Experiment: Macht Bibellesen aggressiv?

P r o v o (PRO) - Die Debatte um die Auswirkungen von gewaltsamen Computerspielen oder Filmen wird seit langem geführt. In diesen Tagen machten Berichte über eine Studie amerikanischer Wissenschaftler die Runde, wonach sogar das Lesen gewaltsamer Stellen in der Bibel Aggression hervorrufen soll. Doch selbst die Forscher relativierten den Sinn und die Aussagefähigkeit ihrer Ergebnisse.
Von PRO

„Gehört Gott auf den Index?“, fragte die „Süddeutsche Zeitung“ angesichts der Ergebnisse des Experiments. „Ist die Bibel ein Fall für die Freiwillige Selbstkontrolle?“ Die alttestamentarische Lektüre soll nach einer aktuellen Studie die Gewaltbereitschaft steigern.

Brad Bushman ist ein international renommierter Aggressions- und Medienwirkungsforscher und Professor für Psychologie und Kommunikation an der Universität von Michigan, an der „Vrije Universiteit Amsterdam“ und an der „Brigham Young University“ (BYU) in Provo, Utah. Bei der letzten handelt es sich um eine private Hochschule, die der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ (Mormonen) gehört. Bushmans Spezialgebiet ist die mögliche Begünstigung aggressiven Verhaltens durch Medien wie Computerspiele und Filme.

Der Amerikaner veröffentlichte mit seinem Kollegen Robert Ridge und drei weiteren im Journal „Psychological Science“ (Band 18, Nr. 3) seine Ergebnisse unter dem Titel „Wenn Gott Töten anordnet. Effekte biblischer Gewalt auf Aggression“. Die Psychologen und Sozialwissenschaftler hatten zwei voneinander unabhängige Studien durchgeführt: einmal mit 248 amerikanischen der BYU und ein anderes Mal mit 242 holländischen Studenten. Von den amerikanischen Versuchspersonen gaben 99 Prozent an, an Gott und die Bibel zu glauben. Bei den holländischen Studenten glaubten 50 Prozent an Gott und nur 27 Prozent an die Bibel.

Gewalt im Alten Testament von Gott angeordnet

In beiden Fällen wurde den Versuchspersonen ein Text aus dem „Buch der Richter“ (Kapitel 19 – 21) zum Lesen vorgelegt. Die eine Hälfte der Versuchspersonen wurde darüber informiert, dass es sich um einen Bibeltext handelt, die andere nicht. Anschließend sollten sie anderen Teilnehmern, die sie in einem Reaktionstest besiegt hatten, per Knopfdruck Lärm über Kopfhörer abspielen, wobei sie die Lautstärke selbst bestimmen konnten. Die Höhe der Lautstärke werteten die Forscher als Hinweis auf die Höhe der Aggressivität.

Das Ergebnis: Die Versuchspersonen, egal ob gläubig oder nicht, die von der Rechtfertigung durch Gott für die Gewalt gelesen hatten, zeigten sich „aggressiver“; sie ließen den lauteren Lärm ertönen. Bei den Gläubigen war die Aggressivität sogar noch ein wenig höher.

Doch Studienleiter Bushman und seine Kollegen stellen klar, dass die Ergebnisse nicht bedeuteten, dass allein das Lesen der Heiligen Schrift aggressiver mache. „Gewaltsame Geschichten, die moralische Standards lehren, oder die Leiden von Opfern beschreiben oder die Reue des Aggressors, können wichtige Lektionen erteilen und haben einen legitimen künstlerischen Gehalt“, so Bushman. „Aber wenn man eine einzelne Episode aus dem Kontext herausnimmt, wie wir das in unserer Studie gemacht haben, dann kann das einen signifikanten Anstieg der Aggression hervorrufen.“

Er sieht die Ergebnisse früherer Untersuchungen bestätigt, wonach „die Aussetzung von Mediengewalt Menschen dazu bringt, sich aggressiver zu verhalten, wenn sie sich mit gewalttätigen Charakteren identifizieren, als wenn sie das nicht tun“. Es ging den Wissenschaftlern zudem ausdrücklich nicht speziell um den christlichen oder den jüdischen Glauben. Allgemein würden Extremisten dazu neigen, über längere Zeit nur bestimmte Textabschnitte zu lesen, die sich mit von Gott gerechtfertigter Gewalt gegen Ungläubige beschäftigen.

Er selbst sei gläubiger Christ, sagte Bushman gegenüber „ABC News“: „Ja, ich glaube an Gott und an die Bibel. Ich lese jeden Tag darin.“ Was ihm Sorge bereitet, sei, „wenn Menschen Gott als Rechtfertigung für ihre Gewalt nehmen. Die Schrift sagt an manchen Stellen, man solle Gottes Namen nicht lästern. Das ist aber die extremste Art, Gottes Namen zu lästern.“

„Kontext ist immer wichtig“

Sein Kollege Ridge erklärt: „Wir sagen nicht, dass Bibellesen schlecht ist, aber wir stellten fest, dass wenn jemand diese Gewalt in einem Text liest, es einen negativen Effekt auf ihn haben kann. Wir wollten der Religion oder der Schrift keinen Fehler nachweisen, aber wenn man an Terroristen denkt, die sagen ‚Gott wird richten‘ und sich dabei auf eine Schrift beziehen, dann ist die Frage: Kann das eine Person wirklich aggressiver machen? Die Antwort lautet: ja, es kann.“

Daniel Judd, Professor an der BYU für alte Schriften, der an der Studie nicht beteiligt war, betonte, dass es immer wichtig sei, den Kontext einer Bibelstelle zu kennen. „Man kann eine Textstelle als Rechtfertigung für alles nehmen, egal, was man gerade will.“

Dass ausgerechnet eine religiöse Uni zu diesen Ergebnissen kommt, ist kurios, und die Sprecherin der Hochschule, Carri Jenkins sagte in der Zeitung „Deseret Morning News“, sie hoffe, dass die Leute daraus nicht die falschen Schlüsse ziehen. „Wir sorgen uns, wie die Leute mit dem Ergebnis umgehen. Aber wie bei jeder Forschung muss man eben sehr genau hinsehen.“

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