Warum „homo“ und „hetero“ keine biblischen Kategorien sind

Ob homo- oder heterosexuell, das ist nicht die entscheidende Frage, wenn Christopher Yuan darüber schreibt, wie „heilige Sexualität“ aussieht. Ihm geht es um etwas anderes – und das kann er biblisch gut begründen. Eine Rezension von Jonathan Steinert
Von PRO
Christopher Yuan ist der Überzeugung, dass die Sexualität nicht die Identität des Menschen ausmacht

Das jüngst erschienene Buch „Homosexualität und christlicher Glaube: Ein Beziehungsdrama“ von Martin Grabe, dem Chefarzt der christlichen psychiatrischen Klinik „Hohe Mark“, hat für viel Aufmerksamkeit im evangelikalen Lager gesorgt. Urich Parzany, Leiter des Netzwerkes „Bibel und Bekenntnis“ sah mit dem Buch die Zeit gekommen, da das „Versteckspiel“ evangelikaler Gemeinden um den Umgang mit Homosexualität zu Ende sei. Grabe wirbt in seinem Buch für mehr Akzeptanz Homosexueller in Gemeinden.

Die Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg hat nun ein Buch herausgebracht, das sich auch mit dem Thema befasst. Es wird womöglich weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Seine Thesen sind nicht in dem Sinne provokant, dass sie gewissermaßen zu einer öffentlichen Positionierung herausfordern und aus der theologischen Haltung zu Homosexualität fast so etwas wie eine Bekenntnisfrage macht. Das Buch des amerikanischen Theologen und Evangelisten Christopher Yuan rollt das Feld von einer anderen Seite auf. Und in einem geistlichen Sinne ist es durchaus provokant und überaus herausfordernd.

Yuan macht recht schnell deutlich, dass er aus theologischer Sicht nichts von den Kategorien „homosexuell“ und „heterosexuell“ hält. Das seien weltliche Kategorien, keine biblischen. Wer hier schon so etwas wie biblischen Fundamentalismus wittert, sollte dem nicht so schnell nachgeben. Denn Yuans Ansatz geht weiter: Er entwirft eine Beschreibung davon, was er „Heilige Sexualität“ nennt. Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, die fünf gängigen Bibelstellen zu analysieren, die mehr oder weniger konkret etwas über Homosexualität sagen. Er schaut vom Schöpfungsbericht bis zu Paulus, was die Bibel über Sexualität sagt, über Geschlecht, Ehe und Begehren. Seine Kernfrage ist: Wie sieht Sexualität in einem geheiligten Leben aus? Die Fragen nach gleichgeschlechtlicher An- und Beziehung beantwortet er vor diesem größeren Hintergrund.

Erbsünde geht alle an

Ausgangspunkt seiner Argumentation ist die Überzeugung, dass die Sexualität eines Menschen nicht sein Wesen, seine Identität bestimmt. „Bei den Kategorien heterosexuell und homosexuell wird aus Begierde eine Identität, aus Erfahrungen wird ein Sein.“ Das biblische Menschenbild sehe den Wesenskern des Menschen aber darin, dass er ein Geschöpf, ein Ebenbild Gottes ist. In der Schöpfung sei auch die Differenz der Geschlechter so angelegt, dass sie aufeinander bezogen sind. Für Yuan ist damit klar: „Geschlechterdifferenzierung ist kein soziales Konstrukt. Mann- oder Frausein ist ein uns innewohnender Bestandteil dessen, wer wir sind.“ Homosexualität ist für ihn eine Folge der Erbsünde, die mit Adam in die Welt gekommen sei. Psychologische Störungen oder äußere Umstände könnten höchstens sekundäre Auslöser dafür sein. Das klingt zunächst nach einer recht pauschalen Verurteilung Homosexueller, ist es aber im Zusammenhang von Yuans Ausführungen nicht. Denn Folge der Erbsünde sind demnach auch alle Begierden heterosexuell empfindender Menschen, die sich auf etwas anderes beziehen als auf „heilige Sexualität“. Konkret: dem biblischen Modell der Ehe von einem Mann und einer Frau, von Keuschheit als Single und Treue als Ehepartner.

Yuan geht es nicht darum, zu sagen, dass ein Christ nicht homosexuell sein dürfe, oder zu erklären, wie man seine sexuellen Empfindungen verändert. Im Gegenteil: Er wirbt dafür, Homosexuelle nicht auszugrenzen oder zu stigmatisieren. Das wichtigste ist, so schreibt Yuan, dass Menschen Jesus kennenlernen, ihm nachfolgen und ein Leben in Heiligung führen: ein Leben, das Gottes Wesen widerspiegelt, weil es durch Jesus Christus erlöst ist von der Macht der Sünde. Und damit schließt sich der argumentative Bogen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Der Autor vertieft zahlreiche Teilaspekte, widmet den Themen Heiligung, Ehe und Ehelosigkeit eigene Kapitel, mahnt zu Barmherzigkeit und gibt praktische Ratschläge dafür, wie man mit Homosexuellen über den Glauben sprechen kann – und wie man es nicht tun sollte.

Das Buch ist herausfordernd, weil es nicht Homosexualität als Problem einer Gruppe von Menschen isoliert, sondern Sexualität insgesamt vor der Folie eines geheiligten, christlichen Lebens beleuchtet – und damit jeden anspricht. Provokant ist das deshalb, weil es nicht nur angenehm ist, sich mit den Aussagen der Bibel so konfrontieren zu lassen. Die Stärke des Buches liegt vor allem darin, dass Yuan nicht isolierte Bibelverse heranzieht, um seine Argumente zu untermauern, sondern dass er zahlreiche Aussagen aus Altem und Neuem Testament aufeinander bezieht, in Zusammenhang zueinander und zum Thema setzt. Es hilft der Argumentation, dass er sich dabei auch nicht auf das Feld psychologischer Erklärungen begibt, die sicher auch interessant und erhellend wären. Aber Yuan folgt seinem theologischen Fokus konsequent und geradlinig. Man mag manches anders sehen als er. Aber dafür müsste man erst einmal gute Argumente finden. Abgesehen davon schreibt der Autor aus Erfahrung: Er ist selbst homosexuell.

Christopher Yuan: „Heilige Sexualität. Lust, Sex und Beziehungen im Licht des Evangeliums gestalten“, Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, 289 Seiten, ISBN 9783863536893

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