„Troublemaker“: Das passiert wirklich bei Scientology

Leah Reminis Enthüllungen über Scientology in ihrem Buch „Troublemaker“ sind unglaublich – aber wahr. Sie offenbart, wofür die Sekte wirklich steht: Machtmissbrauch und Unterdrückung ihrer Mitglieder. Unbedingte Leseempfehlung. Eine Rezension von Swanhild Zacharias
Von PRO
Die Schauspielerin Leah Remini enthüllt in ihrem Buch „Troublemaker“, was hinter den Kulissen von Scientology wirklich passiert

Es ist absolut verdient, dass dieses Buch zum New-York-Times-Bestseller avancierte. Mit den Einblicken, die Schauspielerin Leah Remini in die Parallelwelt der „Church of Scientology“ liefert, deckt sie auf, wofür diese Organisation wirklich steht: Machtmissbrauch und Unterdrückung ihrer Mitglieder. Sie gibt Einblick in ein System, bei dem sich der Leser schon auf den ersten Seiten des Buches fragt: Warum lassen Menschen sich soetwas gefallen? Ihre Enthüllungen sind Remini hoch anzurechnen, nimmt sie damit doch in Kauf, die gesamte „Kirche“ gegen sich aufzuhetzen. Und mit Scientology ist nicht zu spaßen, das zeigen andere Aussteiger-Geschichten. Doch die „King of Queens“-Schauspielerin fühlt sich verpflichtet, den Mund aufzumachen.
Im Vorwort von „Troublemaker“ schreibt sie: an die Adresse der „Church of Scientology“, das Buch sei „ein persönlicher Akt des Widerstands – gegen die Intoleranz, die ich erlebt und mit der ich gelebt habe und an der ich viel zu lange Anteil hatte“.
Remini wuchs im New Yorker Stadtteil Brooklyn zusammen mit ihrer Schwester Nicole auf. Die Eltern ließen sich scheiden, als beide Mädchen noch klein waren. Über einen neuen Lebenspartner trat ihre Mutter Vicki Scientology bei. Auch die beiden Mädchen begannen im Teenageralter, verschiedene Kurse zu belegen, die zum Beispiel ihre Kommunikationsfähigkeit verbessern sollten. Mit 14 Jahren verließ Remini die Schule und besuchte nur noch Kurse und Veranstaltungen von Scientology. Außerdem habe die „Kirche“ selbst Schulunterricht angeboten. Den besuchte Remini allerdings selten.

„Du bringst mehr Schaden als Nutzen“

Anhand ihres eigenen „Ausbildungsweges“ bei Scientology erklärt Remini die Struktur der Sekte, wie kaum jemand zuvor. Das System ist kompliziert und kaum durchschaubar. Sie spricht von der „Brücke“, auf der sich jeder Scientologe hocharbeiten müsse, von den verschiedenen Bewusstseinsstufen, die es zu erreichen gelte, und von den Kursen und Auditings, die sie dafür besuchte und die sie eine Menge Geld kosteten. Remini erklärt auch die Praxis der „Wissensberichte“: Hätten andere Mitglieder nach den Richtlinien der Sekte „Verfehlungen“ begangen – das könne schon der Kontakt mit einem ehemaligen Mitglied sein oder das Trinken von Alkohol –, seien Scientologen verpflichtet, ihren Mentoren davon zu berichten. In anschließenden Sitzungen, die Remini wie Verhöre beschreibt, würden die Betroffenen darüber ausgefragt. Das solle dem Ziel dienen, sie zu einem besseren Menschen zu machen. Praktisch führe es aber dazu, dass die Mitglieder sich gegenseitig ausspionierten und jeder krampfhaft versuche, sich an die nie enden wollenden Regeln von Scientology-Gründer Ron L. Hubbard (LRH) zu halten, um keine Fehler zu machen.
Als Teenager verbrachte sie einige Zeit bei der Sea Organizaten („Sea Org“), der „Elitetruppe“ der Sekte. Remini beschreibt die Truppe als eine Art „Klerus, der die ergebensten Scientologen angehören“. Die Sea-Org-Mitglieder arbeiteten ausschließlich für die Kirche. Gegründet worden sei sie von LRH, der auf Schiffen außerhalb des Rechtsgebietes einer Regierung leben wollte. Aus dem Hauptschiff habe sich dann ein Schulungszentrum für Scientology-Mitarbeiter aus aller Welt entwickelt. Mittlerweile befinde sich das Zentrum an Land in Clearwater in Florida und werde in Anlehnung an den Begriff „Flaggschiff“ auch „Flag“ genannt.
Doch Remini scheiterte an dem harten Drill und oft ungerechter Behandlung, der sie sich nicht beugen wollte. Schließlich verließ sie mit Mutter und Schwester die Sea Org. Bei ihrem Weggehen sagte ihre Freundin: „Du hast eine starke Persönlichkeit. Das wollen sie bei der Sea Org nicht. Du bringst mehr Schaden als Nutzen.“ Kritisches Denken sei bei Scientology nicht erwünscht. „LRH meint, dass kritische Gedanken grundsätzlich schlecht sind. Jeder kritische Gedanke eines Scientologen ist sofort verdächtig“, schreibt die Schauspielerin. Trotzdem blieb sie dabei: „Wenn ich Ungerechtigkeit sah oder merkte, dass jemand nicht für sich eintreten konnte, dann musste ich den Mund aufmachen.“

