Kritik wegen Islam-Kritik

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hatte am Montag in einer Rede gesagt, der Islam trete "in Deutschland unbefangen und von Aufklärung und Religionskritik kaum irritiert" auf. Daraufhin hat der Zentralrat der Muslime Schneider vorgeworfen, ihm stehe eine solche Kritik nicht zu.
Von PRO

In seiner Funktion als Präses der rheinischen Landeskirche sprach Schneider am Montag vor der Synode in Bad Neuenahr. Auf einer anschließenden Pressekonferenz forderte Schneider einen aufgeklärten, europäischen Islam. "Der Islam ist willkommen und Teil unserer Gesellschaft, er muss dort hineinwachsen und sich etablieren – unter den Bedingungen, die hier gelten", sagte der EKD-Ratsvorsitzende laut einem Bericht des Evangelischen Pressedienstes (epd).

Gegenüber der Zeitung "Der Westen" sagte Schneider: "Es geht mir darum, dass wir einen auf Augenhöhe wissenschaftlich arbeitenden Islam bekommen." Er begrüße, dass deutsche Universitäten jetzt damit begännen, Imame auszubilden. "Wenn der Islam an den Universitäten wissenschaftlich arbeitet, setzt er sich auch mit unserer wissenschaftlichen und kulturellen Geschichte auseinander; auch mit unserer Aufklärung", sagte Schneider weiter. Daraus folge dann, dass sich der Islam auch mit der historisch-kritischen Betrachtung des eigenen Glaubens beschäftige. Statt den Koran wortwörtlich auszulegen, werde dabei auch die historische Entstehung des Koran bei der Auslegung berücksichtigt. "Ich meine das ganz und gar nicht hochmütig", fügte Schneider hinzu, sondern eher demütig. Denn auch die Kirchen hätten einen langen Weg bis dahin zurücklegen müssen. "Aber erst ein Islam, der an unseren Universitäten mit den Naturwissenschaften, der Philologie, mit allen Zweigen gesprächsfähig ist, ist in unserer Gesellschaft verankert."

Zugleich kritisierte der Präses einen "exportierten Islam", also Imame, die aus anderen Ländern kommen und hier nicht in deutscher Sprache predigen. "Das hilft den Menschen hier relativ wenig, wenn Imame aus Anatolien kommen und aus der Lebenswirklichkeit aus Anatolien predigen." Imame müssten aus dieser Lebenswelt kommen, sie sollten diese Gesellschaft kennen.

"Das finden wir nicht gut"

Die Generalsekretärin des Zentralrates der Muslime, Nurhan Soykan, zeigte sich in Interviews für die Zeitungen der WAZ-Gruppe (Mittwochsausgaben) verärgert über die kritischen Äußerungen Schneiders. "Niemandem steht es zu, eine Religion zu kritisieren und zu bewerten, ob sie eine Aufklärung nötig hat oder nicht", sagte Soykan. Die evangelische Kirche habe "öfter den Hang dazu, belehrend aufzutreten", fügte sie hinzu. "Das finden wir nicht gut."

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, hat laut der Zeitung "Der Westen" "vollstes Verständnis dafür, dass christliche Vorsteher im Islam eine Herausforderung sehen. Schließlich predigt er den Monotheismus in der reinsten Form, setzt keinen Sohn oder Tochter neben Gott und sagt, dass jeder Mensch für sich alleine verantwortlich ohne Erbsünde ist". Nicht wenige Muslime würden hinter diesen Positionen eine Variante des aufgeklärten Christentums erkennen.

Lob aus Wissenschaft und Presse

Unterstützung erhält Schneider von dem Islamwissenschaftler Jochen Hippler, der an der Universität Duisburg-Essen lehrt. In Sachen Aufklärung gebe "in islamischen Staaten einiges nachzuholen", sagte er der WAZ-Gruppe. Ein akademisch geprägter Islam würde nach seinen Worten eine Normalisierung und Gleichheit im Verhältnis zum Christentum und zum Judentum bedeuten. Aufklärung bedeute nach Immanuel Kant den "Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit" und beinhaltet den radikalen Zweifel an Dogmen, die Besinnung auf Vernunft und Individualität sowie in der Folge die Trennung von Staat und Kirche. "Da gibt es in islamischen Staaten einiges nachzuholen", stellt der Islamwissenschaftler fest. "Auf einer philosophischen Ebene hat Präses Schneider Recht", so Hippler. Doch die Forderung nach einem aufgeklärten Islam sei ihm zu sehr auf die akademische Frage verengt. "Wichtiger ist es, Muslime als Teil der Gesellschaft gleichzustellen. Dazu gehören dann auch die entsprechenden Einrichtungen an den Hochschulen."

In einem Kommentar schreibt der Chefredakteur der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung", Ulrich Reitz, in der Zeitung "Der Westen", Schneider sei wegen seiner Forderung nach einem aufgeklärten Islam ein "mutiger Mann". "Hierzulande ist der Streit über die wichtige Frage, ob der Islam als Religion demokratiefähig ist, ein Tabu. Tatsächlich fragt bislang niemand, ob gläubige Moslems nicht von ihrer Glaubenslehre gehindert werden, einem westlichen Lebensstil zu leben." Der Koran schreibe eine Lebensweise vor, die nicht per Mehrheit geändert werden kann. "Darüber muss man reden. Schneider hat damit begonnen", lobt Reitz. Multikulti-Anhänger sähen in einem kritischen Religions-Diskurs bereits einen Angriff auf ihre Überzeugungen. "Die galligen Reaktionen von moslemischer Seite zeigen, dass der EKD-Ratsvorsitzende ins Schwarze getroffen hat."

Auch ein Kommentator der "Rheinischen Post" stellt sich hinter den EKD-Ratsvorsitzenden. Frank Vollmer schreibt: "Es ist nur konsequent, wenn Nikolaus Schneider von den Muslimen hierzulande unter dem Motto ‚Gleiche Rechte, gleiche Pflichten‘ ein verstärktes Bekenntnis zur Integration fordert und ihnen zugleich das Nachdenken über eine eigene Religionskritik, ja eine islamische Aufklärung nahelegt." Es könne eine Zumutung für den eigenen Glauben sein, in einer freiheitlichen Demokratie zu leben und an ihrem Gelingen mitzuarbeiten. Schneider gelte als als linker, in der Gastarbeiter-Hochburg Duisburg aufgewachsener Kirchenmann und "ressentimentgetriebener Abschottung unverdächtig". Er scheine vielmehr dabei zu sein, das Profil der Evangelischen Kirche in Deutschland zu schärfen. "Das ist eine gute Nachricht." (pro)

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