„Gott wird dich nicht lieben“

„Der verlorene Sohn“ erzählt die Geschichte eines schwulen Jugendlichen, der von seinem Pastoren-Vater zur Konversionstherapie geschickt wird. Wer glaubt, er habe solcherlei Geschichten schon tausendmal von Kirchenkritikern gehört, hat zwar recht, sollte aber dennoch ins Kino gehen. Denn diese hier ist wahr und bietet grauenhafte Einblicke in die Welt frommer Therapieeinrichtungen. Eine Rezension von Anna Lutz
Von Anna Lutz
Jareds Geschichte im Film „Der verlorene Sohn" beruht auf wahren Ereignissen

Irgendwann beginnt der Therapeut, den etwas zu groß und zu kräftig geratenen Jungen, mit der Bibel zu schlagen. Der hilflose Teenager kauert auf dem Boden, den Kopf in den Armen verborgen. Um ihn herum steht eine Traube von Menschen, die Heilige Schrift wandert von Hand zu Hand, immer wieder saust sie auf das blütenweiße Hemd des wimmernden College-Studenten nieder. Die Schläge sollen reinigen. Doch was hier dem Versuch nach ausgetrieben wird ist nicht der Teufel selbst, sondern die Sünde der Homosexualität. Es geschieht im zweiten Drittel des Films „Der verlorene Sohn“ mit Nicole Kidman und Russell Crowe. Spätestens hier kommt der Zuschauer nicht umhin, zu denken: Nun übertreiben sie aber.

Eine wahre Geschichte

Gerade christlichen Zuschauern dürfte die Geschichte des Films von Joel Edgerton nicht unbekannt sein. Gefühlt tausendfach haben sich Hollywood- und Arthouse-Filme schon mit dem Thema Homosexualität und Christsein beschäftigt. So auch hier: Jared (Lucas Hedges) ist 18 und entdeckt gerade seine Homosexualität, sein Vater (Russell Crowe) ist Baptistenprediger im ländlichen Arkansas. Als er von der Liebe seines Sohnes zu Männern erfährt, ist er zuerst hilflos, nur um dann umso beherzter ans Werk zu gehen: Er schickt seinen verwirrten und Gott durchaus zugewandten Sohn zu einer sogenannten Konversionstherapie. Nicht, ohne ihn vorher, unter Androhung des Rauswurfs aus dem Elternhaus, um seine Einwilligung zu bitten. Die erfolgt selbstredend. In einer Einrichtung soll der junge Mann zwölf Tage zubringen. Von dem, was hinter verschlossenen Türen geschieht, darf er nichts erzählen. Tut er aber doch.

Nicole Kidman und Russel Crowe spielen im Film die Eltern des schwulen Jared Foto: Universal
Nicole Kidman und Russel Crowe spielen im Film die Eltern des schwulen Jared

Und zwar nicht nur im Film, sondern auch in der Realität. Genau das ist es, was diese Geschichte besonders macht. Im echten Leben nämlich heißt Jared Garrard Conley. Unter dem Titel „Boy Erased“ (Ausgelöschter Junge) hat er 2016 in den USA seine Biographie veröffentlicht, im vergangenen Jahr erschien sie auch in Deutschland. Darin schildert er unter anderem, was fromme Christen ihm und anderen in Seminaren an seelischer Gewalt angetan haben. Nun ist ein Film daraus entstanden. So erkennen die Zuschauer spätestens am Ende, als die echten Fotos von Conley und seiner Familie eingeblendet werden: Nein, sie übertreiben nicht. Solche Dinge geschehen wirklich und offenbar sind sie drastischer, als die meisten Christen sich das vorstellen wollen.

