Dokumentation „A Black Jesus“ – Geflüchtete unter italienischen Katholiken

In dem italienischen Dorf Siculiana verehren katholische Gläubige eine Holzfigur, die einen schwarzen Jesus darstellt. Im selben Ort kommen Scharen von afrikanischen Flüchtlingen an. Über den Zusammenprall von Kulturen und Jesus-Verständnissen hat der Regisseur Luca Lucchesi zusammen mit der Nichte von Wim Wenders einen Dokumentarfilm gemacht. Eine Filmkritik von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher
Eine (wahre) Geschichte voller Ironie: Im italienischen Ort Siculiana wird die Statue eines schwarzen Jesus verehrt. Und ausgerechnet in diesem Ort leben viele schwarze Geflüchtete aus Afrika.

„In dieser Stadt gibt es eine Statue von einem schwarzen Jesus.“ Mit diesen Worten, gesprochen von einem Bewohner des italienischen Ortes Siculiana auf Sizilien, beginnt der Film von Luca Lucchesi. Er sagt weiter: „Und es gibt dort ein Flüchtlingslager. Das Komische ist: Die Menschen dort mögen keine Schwarzen.“ Mit diesen Worten ist der Dokumentarfilm „A Black Jesus“ eigentlich schon ganz gut zusammenfasst. Lucchesi hat mit seiner Frau Hella Wenders als Autorin an seiner Seite den Ort besucht und versucht, die Spannungen einzufangen, die diese Situation auslöst. Als Produzent trat Hella Wenders’ Onkel Wim Wenders auf. Der Film wird auf dem DOK Leipzig Film Festival vom 27. Oktober bis 1. November gezeigt, 2021 soll er regulär in den Kinos anlaufen.

Für die Bewohner des Dorfes ist die schwarze Jesus-Figur, die in der Kirche hängt und einmal jährlich bei einer feierlichen Prozession durch den Ort getragen wird, nicht nur einfach eine bildliche Darstellung Jesu. Sie ist mächtig, Gebete zu erhören, zu heilen und bei Problemen zu helfen. Daher beten die Gläubigen auch nicht zu Jesus, sondern zu eben jener Figur, etwa so wie zu einem Götzen. Demgegenüber stehen die schwarzen Flüchtlinge, die mit Booten auf Sizilien ankamen und nun versuchen, in Europa Fuß zu fassen, einen Pass und eine Arbeitserlaubnis zu bekommen und dem alten Leben zu entfliehen. Vor allem aber wollen sie sich eingemeinden, ankommen in diesem Land und ein Teil der Gemeinschaft werden. So sind sie natürlich fasziniert von diesem ausgerechnet schwarzen Jesus, der in Siculiana verehrt wird.

Versteckter Rassismus

Zwei Jahre habe Lucchesi für den Film recherchiert, heißt es in der Presseankündigung. Siculiana ist das Heimatdorf seines Vaters. Leider merkt man dem Film die Recherche nicht sofort an – für einen Dokumentarfilm enthält dieser erstaunlich wenig Fakten, man erfährt weder etwas über den Kult um die Jesus-Statue noch über die Herkunft der Geflüchteten, keiner der Protagonisten wird mit Namen vorgestellt, nicht einmal im Interview. Das nährt den Verdacht, Lucchesi sei es vor allem darum gegangen, mit schönen Aufnahmen die absurde Geschichte um den schwarzen Jesus in einem italienischen Dorf vor allem auf einer emotionalen Ebene zu platzieren. Dorfbewohner, die in ihrer Verehrung des Kruzifixes gezeigt werden, unterlegt Lucchesi mit Blasmusik im Dreivierteltakt, womit sie leicht ins Lächerliche gezogen werden. Wäre es vielleicht eine bessere Idee gewesen, aus dem Stoff einen ironischen Spielfilm zu machen?

Lucchesi drehte in weitem Cinemascope-Format, das man sonst von monumentalen Spielfilmen kennt. Wim Wenders selbst merkte gegenüber der Presse an, dieses Format verbiete sich ja fast bei Dokumentarfilmen, dennoch sei er von der Kameraführung natürlich begeistert; Lucchesi schaffe es, die Menschen „mit viel Liebe und Sorgfalt zu filmen“.

