„Göttliche Liebe“ auf der Berlinale

Der brasilianische Zukunftsfilm „Divino Amor“ dreht sich um eine evangelikale Sekte, die die Reinheit der Ehe zum Gott erhoben hat. Ein verrückter Film, der frommen Christen humorvoll und ohne bösartig zu werden den Spiegel vorhält. Eine Rezension von Anna Lutz
Von Anna Lutz
Die Taube mit den bunten Kreisen ist das Symbol der evangelikalen Sekte „Divino Amor", die vor allem die Reinheit der Ehe predigt

Joana (Dira Paes) hat Gott gefunden. Im Jahr 2027 besucht sie regelmäßig gemeinsam mit ihrem Mann die Treffen einer religiösen Gruppe namens „Divino Amor“ (Göttliche Liebe). Die Teilnehmer tauschen Bibelverse aus, sprechen über ihre Wünsche und Probleme, beten und loben Gott. Doch zu den Treffen darf niemand allein erscheinen. Erlaubt sind nur Ehepaare, denn um sie dreht sich hier alles. Die ungebrochene eheliche Liebe eines Mannes und einer Frau zueinander ist das höchste Ziel frommen Lebens. Ritualisierter Sex soll neuen Mitgliedern dabei helfen, die Liebe füreinander am Leben zu halten oder gar neu zu entdecken. Dazu darf einmalig auch ein Partnertausch beitragen – aber nur in engen Grenzen, versteht sich.

Das klingt völlig absurd und wirkt auch auf der Leinwand so. Der brasilianische Regisseur Gabriel Mascaro hat sich für seinen Film „Divino Amor“ ganz offensichtlich die vielen charismatisch-evangelikalen Gruppen seines Heimatlandes zum Vorbild genommen. Diese laufen dort durch ihren regen Zuwachs nach und nach den Katholiken ihren Rang ab und haben bei den jüngsten Wahlen mehrheitlich dem rechtskonservativen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro ins Amt geholfen. Regisseur Mascaro verarbeitet das in seinem neuesten Werk, geht aber auch darüber hinaus. Bei der Europapremiere im Rahmen der Berlinale am Mittwochabend in Berlin sagte er: „Es ist ein universeller Film, aber auch ein sehr brasilianischer.“

Christen dürfen sich an „Divino Amor“ abarbeiten

Tatsächlich hält „Divino Amor“ auch deutschen Christen den Spiegel vor. Joana nämlich ist zwar so beseelt von ihrem Glauben, dass sie sogar an ihrer Arbeitsstelle – einer Scheidungsbehörde – unablässlich für die Ehe wirbt. Ihr selbst verwehrt Gott aber einen tiefen Wunsch: Sie wird nicht schwanger. Geistlichen Beistand sucht sie im unablässigen Gebet, aber auch bei einer Drive-In-Kirche, dem wohl witzigsten Element der Science-Fiction-Tragik-Komödie.

Abend für Abend sitzt dort ein Pastor mit Bibel ausgestattet auf einem einzelnen Holzstuhl und erwartet seine Schäfchen, die nach der Arbeit noch eben einen Zwischenstopp bei ihm einlegen. Wer an der Reihe ist, darf, ähnlich wie bei McDonalds, mit dem Auto zu ihm vorfahren, aber statt Burger zu bestellen seine Probleme kundtun. Zur Belohnung gibt es Fast-Food-Seelsorge. Der Pastor verteilt Platitüden à la „Alles hat seine Zeit“ und bietet jedem Besucher zum Abschied ein gemeinsames Gebet beim Lobpreislied vom Band an – Rauchmaschine und Lichteffekte tragen ihr Übriges dazu bei, religiöse Exstase aufkommen zu lassen.

Kein Fast-Food-Trost, keine frommen Plattitüden

Auch der Tanz bei einem religiösen Massen-Lobpreis-Techno-Event, das in dieser Zukunft den Karneval als größte kulturelle Veranstaltung Brasiliens abgelöst hat, bringt Joana zunächst keine Fruchtbarkeit. Doch eines Tages geschieht das Wunder. Als Joana durch einen der Körperscanner an ihrer Arbeitsstelle tritt, sendet dieser das Signal „schwanger“. Denn auch das gehört zum Brasilien der nahen Zukunft: Wer ein Kind erwartet, wird bevorzugt behandelt, und darf zum Beispiel in Massagesesseln Platz nehmen, anstatt auf unbequemen Stühlen auf den Termin beim Amt zu warten. Nach der anfänglichen Euphorie wird die Gottesfürchtige aber schnell von der Realität eingeholt: Ihr Ehemann ist nicht der Vater, ergibt ein Schnelltest – aber wer kann es sonst sein? Schwanger, aber ohne Vater für ihr Kind, ist Joana fortan geächtet.

Joana betet und betet und betet – doch ihr Wunsch nach einem Kind will sich nicht erfüllen Foto: Desvia
Joana betet und betet und betet – doch ihr Wunsch nach einem Kind will sich nicht erfüllen

Vieles, was „Divino Amor“ zeigt, kennen wohl die meisten Christen. Schwere Probleme stehen ins Haus – Zweifel an Gott, Sorgen um die Familie, Tod und Krankheit – und plötzlich verstummt das Umfeld. Oder schlimmer noch: Versucht sich durch fromme Floskeln am Trösten, verweist darauf, dass echter Glaube Berge versetzen könne. Oder unablässiges Gebet. „Divino Amor“ überspitzt dieses Problem zur Absurdität des Fast-Food-Pastors.

Techno-Lobpreis mutet im Film seltsam an, tatsächlich aber gibt es solchen auch im Jahr 2019, wenn auch nicht als Massenevent. Mascaro ist auch sicherlich nicht der Einzige, dem besonders unter Charismatikern gelegentlich bis zur Ekstase gesteigerte Lobpreis-Sessions merkwürdig vorkommen. Seine immer witzige, nie beleidigende Kritik in Richtung Evangelikaler lautet: Glaube ist kein Event. Nicht jeder Traum wird wahr. Leidende brauchen keinen Trost auf Knopfdruck.

Doch der Film geht noch einen Schritt weiter. Im dort gezeigten Brasilien sind Mutterschaft und Ehe das höchste Ziel. Wer es nicht erreichen kann oder will, ist zweitklassig. Auch hier darf die Kirche aufhorchen und sich fragen, ob sie Raum bietet für jene, die sich nicht innerhalb einer Ehe verwirklichen wollen oder sich gegen Kinder entscheiden. Für viele Christen wird sich der Kinobesuch von „Divino Amor“ allein wegen seiner vielen expliziten Sexszenen verbieten und man darf in der Tat fragen, ob sie in dieser Form nötig gewesen wären. Und wenn ja, ob diejenigen, die sich dort in den Laken tummeln, unbedingt aussehen und agieren müssen wie Pornodarsteller. Hier wäre weniger mehr gewesen. Der Humor von „Divino Amor“ aber trifft mitten ins Schwarze – und die Botschaft ebenfalls.

Divino Amor, Gabriel Mascaro, 2019, 100 Minuten

Von: Anna Lutz

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