Die Bibel für Philosophen

Das Philosophie Magazin lässt in einer Sonderausgabe bekannte und weniger bekannte Philosophen zum Alten Testament zu Wort kommen. Was hat die Bibel Philosophen zu sagen, fragt die Zeitschrift, und die fast 100 Seiten scheinen zu zeigen: viel.
Von PRO
Das Philosophie Magazin mit dem Thema „Die Bibel und die Philosophen“ kommt am Donnerstag, den 24. November, heraus

Wie und warum ist die Welt entstanden? Wie findet der Mensch seinen Platz in ihr? Wo liegen die Verbindungen zwischen menschlicher Vernunft und göttlichem Plan? Die Fragen von Gläubigen und Philosophen überschneiden sich häufig. Und tatsächlich haben zahllose berühmte Philosophen und Schriftsteller immer wieder das Alte Testament hinzugezogen, wenn sie über die ganz großen Fragen der Menschheit nachdachten. Das Philosophie Magazin, das ab Donnerstag erhältlich ist, versammelt einige der spannendsten Texte aus der Philosophiegeschichte zum Thema und hat Denkern unserer Zeit Fragen zur Bibel gestellt.
Auf jeweils einer Seite gibt das Magazin Originaltexte von bedeutenden Philosophen wieder, die ihre Gedanken anhand von biblischen Texten zu verdeutlichen versuchten. Immanuel Kant etwa legte in seiner Schrift „Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte“ dar, dass für ihn der Sündenfall geradezu ein notwendiger Schritt zur geistigen und moralischen Entfaltung des Menschen war. Für Søren Kierkegaard enthält die Geschichte vom Sündenfall zentrale Motive der menschlichen Psychologie. Walter Benjamin sah schon im Sündenfall den Keim für die spätere babylonische Sprachverwirrung, bei der der Mensch aus der ursprünglichen reinen Kommunikation mit Gott heraustrat. Viele weitere Philosophen kommen im Heft zu Wort, etwa Hannah Arendt, Thomas Hobbes, Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder Voltaire.

Warum sollten Philosophen die Bibel lesen?

„Ohne Zweifel, die Bibel ist die einflussreichste Schrift unserer Geschichte; Malerei, Musik, Literatur, Film sind von ihr inspiriert bis zum heutigen Tag. Aber ist sie auch philosophisch interessant?“, fragt Catherine Newmark, Chefredakteurin der Sonderausgabe. Weiter schreibt die Philosophin und Journalistin: „Das philosophische Fragen trägt in sich seit jeher eine Tendenz vom Religiösen weg: Wenn Glauben archetypisch Passivität und Hingabe bedeutet, so steht die Philosophie umgekehrt für die Selbstermächtigung des Menschen durch Vernunft, hin zu Aktivität und Freiheit.“ Das Alte Testament sei indes nicht nur eine Heilige Schrift für Gläubige, sondern auch ein „Raum für Philosophie“.
Die amerikanische Philosophin Susan Neiman sagt im Interview auf die Frage „Warum sollten Philosophen die Bibel lesen?“: „Ich weiß gar nicht, wie man die Geschichte des Westens sonst überhaupt verstehen sollte.“ Erst im 20. Jahrhundert habe man die Philosophie strikt vom Glauben getrennt, erklärt Neiman, die seit dem Jahr 2000 Direktorin des Einstein Forums in Potsdam ist. Für Philosophen wie Descartes oder Kant sei die Erkenntnistheorie nur der methodische Anfang gewesen, um zu den wirklich wichtigen Fragen vorzudringen: „Bis Ende des 19. Jahrhunderts ist die Theodizee-Frage das Herz der Philosophie. Also die Frage, was für einen Sinn es hat, in einer Welt zu leben, die nicht so ist, wie sie sein sollte.“ Die Philosophin stellt fest: „In der Bibel werden viele sehr philosophische Fragen gestellt.“ Als Beispiel nennt sie die Geschichte von Abraham, der mit Gott darüber debattiert, ob er die Städte Sodom und Gomorrha zerstören könne, auch wenn darin noch gute Menschen leben. „Letztlich gibt Abraham Gott geradezu eine Lektion in Ethik“, sagt Neiman. Offenbar habe Gott uns unsere Vernunft nicht umsonst gegeben. „Letztlich geht Ethik vor Religion.“