„Übermenschliche“ Geldforderungen

Trotzdem versuchte Remini weiter, alle Anforderungen zu erfüllen: „Ich bemühte mich, ständig, eine bessere Scientologin zu werden, in der Überzeugung, dass mir die Technologie schon den Erfolg sichern würde. Je mehr ich in der Kirche arbeitete, desto mehr Erfolg würde ich in meiner Kirche haben. Dieses Mantra brachte man uns bei.“ Wer nicht erfolgreich sei, der mache etwas falsch im Leben. Und Erfolg habe sie zu Beginn ihrer Karriere als Schauspielerin nicht gehabt. Remini kämpfte sich durch diverse Mini-Serien in Hollywood, bis sie schließlich mit der Sitcom „King of Queens“ den Durchbruch erzielte. Selbstzweifel quälten sie regelmäßig: „Ich fand immer einen Grund, mich selbst zu zerfleischen, und ich machte mir Sorgen um die schlimmen Folgen, die meine Handlungen haben könnten.“
Schon zu Beginn des Buches schreibt Remini immer wieder von den Kosten, die Scientology verursache: Die „Kirche“ sei mit ihren Geldforderungen und Spenden unerbittlich. Es sei „übermenschlich“, dass Durchschnittsverdiener mit lediglich 50.000 Dollar Einkommen im Jahr trotzdem 500.000 Dollar pro Jahr für die nötigen Kurse aufgebracht hätten, um die nächsten „Stufen“ auf geistlicher Ebene zu erreichen. „Es stürzte viele Menschen und Familien in den finanziellen Ruin“, schreibt Remini über das System.

