Im Schulbuch gegen „christliche Fundamentalisten“

In einem deutschen Schulbuchverlag hat sich ein junger Autor an der Darstellung des "christlichen Fundamentalismus" versucht. Mit dieser Aufgabe war Stephan Sigg allerdings mehr als überfordert - das zeigt schon eine erste Durchsicht der Blattsammlung. Das Ganze wäre nur halb so tragisch, wenn das Buch nicht tatsächlich für Schüler der Klassen 7 bis 13 gedacht wäre.
Von PRO

Der „Verlag an der Ruhr“ aus Mülheim bringt seit über 20 Jahren Schulbücher heraus, die nach eigener Aussage „am Puls der Zeit“ sein wollen. Rund 300 Autoren schreiben pädagogische Bücher für Schule und Kindergarten. Der Verlag hat rund 30 Mitarbeiter, seit fünf Jahren gehört er zur Cornelsen-Holding. „Bist du schwul, oder was?“ oder „Dein Körper – fieser geht’s nicht!“ heißen zwei Neuerscheinungen dieses Sommers. Aber noch ein anderes Buch wird für 19,80 Euro seit kurzem für Lehrer, Schüler und solche, die es werden wollen, feilgeboten. „Christlicher Fundamentalismus“ lautet der Titel der Broschüre, die wegen ihrer Erscheinung als Loseblattsammlung kaum „Schulbuch“ genannt werden kann. Um die Stoßrichtung gleich vorwegzunehmen, setzte der Autor dem Titel hinzu: „Informationen, Abgründe, Arbeitsmaterialien“.

Verfasser ist der gerade mal 25-jährige Stephan Sigg. Der Schweizer mit starkem Bezug zur katholischen Kirche hat in seinem jungen Leben bereits zehn Bücher veröffentlicht, darunter hauptsächlich Romane: Thriller, eine Krimi-Satire, ein Kinderbuch sowie Gedichtbände. Der Verlag hielt Sigg wohl aus zwei Gründen für geeignet, ein Schulbuch über den christlichen Fundamentalismus zu schreiben: er hat Theologie studiert und ein Kinderbuch verfasst. Leider nutzte der Autor nur eine Fähigkeit von beiden für seine Arbeit am neuen Schulbuch.

Sigg überrennt so gut wie jede wissenschaftliche Herangehensweise an das theologische Thema, wirft alles, was in seinen Augen auch nur annähernd durch das Raster „Fundamentalismus“ passt, in einen Topf und kocht daraus eine scharfe Suppe, die einem Christen, der sich „bibeltreu“ zu nennen wagte, den Kopf rot anlaufen ließe, bevor er überhaupt davon gekostet hat.

Ob Christival-Besucher, Islamisten, Mormonen, Rassistengruppen in den USA, die Amish oder katholische Fundamentalisten – für den jungen Sigg, der von Kindesbeinen an eher Romanautor als Theologe werden wollte, ist nichts zu abwegig, um es unter den Begriff „Christlicher Fundamentalismus“ zu packen. Für das gleichnamige Schulbuch, das laut Verlag für die Klassen 7 bis 13 und im Religions- sowie im Politikunterricht geeignet ist, hat sich der Autor Texte aus dem Internet zusammengeklaubt.

Bomben von Islamisten und Kreuzzüge von Christen

Gleich das Vorwort macht klar: Zwischen islamischen und „christlichen Fundamentalisten“ gibt es keinen Unterschied. Doch während die westliche Welt aus irgendwelchen Gründen ausgerechnet den radikalen Islam zum „Sündenbock“ erkoren hat, steht eine ganz andere Gefahr bevor: „Auch christliche Fundamentalisten verbreiten nach wie vor ihren Glauben mit Gewalt“, schreibt Roman- Autor Sigg ohne Skrupel. „Die Kreuzzüge im Mittelalter stehen dafür ebenso wie die Anschläge auf Abtreibungskliniken in der Gegenwart. Selbst der amerikanische Präsident George W. Bush rief nach den Anschlägen am 11. September zum ‚Kampf gegen Ungläubige‘ auf.“ Das eine bezieht sich auf eine Minderheit in den USA, die von der deutschen Realität so weit entfernt ist wie Siggs Schulbuch von Ausgeglichenheit, das andere ist nirgendwo belegbar.

Für einen „eigenständig denkenden“ Leser, den sich der Verlag für seine Bücher nach eigener Aussage wünscht, dürfte es zwar schwer sein, einen Zusammenhang zwischen sich selbst in die Luft bombenden Fanatikern und Menschen, die an die Bibel glauben, herzustellen, für Sigg liegt der jedoch auf der Hand. Schließlich sind beide Gruppen „davon überzeugt, dass ihr Glaube der einzig richtige ist“.