Frage nach JHWH als Gott aller Menschen

Die Theologin und Philosophin Saskia Wendel betont, dass die biblische Schöpfungsgeschichte vor allem dafür stehe, dass hier Gott etwas schaffe, was außerhalb von ihm selbst stehe. Der Gott des Alten Testamentes habe nichts zu tun mit Aristoteles’ Vorstellung eines „unbewegten Bewegers“. „Er steht weder ganz unbeteiligt einfach am Anfang einer Kausalkette, noch geht er in der Welt auf. Vielmehr ist das ein Gott, der zwar etwas schafft, das außerhalb von ihm steht, aber zugleich immer in Relation zu dieser Welt und auf sie bezogen bleibt.“ Auch interagiere er mit dem Volk Israel und interveniere in das Weltgeschehen. „Der biblische Schöpfungsakt ist der spontane Akt eines frei handelnden Gottes, ein Akt, den er auch hätte bleiben lassen können“, sagt Wendel. Als zentrales Motiv dafür sieht sie Gottes Liebe. Das zeige etwa die Metaphorik eines Bräutigams und seiner Braut sowie das Bild Gottes als fürsorgende Mutter oder als Vater. Wendel ist seit 2008 Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der Universität zu Köln.
Den israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm fragt das Philosophie Magazin, ob der biblische Gott nur der Gott des Volkes Israel oder bereits ein universaler Gott aller Menschen sei. Die Zehn Gebote hätten zwar „eine Tendenz hin zum Universalismus“, aber man müsse „ihre Allgemeingültigkeit nicht nur mit Blick auf andere Kulturen, sondern auch mit Blick auf sich historisch wandelnde Zeiten hinterfragen“, ist Boehm überzeugt. Während das Gebot „Du sollst nicht morden“ für alle Menschen fundamental sei, bezögen sich andere Gebote ganz eindeutig auf die Juden und ihre partikulare Geschichte. Boehm, der Philosophie an der New School for Social Research in New York lehrt, ist überzeugt: „Natürlich gibt es ein antisemitisches Ressentiment gegenüber dieser Idee der Auserwähltheit des jüdischen Volkes. Aber sie ist auch umgekehrt ein Element, mit dem Juden andere ausgrenzen können.“ Das könne man in der jüdischen Tradition durchaus kritisch sehen. „Die Frage, wie stark man diese Auserwähltheit macht – und wie man sie interpretiert – ist eine hochpolitische Frage.“

Hat Gott einen Körper?

Im Interview sagt Wilhelm Schmidt-Biggemann, Professor für Geschichte der Philosophie an der Freien Universität Berlin: „Die Frage, ob die Bibel Geschichte schreibt, lässt sich klar mit Ja beantworten. Natürlich sind Teile der Bibel Geschichtsschreibung.“ Gleichzeitig impliziere etwa das Buch Jesaja, dass dieser Gott der Israeliten auch über die anderen Völker herrscht. Das Alte Testament erfinde die Vorstellung von Geschichtlichkeit als großem Bogen „vom perfekten Anfang über den Sündenfall und damit die Imperfektion bis zum verheißenen Ende der Geschichte in Gottes Herrlichkeit“.
Christoph Markschies, Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sagt auf die Frage, ob Gott einen Körper besitze: Gott habe Ohren, Augen, eine Nase, und auch Gefühle. „Aber man muss sofort hinzufügen: Es ist ein ganz besonderer Körper, nicht einfach bloß der idealisierte menschliche Körper.“ Die hebräische Bibel stelle klar, dass der Schöpfer und Erhalter der Welt kein rein geistiges Prinzip sei, sondern Materialität habe. (pro)Der Koran ist nur schön (pro)
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