Lambrecht und Baars im pro-Interview: „Mission ist fundamentalistisch“

Oda Lambrecht und Christian Baars haben ein Buch geschrieben, in dem sie sich kritisch mit den Positionen so genannter evangelikaler Christen befassen. In "Mission Gottesreich – Fundamentalistische Christen in Deutschland" schreiben die ARD-Journalisten, warum sich Landeskirchen nicht "widerspruchslos fundamentalistischen Positionen" annähern sollten. Wir haben mit den Autoren über ihr Verständnis "christlichem Fundamentalismus" gesprochen.
Von PRO

pro: Frau Lambrecht, Herr Baars, was ist die Intention Ihres Buches „Mission Gottesreich – Fundamentalistische Christen in Deutschland“?

Oda Lambrecht: Wir glauben, dass es in Glaubensfragen keine allgemeingültige Wahrheit geben kann. Wir sind der Meinung, dass jeder Mensch andere Religionen und Glaubensformen oder auch Nicht-Gläubige akzeptieren muss. Nach unserer Auffassung tun dies die Evangelikalen nicht, darüber wollten wir informieren.

pro: Sie fordern in ihrem Buch gerade die Evangelische Kirche in Deutschland auf, sich nicht „widerspruchslos fundamentalistischen Positionen anzunähern“ – womit Sie evangelikale Christen meinen, die zu einem großen Teil in der Landeskirche engagiert sind. Geht es Ihnen um die Trennung von Evangelikalen und Landeskirche?

Lambrecht: Wir kritisieren mit dem Buch keine Strukturen, sondern Überzeugungen. Die Evangelikalen sind in der Landeskirche eine Minderheit. Wir denken, dass die Mehrheit der Christen in den Landeskirchen fundamentalistische Positionen ablehnt und deshalb würden wir uns wünschen, dass sich zum Beispiel auch der EKD-Ratsvorsitzende deutlicher von diesen fundamentalistischen Positionen abgrenzt.

pro:  Haben Sie selbst mit Bischof Huber, dem EKD-Ratsvorsitzenden, über Ihre Forderung gesprochen?

Lambrecht: Nein, er hat einem Interview mit uns nicht zugestimmt.

pro: Aus welchem Grund?

Baars: Wir haben bei der EKD ein Interview angefragt. Uns wurde Herr Gundlach, Oberkirchenrat in Hannover, als Repräsentant der EKD für Fragen der Kooperation mit den Evangelikalen vermittelt. Deswegen haben wir mit Herrn Gundlach und nicht mit Herrn Huber gesprochen.

pro: Thies Gundlach hat nicht nur die von Ihnen kritisierte Zusammenarbeit der EKD etwa mit Pfarrer Ulrich Parzany, Redner von ProChrist, begrüßt, sondern sich auch sehr erfreut über das vielfältige Miteinander zwischen EKD und Evangelikalen geäußert. Sie schreiben das ausführlich in Ihrem Buch. Warum, meinen Sie, sind Sie bei Thies Gundlach mit Ihren kritischen Anfragen dermaßen auf Granit gestoßen?

Lambrecht: Was meinen Sie mit „auf Granit gestoßen“?

pro: Er hat Ihnen zu verstehen gegeben, dass es aus seiner Sicht keine Probleme zwischen Evangelikalen und der Landeskirche gibt – was Sie so von einem Vertreter der Kirche doch nicht erwartet hätten, oder?

Lambrecht: Ich würde das nicht „auf Granit gestoßen“ nennen. Denn seine Antwort hat ja unseren Eindruck eher bestätigt, dass die nicht-evangelikalen Christen zunehmend mit evangelikalen kooperieren. Herr Gundlach hat uns seine Positionen mitgeteilt und gesagt, er sieht keine Probleme. Das haben wir auch in unserem Buch abgebildet.

pro: Um das festzuhalten: Der promovierte Theologe Thies Gundlach, der seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Positionen in der Kirche arbeitet, sieht keine Probleme mit den Evangelikalen. Warum sehen Sie Probleme, die ein Theologe aus der Landeskirche nicht sieht?

