausreichendem Maß möglich machen.“

Auch die Fähigkeit zur Orientierung in der Welt nannte Dietz als ein Kriterium für gutes Leben: „Wir nutzen die Mittel, die sinnvoll sind, um unsere Zwecke zu erreichen. Aber wir müssen darüber nachdenken, welche Zwecke das eigentlich nochmal waren.“ Die Wissenschaftlerin monierte, dass die meisten Menschen sich viel zu selten fragten, ob eine bestimmte Funktion, Technologie oder Anwendung ihnen wirklich etwas nutze oder ob sie sie nur deswegen verwendeten, weil es alle täten. „Wir müssen uns fragen: Brauchen wir die Technologie wirklich? Und wie viele Veränderungen sind wir bereit für diesen Zweck in Kauf zu nehmen?“

Technologie nutzen, weil es alle machen, oder weil es wirklich nützlich ist?

Auch Besonnenheit, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Gerechtigkeit seien wichtig für ein gutes Leben. Bezogen auf die digitale Welt gehöre dazu beispielsweise die Fähigkeit zur Mäßigung. „Das wird einem in der digitalen Welt nicht leicht gemacht“, sagte Dietz. Darunter könnten auch soziale Beziehungen leiden, beispielsweise dann, wenn bei einem gemeinsamen Essen schnell die neueste eingegangene Textnachricht gecheckt werden müsse oder wenn man eine Arbeit oft unterbrechen würde, um doch nochmal die Emails zu aktualisieren. „Dass wir mit Selbstdisziplin zu kämpfen haben, ist nicht neu“, erklärte Dietz. „Aber bei der Omnipräsenz der digitalen Medien müssen wir fragen, ob sie uns wirklich nützen oder ob sie eher Trigger sind, die unsere Schwäche und Bedürfnisse ausnutzen, gegen die wir ankämpfen müssen.“

Auch die Tatsache, dass digitale Technologien einen großen Einfluss auf Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung haben, sprach die Professorin an: Nutzen uns beispielsweise Instagram-Stories in unserer authentischen Selbstdarstellung oder unterstützen sie ein getuntes Wahrnehmungsbild, das den einzelnen eher unter sozialen Druck setzt, als sein Leben zu verbessern?

Fünf Sterne für mein Gegenüber

Wahrgenommene Gerechtigkeit trage zu einem guten Leben bei. Dazu gehöre auch, „was wir anderen an Respekt schulden“. In diesem Zusammenhang sprach Dietz aggressive und herabwürdigende Formen der Kommunikation an. Sie regte an, Kommentarfunktionen so zu gestalten, dass die lauteste und provokanteste Diskussion nicht oben stände. Stattdessen wären nicht-lineare Anordnungen möglich, über die nachgedacht werden sollte. In der digitalen Welt würden Nutzer darüber hinaus dazu erzogen, zu bewerten: Produkte, den Verkäufer, die Fotos von Freunden, den letzten Urlaub. „Das ist ein wirkungsvolles Instrument in Verkaufssituationen, das Vertrauen ersetzen kann. Aber wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer zweiten Natur wird, so miteinander umzugehen und den anderen sofort einzuordnen und somit gleich kurzen Prozess zu machen und ihm drei oder fünf Sterne zu geben“, warnte Dietz.

Ein weiterer Aspekt, der zu einem guten Leben beitrage, sei soziale Teilhabe. Die Technologie dürfe nicht so gestaltet und programmiert werden, dass sie zum Ausschlusskriterium werde, beispielsweise für solche Menschen, die nicht gut sähen oder hörten. „Welchen Menschen hat jemand vor Augen, der bestimmte Programme gestaltet? Diese Punkte müssen wir in der Gesellschaft berücksichtigen.“

Der interaktive Fachtag „Leben digital. Eine Frage der Ethik“ fand im Rahmen des 8. Hessisch-Thüringischen Mediengesprächs in der Evangelischen Akademie Frankfurt statt.

Von: Stefanie Ramsperger

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