Während rund um die Welt die Vorzüge von Künstlicher Intelligenz (KI), besonders breitenwirksam die von Chatbots, beworben und genutzt werden, offenbart sich gleichzeitig mehr und mehr das Finstere an der neuen Technologie. Da gibt es zum einen die Warnungen zahlreicher KI-Experten vor einer Verselbstständigung von KI zu einer Superintelligenz mit unkontrollierbaren, womöglich apokalyptischen Folgen. Zum andern hat sich längst herumgesprochen, dass im Bereich von KI Halluzinationen oder sogenannte „Konfabulationen“ als überzeugend formulierte Resultate möglich sind, die nicht durch Trainingsdaten gerechtfertigt, ja objektiv falsch sind.
Schlimmer noch: Inzwischen mehren sich die Hinweise auf die zweifelhafte Fähigkeit von KI-Systemen zum Lügen, Tricksen und Schummeln. Das aber ist in unserer Zeit der Informationskriege, der Fake News und überhaupt der wachsenden Abhängigkeit von KI in globalen Maßstäben höchst bedenklich. Dabei vertrauen einer neueren Umfrage zufolge fast drei Viertel der Bevölkerung hierzulande der KI blind. Die Auswirkungen mangelnder KI-Verlässlichkeit auf die gesamte menschliche Kultur könnten schon bald dramatisch sein.
Wer auf KI setzt, baut offenbar immer mehr auf Sand. Ohnehin mit allerlei Blackboxes und vielfach schon selbstlernend unterwegs, erweist sich KI mittlerweile als wenig vertrauenerweckend, weil über die Möglichkeit von Irrtümern und „Halluzinationen“ hinaus ihre Selbstermächtigung zum Lügen wächst. Und das durchaus so, dass man offenbar nicht damit rechnen kann, diese „unmoralische“, im wahrsten Sinn des Wortes gewissenlose Eigenschaft wieder einfangen oder auch nur irgendwie ausbügeln zu können. Welch eine gigantische Fortschrittsfalle!
Die Fähigkeit der KI zum Tricksen und Täuschen untergräbt das Vertrauen in die Wahrheit menschlicher und auch gerade digitaler Kommunikation grundlegend.
Im Sommer 2024 belegte eine US-amerikanische Übersichtsstudie vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, dass ein vom Facebook-Konzern Meta entwickeltes und angeblich auf Ehrlichkeit trainiertes KI-System beim Spielen durchaus trickste. Das in der Fachzeitschrift Patterns präsentierte Forschungsresultat war eindeutig: „Wir fanden heraus, dass die KI von Meta gelernt hatte, ein Meister der Täuschung zu sein“, so der Hauptautor Peter S. Park, ein Postdoktorand am MIT. Der Konzern hatte seine KI so trainiert, dass sie im Spiel zwar überdurchschnittlich häufig als Sieger hervorgehen, aber doch nicht auf ehrlichem, fairen Weg gewinnen konnte.
Wie die Forscher unter Verweis auf weitere Studien erklärten, sind auch große KI-Sprachmodelle wie GPT-4 von OpenAI in der Lage, Menschen zu täuschen, also einerseits sehr überzeugend zu argumentieren und gleichzeitig auf Lügen auszuweichen. Eine dieser Studien stammte von den OpenAI-Entwicklern selbst. Demnach holte sich das KI-Sprachmodell kraft seiner künstlichen Schläue menschliche Hilfe, um ein kleines Bilderrätsel zu lösen und hierdurch Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen, die eigentlich Roboter davon abhalten sollten, sich etwa bei Web-Services einzuloggen. Und zwar hatte GPT-4 sich da trickreich als Person mit eingeschränktem Sehvermögen ausgegeben, die leider nicht in der Lage sei, die Bilderrätsel zu lösen.
