Kritik an Qumran-Film: „Hypothesen statt Belege“

Als die Schriftrollen von Qumran vor 60 Jahren entdeckt wurden, sprachen viele Wissenschaftler zu Recht von einem Jahrhundertfund. Kommenden Sonntag sendet das ZDF eine Dokumentation über die "Schriftrollen vom Toten Meer". Hier werden den Zuschauern die Thesen einer Minderheit als Forscherkonsens verkauft, sagt der Dortmunder Theologe Rainer Riesner.
Von PRO

„Hervorragende Überlieferung des Alten Testaments“

Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Fernsehformats „Terra X“ sendet das ZDF am 20. Januar in einer langen „Terra X Nacht“ vier Folgen der beliebten Serie. Der erste Beitrag um 1.15 Uhr handelt von den berühmten Schriftrollen von Qumran, die 1947 von einem Beduinen in der Nähe des Toten Meeres gefunden wurden. In den folgenden Jahren wurden in zehn weiteren Höhlen über 900 Schriftrollen entdeckt, die überwiegend aus der Zeit des 3. bis 1. Jahrhunderts vor Christus stammen. Unter den Texten befanden sich Abschriften von Büchern des Alten Testaments, die über 1.000 Jahre älter sind als die bis dahin bekannten hebräischen Handschriften. Sie belegen, wie hervorragend der hebräische Text des Alten Testaments überliefert ist.

Der Streit der Forscher entzündet sich jedoch an einer anderen Frage. In unmittelbarer Nähe zu den Höhlen befindet sich die antike Siedlung Qumran. Die Mehrzahl der Wissenschaftler geht davon aus, dass die Höhlen von den Bewohnern der Siedlung als eine Art Bibliothek oder Lagerraum genutzt wurden. Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass Qumran zwischen 130 vor und 68 nach Christus von einer Gemeinschaft der Essener bewohnt wurde. Diese sind eine jüdische Gruppierung, die zumeist zölibatär und nach besonders strengen religiösen Regeln lebte. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sie sich in die Wüste zurückzogen, um dem „verderblichen Einfluss“ ihres Umfeldes zu entgehen.

„Nichts ist typisch essenisch an Qumran“

Die „Terra X“-Autoren behaupten jedoch, dass es für diese Annahme nicht genügend Beweise gebe. Bei einer „objektiveren Betrachtung der bisherigen Funde“ könne man „keine zwingende Verbindung zwischen den Siedlern auf dem Plateau und den Schriften aus den Höhlen“ ziehen, heißt es in der Vorankündigung zur Sendung. Die Tatsache, dass ein großer Teil der Höhlen nur über die Siedlung Qumran erreichbar war, scheint für die „Terra X“-Autoren hierbei keine Rolle zu spielen. Weiterhin behaupten sie, dass es in der Siedlung nichts typisch Essenisches gebe.

Rainer Riesner widerspricht den Thesen der ZDF-Autoren. Im vergangenen Jahr erschien von ihm bei Knaur die aktualisierte und erweiterte Fassung seines Sachbuchs „Verschwörung um Qumran“. Riesner zählt darin „eine Reihe von archäologischen Eigenheiten“ auf, „die zu einer Niederlassung von Essenern passen“. Charakteristisch für die Gruppierung war beispielsweise ein gesteigertes Bedürfnis nach kultischer Reinheit. Bei Ausgrabungen in Qumran wurden rund zehn Becken gefunden, die sich als jüdische Ritualbäder, so genannte Mikwaot, deuten lassen. Zu den spektakulären Entdeckungen in der Siedlung gehören auch vier Tintenfässer und Lehmreste, die zu Tischen zusammengesetzt werden konnten. Beides spricht für eine literarische Produktion in Qumran. Ein weiteres wichtiges Indiz sind laut Riesner mehrere antike Quellen, die die Essener erwähnen. Die wichtigste stammt von dem römischen Schriftsteller Plinius dem Älteren. Er beschrieb die Essener als „einsiedlerisch“ und „sonderbaren Menschenschlag“, der auf der Westseite des Toten Meeres lebt.

Fruchtbarer Grüngürtel statt Wüste

Diese und weitere Argumente konnten die „Terra X“-Autoren offenbar nicht überzeugen. Sie hielten sich eher an die Theorien von Jürgen Zangenberg. Für den Theologen war Qumran keine isolierte Siedlung in der Wüste, sondern ein landwirtschaftliches Anwesen inmitten einer fruchtbaren und entwickelten Landschaft. Die tiefen Wasserbassins seien demnach Speicherbecken für das in Qumran produzierte Balsam-Parfum, der Tisch und die Tintenfässer von Plantagenverwaltern zum Schreiben von Ertragslisten und Rechnungen genutzt worden, erklärt Zangenberg in der Sendung.

Für Riesner stellt sich jedoch die Frage, wie eine landwirtschaftliche Siedlung inmitten des unwirtlichen Klimas bestehen konnte. „Eine Wüste wie heute existierte dort nicht“, heißt es in der Ankündigung der ZDF-Sendung. Die Bewohner von Qumran hätten vielmehr in einem fruchtbaren Grüngürtel gelebt. Dafür gebe es jedoch weder Hinweise aus der Klimageschichte Israels, noch archäologische Indizien in der Gegend selbst, schreibt Riesner in seinem Buch.

„ZDF sendet ungesicherte Theorien“

In der ZDF-Sendung „Brennpunkt Qumran“ werde versucht, gesicherte Erkenntnisse über Qumran als Ansichten eines „verkrusteten und verstaubten Professoren-Establishment“ zu verkaufen, schreibt Riesner. Eine kritische Beurteilung der Hypothesen von Zangenberg werde dagegen nicht vorgenommen. Der Theologe werde den Zuschauern vielmehr als „junger, dynamischer Forscher präsentiert“, der frischen Wind in die Qumran-Wissenschaft bringen wolle. (PRO)

„Brennpunkt Qumran – Die Schriftrollen vom Toten Meer“, Sonntag, 20. Januar 2008, 1.15 Uhr, im ZDF

„Verschwörung um Qumran? – Jesus, die Schriftrollen und der Vatikan“, Otto Betz und Rainer Riesner, Knaur-Verlag, ISBN: 978-3-426-77993-4

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