Entsetzt zeigt sich Sigg darüber, dass „christliche Fundamentalisten“, die „aus historischen Gründen vor allem in den USA“ zu finden waren, nun auch in Deutschland Fuß zu fassen scheinen. „Sie leben ihren Glauben nicht nur für sich. Sie fühlen sich von Gott gesandt, über Medien und via Kampagnen die ganze Gesellschaft zu ihrer ‚Wahrheit‘ zu bekehren.“ Natürlich übersieht Sigg, der auf den „historischen“ Kontext so viel Wert legt, dabei, dass das amerikanische Christentum gerade erst durch die europäischen Kirchenväter, Missionare und teifgläubigen Christen pietistischer Prägung geformt wurde. Der Glaube springt, wenn überhaupt, nicht neu auf Europa über, sondern kommt zurück.

„Für unsere Gesellschaft gefährlich“

Auf diese Weise reitet der Autor mit Scheuklappen munter weiter durch seine Sammlung von Internet-Fundstücken. Fundamentalisten sind dumm und ahnungslos, brutal und rückständig, das ist das Fazit, das die Jugendlichen beim Durcharbeiten der Texte und Aufgaben ziehen sollen. „Zwar kämpfen christliche Fundamentalisten ‚zu Hause‘ weniger mit Waffen, sondern eher mit Worten und Demonstrationen“, gibt Sigg zu. „Doch auch ihre Aktionen können für eine Gesellschaft gefährlich werden.“

Tatsächlich wollen die Fundamentalisten einen Gottesstaat errichten, eine Theokratie, meint Sigg zu wissen. Dass die fundamentalistischen Christen dazu bereit und fähig sind, ein Land unter die Knute der Bibel zu stellen, das beweise Amerika. Sigg legt dar, dass die Fundamentalisten dort bereits so viel Einfluss haben, dass sich selbst der Präsident (hier: Reagan) in Reden auf Gott bezieht! Für Deutschland sei das unvorstellbar, wird den Kindern beigebracht. So müssen denn auch sieben Seiten dafür verwendet werden, die Angst deutlich zu machen, die Sigg angesichts der Macht der Fundis in den USA in den Knochen steckt, da sie ohne Probleme über den Teich nach Europa schwappen könnte.

Angst vorm strafenden Gott und vorm Teufel

Was ist überhaupt Fundamentalismus?, fragt sich Sigg dann schließlich doch. Wer gehört eigentlich dazu? Er entstehe jedenfalls immer in Zeiten der Orientierungslosigkeit, denn dann wenden sich die Menschen gerne „politischen Lehren und religiösen Kulten“ zu. Sigg stellt stets bewusst die Worte „konservativ“ und „antimodern“ in einen Zusammenhang. So seien etwa „schneller Fortschritt z.B. in der Technik“, „neue Erkenntnisse in der Forschung“ oder die Globalisierung mögliche Gründe für die Flucht einiger Menschen in den Fundamentalismus. Schließlich fühlten sich religiöse Fundamentalisten „nur gemeinsam stark“, deswegen wollen sie auch den Gottesstaat.

Dass das kein Zuckerschlecken für alle wird, ist klar: „Fundamentalisten sind der Ansicht, dass der Mensch durch und durch verdorben und schlecht ist.“ Für sie ist „das Leben ein ständiger Kampf gegen den Teufel.“ Vom Sieg Jesu – kein Wort; die Liebe als erste Botschaft Jesu – für den Theologen Sigg Neuland. Christliche Fundamentalisten, das sollen die Kinder gleich lernen, folgen blind Jahrtausende alten Texten, und dazu müssen sie ihren Verstand ausschalten.

Es folgen noch viele weitere Darstellungen über den „christlichen Fundamentalismus“, die Sigg aufgrund mangelhafter Recherche zu Papier gebracht hat. Es geht um Homosexualität, Sex vor Ehe, Homeschooling und Christival. Dabei werden Evangelikale, radikale Islamisten, Mormonen, die Mennoniten, Rassistengruppen in den USA oder die Amish bunt durcheinandergemischt.

So kann der jugendliche Leser im Religionsunterricht eins und eins zusammenzählen: Wer die Bibel allzu wörtlich nimmt, ruft schon bald nach Gottesstaat und Todesstrafe. Es droht uns eine Welle von Menschen mit mittelalterlichem Gedankengut, die Technik ablehnen und das Alte Testament zum Gesetzbuch erheben wollen. Wer wie Sigg ein Buch über christliche Fundamentalisten schreibt und dabei nicht eine Person zu Wort kommen lässt, die im Verdacht stehen könnte, diesen zu vertreten oder die sich vielleicht sogar selbst als „Fundamentalist“ bezeichnen würde, dem kann man nur Böswilligkeit vorwerfen. (PRO)

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