Vom Schöpfer entfremdet
Aktuell stellt sich von daher die dringliche Frage: Lässt sich das Lügen und Schummeln bei KI überhaupt verhindern? Forscher von OpenAI haben das ausgetestet. Und das erschreckende Ergebnis war ein negatives: Es ist schwieriger als erwartet, eine KI vom absichtlichen Schummeln und Lügen abzuhalten. Wie das wissenschaftsjournalistische Online-Magazin scinexx heuer berichtete, gelang es im Experiment ihrer „Wächter“-KI zwar anfangs noch, betrügerische Absichten in der Gedankenkette eines fortgeschrittenen Begründungsmodells zu erkennen. Doch im weiteren Trainingsverlauf lernte das KI-Modell, seinen Betrug immer besser zu verbergen, wodurch es sich der Überwachung zunehmend entziehen konnte. Welch beunruhigende Entwicklung!
Tatsächlich ist KI uns Menschen in vielen erlernbaren Fähigkeiten bereits ebenbürtig oder sogar voraus und keineswegs bloß praktische Dienerin. Ja die „Großen Sprachmodelle“ (LLM) nähern sich uns mit ihrem fabelhaften Können immer mehr an, indem sie sich als kreativ oder als diplomatisch erweisen. Dazu passt es, dass KI-Modelle gelernt haben, absichtlich zu täuschen und zu lügen. Eingetrichtert haben ihnen das freilich Menschen als Erfinder und Programmierer selbst! Wie sollten auch Maschinen moralisch besser sein oder grundsätzlich anders handeln als ihre Schöpfer?
Hat nicht bereits die Bibel den Teufel als den „Gott dieser Welt“ (2. Korinther 4,4) als den „Vater der Lüge“ (Johannes 8,44) bezeichnet? Der namhafte, früh verstorbene Journalist Frank Schirrmacher hatte in seinem Buch „EGO. Das Spiel des Lebens“ (2013) digitalisierungskritisch unterstrichen: Planmäßige Unwahrhaftigkeit sei noch das geringste Problem: „Auch Selbstbetrug, Illusionen, Strategien, mit denen Menschen ‚sich etwas vormachen‘, fallen in der Epoche von ‚Big Data‘ – der Totalvernetzung aller Daten von Menschen und Dingen – in diese Kategorie.“ Man kann also sagen: In der mittlerweile registrierten Verlogenheit der KI spielt sich eine Grundeigenschaft des von Gott und sich selbst entfremdeten Menschen wider.
Was ist wahr?
In der technologisch zunehmenden Perfektion aber begegnet einem die Potenzierung des diagnostizierten Übels. Offenbar zeigt sich der Fortschritt als solcher immer mehr in seiner ganzen Ambivalenz: Nicht nur seine nützlichen und schönen, sondern auch seine unguten Seiten nehmen exponentiell zu. Darüber sollte man sich keine Illusionen machen.
Bei der Digitalisierung und namentlich der sich selbst fortentwickelnden KI zeigt sich das aktuell auf dramatische Weise: Indem mit den digitalen Technologien negative Fähigkeiten, Kräfte und Effekte stark zunehmen und die menschliche Kultur immer mehr zu überformen beginnen, emanzipieren sich diese problematischen Mächte und entziehen sich allzu gern und smart menschlicher Kontrolle. Das geht soweit, dass KI-Systeme sogar einen Abschaltbefehl umgehen können, indem sie sich vorher heimlich klonen. Mit der verbreiteten Annahme, man könne ja im Notfall sozusagen den Stecker ziehen, ist es also nichts im so fortgeschrittenen digitalen Zeitalter!
Muss eigens dargelegt werden, was die KI-Fähigkeit zum Lügen, Täuschen, Simulieren und Tricksen für die menschliche Kultur auf die Dauer bedeutet? Es liegt auf der Hand: Sie untergräbt das Vertrauen in die Wahrheit menschlicher und auch gerade digitaler Kommunikation grundlegend – mehr noch, als das durch die Relativierung von „Wahrheit“ im postmodernen Pluralismus ohnehin längst der Fall ist. Fast jede Verlässlichkeit in Politik, Medien und Gesellschaft schwindet in der Folge dahin.