Lambrecht: Grundsätzlich muss man ja sagen, dass es schon Theologen gibt, die sehr wohl Probleme mit den Positionen der Evangelikalen haben. Herr Gundlach sieht dies im Gegensatz zu anderen Theologen nicht in der Form und insofern haben wir keinen Anlass gesehen, Herrn Gundlach anders abzubilden und seine Positionen dargestellt. Wir, und das haben wir auch geschrieben, haben Probleme mit den Positionen von Evangelikalen und solch eine Meinung darf man natürlich auch als Nicht-Theologe vertreten. Schließlich geht es dabei auch um das gesellschaftliche Miteinander, dass ja nicht nur von der Kirche bestimmt wird. Wir finden es zum Beispiel problematisch, wenn Evangelikale Mission für wichtiger halten als den sozialen Frieden. Das ist ja auch von der Deutschen Evangelischen Allianz so beschlossen worden und für uns zeigt das eine unerträgliche Intoleranz. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dies darzustellen.

pro: Auch die Nordelbische Bischöfin Maria Jepsen, die Sie ebenfalls befragt haben, sagt Ihnen, dass es für sie kein Problem war, bei einer „JesusHouse“-Veranstaltung ein Grußwort zu sagen. Zum anderen sagt sie, dass Frömmigkeitsformen, die sie persönlich zwar nicht teilen kann, innerhalb der Kirche möglich sein müssten. Warum sind Sie denn trotzdem der Ansicht, dass unterschiedliche Frömmigkeitsformen schädlich sind?

Lambrecht: Wir haben nie behauptet, dass unterschiedliche Frömmigkeitsformen schädlich sind. Uns geht es ja vor allem um die Positionen der Evangelikalen, die sich hinter verschiedenen Frömmigkeitsstilen verbergen, und in der Hinsicht teilt Bischöfin Jepsen unsere Ansicht sehr wohl. Zum Beispiel hat sie schon gesagt, dass man nicht schweigen soll, wenn es um Positionen gegenüber Minderheiten geht, wie zum Beispiel Homosexuellen, dass man sehr wohl seine Meinung sagen muss. Und das haben wir getan und ich hatte den Eindruck, dass Frau Jepsen in diesem Punkt unsere Meinung teilt.

pro: Sagen Sie: Müsste Ihrer Ansicht nach nicht sofort die Ökumene, die Gespräche zwischen evangelischer und katholischer Kirche, abgebrochen werden? Denn die katholische Kirche lehnt Homosexualität und Verhütung ab, weigert sich, Frauen zu Priesterinnen zu weihen, was doch zutiefst der Gleichberechtigung widerspricht.

Lambrecht: Wir sind nicht für den Abbruch irgendwelcher Gespräche. Im Gegenteil: Wir setzen uns mit dem Buch ja dafür ein, dass in vielen  Bereichen weitere Gespräche geführt werden. In unserem Buch haben wir uns ganz bewusst mit Evangelikalen auseinander gesetzt und nicht mit der katholischen Kirche. Und insofern wollen wir auch nichts zur Position der Katholiken sagen.

pro: Herr Baars, eine Definition Ihres Buches von christlichem Fundamentalismus ist der Glaube, dass die Bibel Gottes Wort ist. Sie haben sich ja ausführlich mit dem Thema befasst: Warum sind Sie der Ansicht, dass die Bibel nicht Gottes Wort ist?

Baars: In unserer Definition von christlichem Fundamentalismus geht es nicht um die Frage, ob die Bibel Gottes Wort ist oder nicht.

pro: Sie definieren christlichen Fundamentalismus über das Bibelverständnis, wie Sie zu Beginn Ihres Buches schreiben. Ein Christ, der meint, die Bibel sei Gottes Wort oder eine wörtlich zu nehmende Überlieferung, ist Ihrer Ansicht nach ein Fundamentalist.

Lambrecht: Wir halten es für problematisch, wenn Minderheiten von einer Gruppe aufgrund ihres Bibelverständnisses abgelehnt oder diskriminiert werden, zum Beispiel Homosexuelle oder Angehörige anderer Religionen.

pro: Aber die theologischen Gründe, die für oder gegen die Ansicht von Evangelikalen sprechen, warum die Bibel Gottes Wort ist, haben Sie nicht anführen wollen.