Der Rassismus, den man von den Dorfbewohnern vielleicht erwarten könnte, hält sich in Grenzen, tritt aber immer wieder in Erscheinung. „Sie sehen aus, wie mit Tinte angemalt“, tuscheln alte sizilianische Frauen. „Wenn sie an mir vorbeigehen, habe ich Angst“, sagen sie, aber sie bleiben damit in der Minderheit. Insgesamt scheint die Integration der schwarzen Fremden in dem italienischen Dorf gar nicht so schlecht zu laufen. Im Schulunterricht bringen die Lehrer sie mit den Jugendlichen ins Gespräch, und die zeigen sich aufgeschlossen gegenüber den Fremden. Ein Lehrer bringt ihnen liebevoll und fürsorglich nicht nur Italienisch bei, sondern freundet sich mit ihnen sogar an – der heimliche Held des Films! Ein anderer Höhepunkt des Films: Die Gemeinde führt ein Laienspiel auf, in dem es um einen fremden, armen Besucher geht, der um einen Unterschlupf bittet, aber von einem Hausbesitzer abgelehnt wird. Nachher stellt sich heraus: Der Fremde war Jesus selbst, und der Hausbesitzer weint bitterlich aus Reue. Ob irgendjemand der Gemeindemitglieder merkt, welche Parallele sich just in diesem Moment in ihrem eigenen Dorf abspielt?

Die Sizilianer mögen ihren schwarzen, gekreuzigten Jesus – aber sie fremdeln mit den Afrikanern, die in ihrem Ort – eher am Rande – leben. Ob sie diesen toten Jesus aus Holz so mögen, weil er ihnen so wenigstens nicht zu nahe kommen kann? Mögen sie auch den auferstandenen Jesus? Und überhaupt, wenn es schon um den Glauben geht: Was hätte Jesus selbst wohl zu den Flüchtlingen gesagt? Der Film bleibt hier nur an der Oberfläche und gefällt sich mit schönen Aufnahmen, häufig, aber manchmal etwas grundlos, aus der Luft gefilmt.

„Bist du das selbst, der da hängt?“

Auch der eine oder andere Flüchtling ist gläubig, einer von ihnen hat eine Bibel auf seinem Bett liegen und betont, dass gerade Jesus ja alle Menschen gleich behandelt hat. Eine rührende Wendung erhält der Film, als vier gläubige Geflüchtete auf den Pfarrer des Ortes zugehen und ebenfalls an der Prozession des schwarzen Jesus teilnehmen wollen. Sie wollen Teil der uralten italienischen Tradition sein und zu den Prozessionsträgern gehören. Immer wieder tritt dieser sehnliche Wunsch der Geflüchteten zutage, sich einzubringen, Sinnvolles zu tun, die Kultur anzunehmen, in die sie als Gäste gekommen sind.

Die Ironie der Geschichte um Siculiana ist im Wesentlichen nach 15 Minuten erzählt. Die Szenen der restlichen 80 Minuten erscheinen manchmal eher zusammenhanglos hintereinander geschnitten. Am Ende spazieren die vier Flüchtlinge (die ebenfalls namenlos bleiben) strahlend durch den Ort und geben stolz kund: „Wir waren die ersten Schwarzen, die den schwarzen Jesus getragen haben!“ Ihr freundlicher Italienischlehrer (ohne Namen und Berufsbezeichnung) hat das Wichtigste erkannt und predigt es geradezu seinem Friseur, der den Schwarzen gegenüber distanziert bleibt. Schon in der Bibel stehe, wie Gott über Migration dachte: das Land gehört mir, ihr alle seid im Grunde nur Gäste, jeder ist in gewissem Sinne ein Migrant. Leider gibt es trotzdem kein Happy End im Film. Das Schlusswort hat einer der Geflüchteten: „Als ich diesen schwarzen Jesus trug, schaute ich immer zu ihm hinauf und fragte mich selbst: Bist du das, der da hängt?“

„A Black Jesus“, 92 Minuten, Produktion: Road Movies in Koproduktion und NDR, Regie: Luca Lucchesi, Weltpremiere auf dem diesjährigen DOK Leipzig Film Festival vom 27. Oktober bis 1. November, ab 2. Quartal 2021 in den deutschen Kinos

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