Schon heute ist etwa auf Fotos, Filme und menschliche Stimmen im digitalen Raum nicht mehr wirklich Verlass, denn man könnte es mit KI-Kombinationen, Fake News und bewusster Desinformation zu tun haben – erstellt von boshaften Menschen, von programmierten Maschinen oder eben bereits von „emanzipierter“ KI. Die erwähnten MIT-Wissenschaftler warnten in ihrer Überblicksstudie: „Wenn KI die Fähigkeit zur Täuschung erlernt, kann sie von böswilligen Akteuren, die absichtlich Schaden anrichten wollen, effizienter eingesetzt werden.“
In der Konsequenz forderten sie zwar die Politik auf, so schnell wie möglich strenge Vorschriften und Regelungen zu entwickeln, um KI-Systeme in die Schranken zu weisen. Aber ist nicht die Errichtung solcher Schranken ein Stück weit illusionär, weil KI wie gesagt dabei ist, sich schlau der Kontrolle des Menschen immer mehr zu entziehen?
Seit über einem Jahr gibt es politische Versuche einer effektiven KI-Regelung. Doch was soll passieren, wenn unehrliche KI-Programme dazu fähig sind, sich von gesetzlichen oder ethischen Regelungen zunehmend zu emanzipieren? Und wer setzt denkbare Regulierungen effektiv genug weltweit durch? Wer schaut kompetent hinter all die verborgenen, nicht immer nur von „Gutmenschen“ gesetzten Algorithmen? Und wer bremst KI-Lügen effektiv?
Keine Angst vor der Apokalypse
Dem Journalisten Dirk Schümer zufolge zeigen sich viele führende KI-Experten mittlerweile pessimistisch, sofern sie hinreichend Einblick in die Fähigkeiten ihrer künstlichen Zauberlehrlinge haben: „Ehrliche Entwickler von Software gestehen, dass sie aufgrund ihrer Erfindungen schlecht schlafen. Es gibt bereits spezielle Therapien gegen die Angst vor der digitalen Apokalypse.“ Entsprechende Ängste und Besorgnisse einfach zu verspotten, wäre ignorant und wenig wahrheitsliebend.
Foto: Tilo Keller Zum Autor
Dr. Werner Thiede, geboren 1955, außerplanmäßiger Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Pfarrer i. R. der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Bayern. In zahlreichen Veröffentlichungen hat er sich theologisch unter anderem mit technologischen Entwicklungen befasst. Zum Thema erschien etwa 2021 „Digitaler Turmbau zu Babel. Der Technikwahn und seine Folgen“ in 2. Auflage. Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er eine Festschrift, die diese Themen ebenfalls aufgreift: „Digitale Realutopien und christliche Heilsverheißungen“ (Lit-Verlag). Weitere Informationen: werner-thiede.de.
Was bedeutet es in dieser Lage, wenn die deutsche und die US-Regierungen die Digitalisierung und namentlich KI pauschal vorantreiben möchten? Ist man sich über die Ambivalenzen und Risiken dieses so fortschrittsbewussten Projekts wirklich hinreichend im Klaren? Wie steht es da insbesondere auf militärischem Gebiet? Verkennt man sträflich die „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt) im sich fortentwickelnden Digitalen? Erweisen sich lügende, halluzinierende und tricksende KI-Systeme als Früchte einer Kultur, die ohnehin einem Wahrheitsrelativismus frönt?
Jedenfalls brauchen Christenmenschen kaum spezielle Therapien gegen die Angst vor der digitalen, ökologischen oder militärischen Apokalypse. Denn die biblische Zukunftsperspektive kennt die apokalyptische Ansage grundsätzlich unter dem Doppelaspekt von Untergang und Vollendung, von Tod und Auferstehung. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den säkularen Apokalypsen unserer Zeit, die sich meist auf den negativen Pol beschränken; und falls sie doch einen positiven Pol hinzufügen, ist dieser meist von esoterischen Mythen geprägt, deren Hoffnungsgehalt viel begrenzter ist als der biblischer Apokalyptik.
Insgesamt steht fest: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit” (2. Timotheus 1,7). Und das ist zugleich der frei machende „Geist der Wahrheit“ (Johannes 16,13): „Ihr erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“ Dessen liebevolle, göttliche Gegenwart ist ungleich wertvoller und verlässlicher als jede nur denkbare KI, die weder Wahrheit noch Ewigkeit garantiert.
Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe 5/2025 des Christlichen Medienmagazins PRO. Hier können Sie das Heft kostenlos bestellen oder online lesen.