Lambrecht: Wir haben uns auch zu vielen theologischen Positionen sehr viele Gedanken gemacht und natürlich auch mit vielen Theologen gesprochen. Aber in unserem Buch geht es uns ganz sicher nicht um eine theologische Debatte, wir selbst sind ja auch keine Theologen. Uns geht es tatsächlich um das gesellschaftliche Zusammenleben, die Rolle der Evangelikalen und deren Position zu Minderheiten und Religionen. Solche Überzeugungen halten wir für problematisch. Darum geht es uns – und nicht um eine Art von Textverständnis. Unser Anliegen betrifft die Realität, die Konsequenzen, die Menschen daraus ziehen. Uns geht es um den gemeinsamen Umgang, das Miteinander, den Dialog zwischen Religionen. Evangelikalen geht es mehr um Mission statt um Dialog, auch das wollen wir in unserem Buch darstellen. Es geht uns nicht um eine theologische Debatte, sondern um das ganz reale Miteinander.

pro: Warum schließen sich Ihrer Ansicht nach Mission und Dialog aus? Wenn jemand von seinem Glauben überzeugt, begeistert ist, will er das doch auch anderen vermitteln, ohne dabei den anderen abzuwerten. Genauso, wie Sie vielleicht ein Restaurant empfehlen, von dem Sie begeistert sind. Ich würde Ihnen doch nicht vorhalten, Sie seien engstirnig oder intolerant, weil es doch so viele Restaurants gibt.

Lambrecht: Das ist ein ganz gutes Beispiel: Es gibt mehr Restaurants und es gibt mehr Religionen. Wenn jemand das eine Restaurant bevorzugt, dann bevorzugt er es eben und ich würde ihm auf keinen Fall absprechen, dass er dieses Restaurant bevorzugt. An der Mission von Evangelikalen kritisieren wir, dass sie glauben, sie haben die einzige Wahrheit gefunden, die für alle Menschen gut oder sogar das Beste ist. Dahinter steht ein Verständnis, das sich aus unserer Sicht mit einem wirklichen fruchtbringenden Dialog nicht vereinbaren lässt. Wenn man etwa sagt, dass jeder, der nicht an Gott glaubt, vor einem Gericht oder in der Hölle landet, dann ist das für uns schon sehr abwertend. Wenn man zum Beispiel jemanden „erretten“ möchte, dann steht da zum Beispiel dahinter, dass man die Glaubensform oder das Nicht-Glauben des Anderen abwertet. Denn wenn man die nicht für falsch halten würde, müsste man den anderen ja nicht erretten. Die Sprache und das Verständnis lassen erkennen, dass man selbst die Wahrheit gefunden hat. Das heißt ja, dass alles andere falsch ist und es nicht darum geht, sich mit anderen Positionen auseinander zu setzen und zu akzeptieren, dass der andere vielleicht an einen anderen Gott glaubt oder nicht glaubt. Und wir haben doch den Eindruck, dass das Evangelikale nicht akzeptieren, weil es eben ihr tiefes  inneres Ziel ist, andere zu missionieren.

pro: Und Sie glauben, es ist auch in den Landeskirchen die Mehrheitsmeinung, dass jeder Glaube gleichwertig ist?

Lambrecht: Gute Frage…
Baars: Das können wir nicht sagen.

pro: Ihr Buch und Ihre dargelegte Position erinnern mehr an pauschalisierende Religionskritik denn an einen Beitrag zur sachlichen Auseinandersetzung mit Glaubenspositionen. Religionskritik, wie sie etwa die Giordano-Bruno-Stiftung betreibt, ist ja derzeit „in“. Sind Sie selbst in einer atheistischen Gruppierung wie der Giordano-Bruno-Stiftung engagiert?

Lambrecht: Nein, da sind wir nicht engagiert und unser Buch ist auch ganz sicher kein Buch gegen Glaube oder gegen Kirche, sondern gegen fundamentalistische Positionen.

pro: Frau Lambrecht, Herr Baars, vielen Dank für das Gespräch!

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