Exorzismen, Schläge, öffentliche Demütigung

Wem käme schon in den Sinn, dass heutzutage in Einrichtungen für Jugendliche Exorzismen inklusive Bibelprügel durchgeführt werden. Und das ist nicht alles: Jared erlebt, wie ein zunächst sympathisch wirkender Gruppenleiter zwar von dem unverrückbaren Wert jedes Menschen vor Gott spricht. Doch nur wenige Tage später schreit er einem Jungen ins Gesicht: „Gott wird dich nicht lieben, so wie du im Moment bist!“ Den Teilnehmern des tausende Dollar teuren Programms nehmen Mitarbeiter Handys und Notizbücher ab. Alle privaten Daten werden gesichtet um dann, wenn auffällig, Gegenstand von Einzelgesprächen zu werden. Berührungen oder zu persönliche Gespräche unter Teilnehmern sind verboten, sogar der Toilettengang ist reglementiert: Niemand darf alleine Wasser lassen, „weil man euch Schwuchteln nicht trauen kann“, wie ein Aufseher Jared auf der Toilette beschimpft. Jeder Einzelne muss vor der Gruppe eine Liste seiner Sünden vortragen und Besserung geloben, seinen Familienstammbaum inklusive der möglichen Vergehen seiner Vorfahren aufmalen und ein imaginäres Streitgespräch mit Vater oder Mutter führen. Fließen dabei nicht mindestens Tränen, gilt die Übung als so etwas wie nicht bestanden.

Im Rahmen der Konversiontherapie versucht sich der Kursleiter Victor Sykes (links, Joel Edgerton) an einer Art Dämonenaustreibung Foto: Universal
Im Rahmen der Konversiontherapie versucht sich der Kursleiter Victor Sykes (links, Joel Edgerton) an einer Art Dämonenaustreibung

Der Psycho-Drill hat Folgen: Ein Teilnehmer kommt mit immer neuen Verletzungen zum Unterricht, ob selbstzugefügt oder durch Schlägereien, wird nicht klar. Ein anderer übt sich im Vorspielen falscher Tatsachen, um die Einrichtung möglichst schnell wieder verlassen zu können. Einer der Jungen nimmt sich das Leben. Jared selbst vertraut sich irgendwann seiner Mutter an und stößt im Gegensatz zu anderen auf liebende offene Ohren.

Gräuel im Namen Jesu

„Der verlorene Sohn“ ist ein Film für all jene, die ihre Vorurteile gegenüber evangelikalen Christen in den USA bestätigt sehen wollen. Die Macher halten sich nicht mit Grautönen auf. Erzählt wird die Geschichte eines Jungen, der unter frommen Christen leidet, die Figuren sind eindimensional, lediglich Nicole Kidman als Mutter und Lucas Hedges in der Hauptrolle verleihen der Handlung Tiefe. Das mag mit der autobiografischen Vorlage zusammenhängen. Memoiren sind ihrer Natur nach von der Sichtweise des Autors bestimmt und die Intention des Films ist klar: Zeigen, wie schrecklich es in frommen Therapiezentren zugeht. Das mag nicht jedem Christen passen. Und wirklich nachprüfbar ist wohl auch nicht, was Film und Buch zeigen. Nicht jeder Satz wird so gefallen, nicht jede Beschimpfung oder Handlung exakt so ausgeführt worden sein. Skeptisch macht zum Beispiel die Szene einer Taufe in einer Badewanne gleich nach dem versuchten Exorzismus an einem Teilnehmer. Es erscheint nicht klar, warum Christen so etwas tun sollten. Dennoch sei der Streifen jedem empfohlen. Denn wenn die groben Details stimmen und es solcherlei Grausamkeiten tatsächlich in sich christlich nennenden Einrichtungen gibt, dann gehören sie in der Tat verboten.

Der Film berührt nur am Rande die Frage, wie Kirchen Homosexualität an sich bewerten. Die Meinungen dazu sind unterschiedlich, Theologen sehen den biblischen Befund auf vielfältige Art und Weise. Was aber klar sein sollte und spätestens nach Ansehen dieses Films ins Herz sackt: Christen, die sich aus biblischer Prinzipientreue heraus darum bemühen, die sexuelle Identität anderer gegen deren Willen zu verändern, tun schreckliches Unrecht. Doch selbst dann, wenn ein junger Christ einer solchen Therapie zustimmt, bleibt die Frage: Will er das wirklich? Oder ist es der Wille seiner Eltern, der Gruppenzwang in der Kirche oder der Versuch, sich Gottes Liebe zu verdienen? Joel Edgerton macht klar: Die Sexualität junger Menschen konvertieren zu wollen, um Gott gerecht zu werden, ist nicht weniger als seelische Vergewaltigung, ausgeführt von jenen, die ausgerechnet anderen Unzucht vorwerfen – und das auch noch im Namen Gottes. Wie auch immer Kirchen und Christen das Thema Homosexualität bewerten – diese Form von Gewalt muss aufhören.

Der verlorene Sohn, 115 Minuten, FSK 12, ab 21. Februar im Kino

Von: Anna Lutz

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