„Ich saß da und weinte“

Je höher Remini bei Scientology aufstieg, umso mehr Ungereimtheiten fielen ihr auf. Sie war Gast auf der Hochzeit von Schauspieler Tom Cruise, dem wohl prominentesten Scientology-Mitglied, und Katie Holmes. Sie stellte fest, dass Cruise einen gottähnlichen Status in der Kirche habe, niemand ihm widerspreche und Verstöße gegen die Regeln von LRH, für die sich andere Mitglieder Auditings unterziehen müssten, bei Cruise nicht geahndet würden: „Ich hatte hinter den großen Vorhang geschaut und gesehen, dass es nicht LRH war, der den großen, mächtigen Oz verkörperte, wie mir vermittelt worden war, sondern stattdessen offensichtlich Tom Cruise.“ Remini versuchte, durch Wissensberichte die Verantwortlichen über diese diversen Verstöße, die ihr auffielen, zu unterrichten, doch sie stieß auf taube Ohren.
Außerdem versuchte sie jahrelang, etwas über den Verbleib von Shelly, der Ehefrau des Scientology-Chefs David Miscavige, zu erfahren. Sie musste sich zur Strafe Auditings und anderen Verhören unterziehen, gab jedoch mit ihren Nachforschungen nicht auf. Letztendlich vermutete sie, dass Shelly in der „Gold Base“, im Hauptquartier östlich von Los Angeles, festgehalten wird. Durch Recherchen über ihre „Kirche“, die den Mitgliedern eigentlich verboten sind, fand sie heraus, dass dort auch unliebsame Mitglieder festgehalten und zu Zwangsarbeit verpflichtet werden, „Ich rief Hunderte von Geschichten über meine Kirche auf. Dann saß ich da und weinte.“
Remini ist schockiert: „Als ich mich nach außen öffnete, kamen mir viele schreckliche Dinge zu Ohren. Ich erfuhr, was mit Sherrys Bruder passiert war, Jahre nachdem er sich hilfesuchend an mich gewandt hatte, um seine Frau Tanja aus der Gold Base herauszuholen, wo sie zwei Jahre lang festgehalten wurde. Einmal hatte man sie sogar isoliert, nachdem sie eine 2,50 Meter hohe, mit Stacheldraht gesicherte Mauer überwunden hatte und in die Freiheit gesprungen war. Sie wurde aber von Scientologen aufgegriffen und zurückgebracht.“
Bei ihren Recherchen über die Sekte und Treffen mit anderen Ex-Mitgliedern, stieß sie auch immer wieder auf Berichte von körperlichen Misshandlungen und Vergewaltigungen, die in einer geheimen Wohnwagensiedlung nicht folgsamen Mitgliedern geschehen sollen. Doch: „Die Kirche streitet auf Nachfrage ab, dass es solche Praktiken gibt oder dass Menschen überhaupt bestraft werden.“
Erschreckend ist, dass ihr Versuch, polizeilich gegen die Sekte vorzugehen und zum Beispiel Shelly per Vermisstenmeldung aufzutreiben, ins Leere führte. Entweder sind die Polizisten in Los Angeles Scientology gegenüber positiv gestimmt oder sie haben Angst vor den Folgen ihrer Ermittlungen schließen deshalb den Fall ungelöst ab, vermutet Remini.

Es fiel mir nicht leicht, selbstständig zu denken“

Reminis Buch ist verstörend, spannend und an den Stellen unterhaltsam, an denen sie mit dem ihr eigenen Humor sich selbst und ihr Verhalten genau unter die Lupe nimmt. Es liest sich fast wie ein Roman. Und an vielen Stellen möchte man wirklich nicht glauben, dass das, was die Schauspielerin schreibt, wahr ist. Doch daran lässt sie keinen Zweifel, denn glaubhaft wirken ihre Enthüllungen auf jeder einzelnen Seite.
Die Schauspielerin kämpft derzeit immer noch mit dem Weg in ein „normales“ Leben. „Nachdem ich über 30 Jahre lang in bestimmten Bahnen gedacht hatte und mir meine Gedanken von strengen Grundsätzen vorgegeben worden waren, fiel es mir nicht leicht zu lernen, selbstständig zu denken und eigene Entscheidungen zu treffen“, schreibt sie. Und: „Man kriegt Menschen aus Scientology heraus, doch viel, viel schwerer ist es, Scientology aus dem Menschen herauszukriegen.“
Am Ende des Buches meint man zu verstehen, warum Menschen all das mit sich machen lassen: Weil sie „indoktriniert“ und regelmäßigen Gehirnwäschen unterzogen werden in der traurigen Hoffnung, Erfüllung zu finden und einen guten Beitrag für die Welt zu leisten. Sie sind nicht mehr fähig, frei zu denken.
Danke, Leah Remini, für dieses Buch und den Mut, so offen zu reden! Es klärt hoffentlich viele Menschen darüber auf, wofür Scientology wirklich steht, und sorgt dafür, dass dieser Sekte – zumindest etwas – Einhalt geboten wird. (pro)

Leah Remini: „Troublemaker. Wie ich Hollywood und Scientology überlebte“, mvg Verlag, 280 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-86882-693-7

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